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Fortbildung
Diabetes mellitus Typ 2 Leitliniengerechte Therapie kontra moderne TherapieIm Rahmen der 550-Jahr-Feier der Universität Freiburg veranstalteten das dortige Institut für Pharmazeutische Wissenschaften und die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg am 14. Juli 2007 ein Fortbildungsseminar über "Leitliniengerechte und moderne Therapie des Diabetes mellitus". Die Veranstaltung, die schon mehrere Wochen vor dem Termin ausgebucht war, informierte insbesondere über die umstrittenen Konzepte der Therapie.
Die Freiburger Professoren Irmgard Merfort (Lehrstuhl für Pharmazeutische Biologie und Biotechnologie) und Manfred Jung (Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie) informierten über neue Antidiabetika biogenen und synthetischen Ursprungs.
Zimt und Exenatide
Bei den biogenen Arzneistoffen standen Zimtextrakte und das biotechnologisch hergestellte Inkretin-Mimetikum Exenatide (Byetta®) im Vordergrund. Dessen natürlich vorkommendes Äquivalent ist das Exendin-4, welches aus dem Speichel der Krustenechse Heloderma suspectum Anfang der 90er-Jahre erstmals isoliert worden ist. Exenatide ist seit April dieses Jahres auch in Deutschland erhältlich.
Die Anwendung von Zimtextrakten zur Therapie des Diabetes mellitus wird kritisch beurteilt und z. B. durch die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) abgelehnt. Weder Wirkstoff noch Wirkmechanismus sind eindeutig geklärt, und kein Präparat ist als Arzneimittel zugelassen. Zwar können Zimtpräparate die Blutglucosespiegel von Typ-2-Diabetikern etwas senken, jedoch nicht normalisieren.
Inkretin-Mimetika und Rimonabant
Bei den neuen synthetischen Antidiabetika standen weitere Inkretin-Mimetika sowie das am Cannabinoid-System angreifende Rimonabant im Focus. Inkretine, z. B. das Glucagon-ähnliche Peptid-1 (GLP-1), sind Darmhormone, welche die Insulinfreisetzung Glucose-abhängig fördern. GLP-1 wird physiologisch durch die Dipeptidylpeptidase-4 (DPP-4) abgebaut und hat eine sehr kurze Halbwertszeit von wenigen Minuten, während das bereits erwähnte Exenatide eine Halbwertszeit von etwa zweieinhalb Stunden aufweist.
Gliptine sind eine neue Klasse von Antidiabetika, die die DPP-4 hemmen und somit die Halbwertszeit der physiologischen Inkretine verlängern. Das erste als Arzneimittel zugelassene Gliptin ist das Sitagliptin (Januvia®), welches in Kombination mit Metformin oder Glitazonen eingesetzt wird. Ein großer Vorteil der Inkretin-Mimetika besteht darin, dass ihre Wirkung Glucose-abhängig erfolgt und Hypoglykämien durch sie deshalb unwahrscheinlich sind.
Rimonabant (Acomplia®) ist ein selektiver Antagonist des Cannabinoid-Rezeptors CB1 ; er wirkt also auf das Cannabinoidsystem ein, welches im Lipid- und Glucosestoffwechsel, aber auch im Gefühlsleben eine Rolle spielt. Rimonabant ist in Deutschland zur Gewichtsreduktion zugelassen und wird zu den Life-Style-Medikamenten gerechnet. Es bewirkt eine Verbesserung der Blutfettwerte und senkt den HbA1c -Wert, allerdings steht es wegen unerwünschter Nebenwirkungen wie Depression und Übelkeit in der Kritik und darf wegen Suizidgefahr nicht an depressive Patienten verabreicht werden. In den USA hat die FDA die Zulassung von Rimonabant zur Gewichtsreduktion aus diesem Grund abgelehnt.
Verlaufsformen des Typ-2-Diabetes
Dr. Frank Merfort, der als Arzt in einer diabetologischen Schwerpunktpraxis in Grevenbroich arbeitet, sprach über die Leitlinien-gerechte Therapie des Diabetes mellitus Typ 2. Diabetes mellitus ist eine chronische Erkrankung mit Hyperglykämie, deren Ursache ein relativer oder absoluter Insulinmangel ist. Dabei kann sowohl die Insulinsekretion (β-Zellen im Pankreas) als auch die Insulinwirkung (Fett-, Leber-, Muskelzellen) gestört sein. Während der Typ-1-Diabetiker üblicherweise kein Insulin mehr produziert (absoluter Insulinmangel), ist der Typ-2-Diabetes durch die Insulinresistenz (relativer Insulinmangel) charakterisiert, zu der allmählich ein sekretorischer Defekt hinzukommt. Für die Therapie bedeutet dies, dass ein Typ-1-Diabetiker nur mit Insulin behandelt werden kann, während für den Typ-2-Diabetes verschiedene Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen, die aufgrund der vielschichtigen phasenhaften Verlaufsformen und unterschiedlichen Schweregrade der Erkrankung eine individuelle Anpassung erfordern.
Im Verlauf des Typ-2-Diabetes nimmt aufgrund der wachsenden Insulinresistenz anfangs auch die Insulinsekretion zu. Eine Folge ist der progrediente Verlust der β-Zell-Funktion, welcher zum Zeitpunkt der Diagnose bereits einen Grad von 50% oder mehr erreicht haben kann. Die Diagnose erfolgt meistens so spät, weil in der frühen Phase des Typ-2-Diabetes der Nüchtern-Blutzuckerspiegel relativ normal ist, während die Insulinsekretion schon erhebliche Anomalien aufweisen kann (verzögerter Abfall der postprandialen Insulinmenge).
Therapieleitlinie der DDG in der Kritik
Die Normalisierung des Blutzuckerspiegels ist das Hauptziel der Therapie, doch gibt es viele Therapiemöglichkeiten und verfügbare Medikamente, was die Erstellung von Therapieleitlinien erschwert. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) hat sich in ihrer Leitlinie "Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2" weitgehend am klassischen Stufenschema von Hellmut Mehnert orientiert, wobei in der Basistherapie neben der Diät die Beratung zur Lebensführung und die körperliche Bewegung wichtiger geworden sind. Die oralen Antidiabetika Metformin und Glibenclamid (eventuell auch α-Glucosidasehemmer) sind neben Beratung und Diät die Mittel der ersten Wahl, doch ist eine sofortige Behandlung mit Insulin, je nach Blutzuckerwerten, nicht ausgeschlossen, sondern ausdrücklich zu prüfen. In einer Übereinkunft der ADA (American Diabetes Association) und der EASD (European Association for the Study of Diabetes) wird der möglichst frühe Einsatz von Insulin in der Therapie des Typ-2-Diabetes vorgeschlagen und einer Kombination zweier oraler Antidiabetika vorgezogen. Nach Frank Merfort sollte eine Insulintherapie, die wahrscheinlich das sicherste und in der Regel für den Typ-2-Diabetiker im langen Verlauf seiner Erkrankung irgendwann notwendige Mittel der Behandlung ist, möglichst früh, auf jeden Fall aber rechtzeitig erfolgen.
Therapieleitlinien dienen Ärzten zur Orientierung, ersetzen jedoch nicht die individuelle Therapieplanung für den jeweiligen Patienten, die dessen Alter, Intellekt und Motivation berücksichtigt. Die individuelle Therapie strebt Zielwerte bezüglich des Blutzuckers, Lipidstatus und Blutdrucks an und verbindet die Erhaltung der Lebensqualität mit der Vermeidung von Akut- und Folgeschäden.
Auf dem Markt befinden sich Normal-, Verzögerungs- und Kombinationsinsuline sowie Insulin-Analoga (Insulinlispro, -aspartat, -glulisin, -glargin, -detemir), die sowohl bei der konventionellen als auch bei der intensivierten Therapie mit einander kombiniert werden können. Da beim Typ-2-Diabetiker vor allem die frühe Phase der postprandialen Insulinsekretion gestört ist, benötigt er zur Normalisierung des Blutzuckerspiegels sowohl eine basale als auch eine prandiale Insulinsubstitution.
Trotz ihrer Wirksamkeit ist die Insulin-Therapie bei vielen Patienten unbeliebt, was wohl hauptsächlich in der subkutanen Verabreichung begründet ist. Für diese Patienten kann inhalatives Insulin (Exubera®) eine sinnvolle Alternative darstellen, es hat jedoch zwei entscheidende Nachteile: Es ist sehr teuer, und seine Bioverfügbarkeit liegt bei nur etwa 10 %. Da der Wirkungseintritt rasch erfolgt, darf es nicht bei Patienten eingesetzt werden, die zu Hypoglykämien neigen. Andere Kontraindikationen sind das Rauchen und asthmatische Erkrankungen.
Als Fazit stellte Frank Merfort fest, dass eine Leitlinien-orientierte Diabetestherapie nicht zwangsläufig mit einer modernen Therapie gleichzusetzen sei, denn die zitierte Leitlinie der DDG beziehe das neue Wissen um die pathophysiologischen Zusammenhänge beim Typ-2-Diabetes nicht ausreichend in die Therapieempfehlungen ein.
Moderne Insulintherapie
Priv.-Doz. Dr. Thomas Kunt, niedergelassener Diabetologe in Berlin, sprach über die moderne Insulintherapie des Diabetes mellitus und kritisierte zugleich ihre ablehnende Bewertung durch das IQWiG (Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität im Gesundheitswesen). Der Nutzen kurzwirksamer Insulin-Analoga (Insulinlispro, -aspart, -glulisin) sei durch klinische Studien belegt, in denen sie gegen humanes Normalinsulin geprüft wurden.
Kurzwirksame Insulin-Analoga normalisieren beim Typ-2-Diabetiker die hohen postprandialen Blutzuckerwerte und verringern die nach einer Mahlzeit erfolgende endogene Glucoseproduktion der Leber [1]. Die kurze Wirkdauer ist physiologischer als die längere Wirkdauer von Normalinsulin.
Auch die Kombination von Insulinlispro mit NPH-Insulin (mit Protamin komplexiertes Verzögerungsinsulin, Isophan-Insulin) ist beim Typ-2-Diabetiker effektiver als Normalinsulin oder NPH, gemessen an der Normalisierung der prä- und postprandialen Blutglucosespiegel und des HbA1c -Wertes. Die Kombination von Insulinlispro und Metformin zeigte in einer Studie ebenfalls eine gute Wirksamkeit und sollte nach Meinung der Autoren als Therapieregime in Betracht gezogen werden [2].
Da Diabetiker oft auch an Arteriosklerose und Übergewicht leiden, gibt es noch weitere erwähnenswerte Vorteile der Insulin-Analoga gegenüber Normalinsulin: Dadurch, dass sie die postprandialen Glucose-Peaks effektiver senken, wirken sie indirekt antioxidativ, denn hohe Glucosespiegel steigern den oxidativen Stress [3]. Analoga fördern die Normalisierung der koronaren Durchblutung [4] und bewirken im Gegensatz zu Normalinsulin keine Gewichtszunahme [5].
Langwirksame Insulin-Analoga (Insulindetemir, -glargin) wirken bei abendlicher Applikation physiologischer als NPH-Insulin, denn sie erreichen ihr Wirkungsmaximum nicht nachts, sondern erst in den frühen Morgenstunden. Zudem führen langwirksame Insulin-Analoga seltener zu Hypoglykämien als NPH-Insulin. Insulindetemir senkt den Blutzuckerspiegel gleichmäßiger als Insulinglargin und NPH-Insulin [6]. In Übereinstimmung damit zeigt Insulindetemir, s.c. appliziert, einen annähernd physiologischen hepatisch-peripheren Insulinquotienten; dieser beschreibt das Verhältnis der Insulinwirkung vor und nach der Leberpassage, bei der das Insulin abgebaut wird.
Kritik am IQWiG-Gutachten
Obwohl die kurzwirksamen Insulin-Analoga in den meisten von Kunt erwähnten Studien besser abschnitten als Normalinsulin, kommen einige Metaanalysen und Studien-Reviews, welche die Ergebnisse dieser Studien zu bündeln versuchen, zu gegenteiligen Aussagen. Dies hängt laut Kunt damit zusammen, dass die Reviews einige positive Daten ausgeklammert haben, teils aufgrund von uneinheitlichen Messbedingungen, teils aus nicht nachvollziehbaren Gründen.
Das IQWiG sah in einem Mitte 2006 publizierten Gutachten keine Vorteile in der Verwendung von kurzwirksamen Insulin-Analoga bei der Therapie des Typ-2-Diabetes. Laut Kunt hat das IQWiG jedoch zu wenig Studien für eine Metaanalyse betrachtet und zudem auch Zulassungsstudien inadäquat in die Beurteilung miteingebracht. Während die Verwendung kurzwirksamer Insulin-Analoga in der Therapie des Typ-2-Diabetes kontrovers diskutiert wird, besteht bei den langwirksamen Analoga eher Einigkeit: Ihr Einsatz bringt in der Therapie des Typ-1- und Typ-2-Diabetes keine entscheidenden Vorteile gegenüber NPH-Insulin.
Nach den Vorträgen standen alle Referenten dem Auditorium über eine halbe Stunde lang Rede und Antwort. Dabei wurde einmal mehr deutlich, wie wichtig Prävention und frühzeitige Diagnose des Diabetes angesichts einer steigenden Rate an Neuerkrankungen sind.
Literatur[1] Monnier et al., Diabetes Care 2007;30:263-269.
[2] Altuntas et al., Diabetes Obes Metab 2003;5:371-379.
[3] Ceriello et al., Diabetes Care 2002;25:1439-1443.
[4] Scognamiglio et al., Diabetes Care 2006;29:95-100.
[5] Lundershausen et al., MMW Fortschr Med 2006;148(45):42.
[6] Heise et al., Diabetes 2003;52 (Suppl. 1):A121.
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