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Dermatologie
Chronischer Juckreiz: Zum aus der Haut fahren!
Akuter Juckreiz besitzt eine wichtige Warnfunktion, da er die Aufmerksamkeit auf potenziell hautschädigende Agentien und Parasiten lenkt. Er wird durch Fremdkörper, Pflanzenbestandteile oder Parasiten wie etwa Läuse, Flöhe und Insekten hervorgerufen und ist durch Meiden der entsprechenden Noxen oder eine antiparasitäre Therapie behoben. Anders verhält es sich mit dem chronischen Pruritus, der keine so ausgeprägte physiologische Funktion besitzt, und eher unspezifisch auf dermatologische und systemische Erkrankungen hinweist. Man spricht von chronischem Juckreiz, wenn dieser länger als drei Monate andauert. Im Gegensatz zum akuten Pruritus, dessen Ursache meist klar erkennbar ist und mit geeigneten Topika behoben werden kann, ist die Therapie des chronischen Juckreizes wesentlich komplexer. Bei der Ursachenforschung unterscheidet man
- Juckreiz mit sichtbaren Hautveränderungen und
- Juckreiz ohne Hautveränderungen.
Der ersten Form liegen meist dermatologische Erkrankungen, der zweiten Form systemische Krankheiten zugrunde. Ferner können verschiedene Arzneimittel sowie psychogene und neurologische Erkrankungen Juckreiz hervorrufen. Auch leiden bettlägerige und palliativ betreute Patienten häufig aufgrund ihrer Hauttrockenheit unter quälendem Juckreiz, der durch verminderte Flüssigkeitsaufnahme und damit verbundenem Verlust des Hautturgors hervorgerufen wird.
Juckreiz-Rezeptoren
Galt früher Juckreiz als der "kleine Bruder des Schmerzes", so wird ihm heute eine eigenständige Sinnesqualität anerkannt. Im Gegensatz zu schnell leitenden A- und C-Schmerzfasern wird Histamin-induzierter Juckreiz durch unmyelinisierte, sehr langsam leitende C-Fasern vermittelt. An den freien Nervenendigungen dieser marklosen C-Fasern befinden sich Rezeptoren, die durch physikalische und mechanische Stimulierung Juckreiz vermitteln können. Nach ihrer Aktivierung mit entsprechenden Agonisten wie etwa Histamin, Capsaicin, Tryptase oder Interleukin 6 erfolgt eine Depolarisation der Nervenfaser mit nachfolgender Weiterleitung einer Juckempfindung zum zentralen Nervensystem. Andere Neuropeptide wie Substanz P gelten als potente Histaminliberatoren, die indirekt Juckreiz auslösen können. Zudem gibt es Rezeptoren auf Hautnervenfasern, die nach Aktivierung den Juckreiz unterdrücken. Hierunter fallen Kälte- und Menthol- sowie Cannabinoidrezeptoren. Eine detaillierte Zuordnung spezieller Mediatoren und beteiligter Rezeptoren zu einzelnen Juckreizformen und Erkrankungen ist bislang noch nicht gelungen, ferner ist nicht bekannt, warum Cholestase oder Niereninsuffizienz zu Juckreiz führen.
Ähnlich wie beim Schmerz existiert auch beim Juckreiz eine Art Gedächtnis, und Menschen mit Pruritus nehmen Juckreiz bereits ab einer sehr niederen Schwelle wahr. Noch sind die Mechanismen, die sich in Haut und Nervensystem abspielen, nicht vollständig geklärt; wahrscheinlich werden sensorische, motorische und emotionale Bereiche aktiviert.
Kratzen bis aufs Blut
Starkes Kratzen verursacht Schmerz und reduziert kurzfristig die Wahrnehmung des Juckens. Schmerz wird von vielen Patienten leichter ertragen als starker Juckreiz, so dass sie sich Schmerz zufügen, um das quälende Jucken zu überdecken. Durch das Kratzen wird die Haut geschädigt und Entzündungsprozesse werden verstärkt, was wiederum den Juckreiz fördert. Es kommt zu einem Juckreiz-Kratz-Teufelskreis, der zu pathologischen Veränderungen der Haut führt (wie etwa Vernarbungen, Hyper- oder Depigmentierungen, Erosionen, Ulzerationen, tiefen Hautabschürfungen, hämorrhagischen Krusten).
Juckreiz ist nur indirekt messbar
Juckreiz selbst ist nicht objektivierbar, wohl aber die Reaktion auf ihn, das Kratzen. Um das Ausmaß des Kratzens festzuhalten, wurde in den Niederlanden folgende Methode entwickelt: Ein Piezofilm wird auf den Nagel des Mittelfingers aufgeklebt, der die Vibrationen des kratzenden Nagels erfasst und diese an ein Aufzeichnungssystem weiterleitet, wo sie erfasst und analysiert werden. Ersten Auswertungen zufolge zeigen die Kratzperioden nächtliche Wellen, vergleichbar denen der REM-Schlaf-Perioden.
In der Praxis wird die Juckreizstärke auch anhand einer visuellen Analogskala und mit Hilfe von Fragebögen eingeschätzt. Da das Empfinden des Juckreizes subjektiv ist und zudem von weiteren Faktoren wie Stress, Angst oder Müdigkeit beeinflusst wird, lassen sich hiermit nur Annäherungswerte ermitteln.
Multimodale Therapie
Die Therapie des chronischen Juckreizes ruht auf fünf Säulen:
- der Abklärung und Behandlung der zugrunde liegenden Krankheit,
- der Elimination von Triggerfaktoren,
- der Akutbehandlung der Kratzläsionen,
- der symptomatischen topischen oder systemischen Therapie und
- der Aufklärung und Führung des Patienten
Tritt Pruritus im Rahmen einer dermatologischen Erkrankung auf, kann eine umfangreiche laborchemische oder radiologische Diagnostik meist entfallen. Bei Juckreiz ohne Dermatose erfolgen zur Abklärung neben einer ausführlichen Anamnese röntgenologische und laborchemische Maßnahmen.
Akutbehandlung der Kratzläsionen
Erste symptomatische Hilfe bieten kühlende Maßnahmen wie feuchte Umschläge, Cremes mit Menthol, Campher, Harnstoff oder Lokalanästhetika wie etwa Polidocanol; harnstoffhaltige Kühlsalben beugen zusätzlich einer Austrocknung der Haut vor. Sprays mit Polidocanol verhelfen zu einer raschen, kurzfristigen Linderung. Von rezeptfreien, äußerlich anzuwendenden Antihistaminika wird abgeraten, da diese bis auf einen gewissen Kühleffekt wenig wirksam sind und oftmals zur Kontaktsensibilisierung führen.
Durch die topische Applikation von Steroiden kommt es zu einer raschen Juckreizstillung; eine längere Anwendung verbietet sich jedoch aufgrund der atrophisierenden Wirkungen der Steroide. Vor allem bei einer atopischen Dermatitis lindern topische Calcineurininhibitoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus den Juckreiz.
Topische Cannabinoidagonisten könnten in Zukunft ebenfalls zur Juckreizstillung eingesetzt werden. In experimentellen Untersuchungen und ersten Anwendungsbeobachtungen mit N-Palmitoylethanolamin erwies sich dieser Therapieansatz als wirksam und nebenwirkungsarm.
Capsaicin: Beratung bei der Abgabe
Zubereitungen mit Capsaicin, dem Inhaltsstoff roter Paprikafrüchte, des spanischen Pfeffers und des Cayennepfeffers, werden unter anderem bei neuralgischen Schmerzen und Juckreiz angewandt. Capsaicin führt zu einer Desensibilisierung sensorischer Nervenfasern und unterbricht die Weiterleitung von Juck- und Schmerzreiz. Durch seinen direkten Angriffspunkt an polymodalen Nervenfasern ist Capsaicin im Gegensatz zu Antihistaminika auch bei nicht-Histamin-induziertem Juckreiz wirksam. In den ersten Anwendungstagen kommt es zu einer neurogenen Entzündung mit Brennen, Wärmegefühl und Rötung. Diese Wirkung beruht auf der gesteigerten Ausschüttung von Mediatoren, insbesondere von Substanz P, die eine starke Vasodilatation hervorruft. Nach etwa drei Tagen sind die Substanz-P-Speicher der C-Fasern völlig entleert, und die Neusynthese wird eingestellt. Nun werden weder Schmerz noch Juckreiz empfunden.
Capsaicin wird zunächst in der niedrigsten Konzentration (0,025%) eingesetzt und je nach Sistieren des Juckreizes alle fünf bis sieben Tage um je 0,025% auf maximal 0,1% gesteigert. Im Sommer sollten niedrigere Konzentrationen angewandt werden. Bei der Abgabe einer Capsaicinhaltigen Rezeptur muss der Patient über die Wirkweise – die juckreizstillende Wirkung setzt erst verzögert ein – und die Notwendigkeit einer drei- bis sechsmal täglichen Applikation informiert werden.
Systemische Therapien
Auch hier erfolgt ein stufenweises Vorgehen, das neben der Grunderkrankung die Schwere des Pruritus und den Hautzustand berücksichtigt. Meist werden Wirkstoffe mit unterschiedlichem Wirkmechanismus miteinander kombiniert. Die Effektivität einiger Therapien wurde in kontrollierten Studien bestätigt, für andere liegen widersprüchliche Ergebnisse oder nur Bestätigungen aus Fallberichten vor. Zum Einsatz kommen unter anderem
- systemische Antihistaminika, wobei zur Nacht Wirkstoffe mit sedierendem Effekt bevorzugt werden
- Antidepressiva und nieder dosierte Neuroleptika
- Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin
- Leukotrien-Rezeptor-Antagonisten wie Montelukast (additiv zu Antihistaminika)
- der Mastzellstabilisator Ketotifen
- Opiatrezeptor-Antagonisten wie Naltrexon, Nalmefen und Naloxon; sie hemmen kompetitiv endogene an der zentralen Juckreizwahrnehmung beteiligte Opioide und sind vor allem bei cholestatischem und generalisiertem Pruritus unklarer Genese wirksam.
Bei sehr schweren Verlaufsformen müssen in Einzelfällen und während der Initialphase systemische Corticoide und Ciclosporin A oder andere Immunsuppressiva eingesetzt werden. Sind systemische Therapien aufgrund der Grunderkrankung, Medikamenteninteraktionen oder wegen des Alters des Patienten kontraindiziert, kann eine UV-Therapie durchgeführt werden. Die UV-Strahlung beeinflusst dabei direkt die oberflächlich gelegenen Nozizeptoren, wirkt mastzellstabilisierend und inaktiviert pruritogene Faktoren. Eine weitere nicht-medikamentöse Methode ist die Elektro-Akupunktur.
Alle medikamentösen Therapien sollten von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen begleitet werden. In diesen Schulungen erlernt der Patient Strategien zum Umgang mit Juckreiz und Kratzen sowie Techniken zur Entspannung und Stressbewältigung. <
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Mutschler, E.: Arzneimittelwirkungen. 8. Aufl. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2001.
Neues Rezeptur-Formularium Band 3. Govi-Verlag Eschborn und Deutscher Apotheker-Verlag Stuttgart. 2006.
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Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (DDG) "Diagnostisches und therapeutisches Vorgehen bei chronischem Pruritus".
www.juckreiz-informationen.dePatienteninformationen des Universitätsklinikums Münster
- Vermeiden von Faktoren, die Hauttrockenheit fördern wie etwa trockenes Klima, Hitze (Sauna), alkoholische Umschläge (kein Franzbranntwein!), Eiswürfelpackungen, häufiges Waschen und Baden
- Kein Kontakt mit irritierenden Stoffen oder Substanzen (wie etwa Umschläge mit Kamille, Rivanol oder Teebaumöl)
- Vermeiden von heißem und stark gewürztem Essen, Vermeiden größerer Mengen Alkohol oder heißer Getränke
- Vermeiden von Stress und Aufregung
- Verwenden milder, nicht-alkalischer Seifen, rückfettender Waschsyndets oder Dusch- und Badeölen (Spreitungsöl mit geringem Tensidgehalt); nur in lauwarmem Wasser und maximal 20 Minuten baden; nach dem Duschen oder Baden sofort die Haut eincremen unter Berücksichtigung des individuellen Hautzustandes
- Bei Vorliegen von Dermatosen Körper nur abtupfen, damit die vorgeschädigte Haut nicht zusätzlich gereizt oder verletzt wird
- Tragen weicher, luftiger Kleidung; Baumwolle bevorzugen; Wolle und synthetische Materialien vermeiden
- Absenken der Raumtemperatur (keine überhitzten Räume)
- Fingernägel kurz schneiden; eventuell nachts Baumwollhandschuhe tragen
- Atopiker sollten Hausstaub bzw. Hausstaubmilben vermeiden
- Autogenes Training, Entspannungstherapie, Stressvermeidung, Aufklärung und Unterstützung durch das psychosoziale Umfeld
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