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Selbstmedikation
Wie Sie müden Venen Beine machen
Auch wenn sie nicht in den Top Ten der häufigsten Todesursachen steht, so ist die chronisch-venöse Insuffizienz (CVI) doch beileibe keine Bagatellerkrankung. Zwar können sich viele Betroffene anfangs mit den hervortretenden Venen oder Schwellungen abfinden. Anders sieht es jedoch im fortgeschrittenen Stadium aus, wenn Schmerzen, Entzündungen, Thrombophlebitiden oder gar Unterschenkelgeschwüre hinzukommen. Die Behandlungsbedürftigkeit der frühen Stadien einer chronisch-venösen Insuffizienz ergibt sich also vor allem unter prognostischem Aspekt. Deshalb sollten Betroffene darüber aufgeklärt sein, welchen Weg ihre Venenerkrankung nehmen kann, wenn sie diese dauerhaft ignorieren.
Mit drei verschiedenen Strategien versucht man heute, am CVI-Geschehen anzusetzen: Kompression, Arzneimittel und nicht-medikamentöse Maßnahmen. Doch welcher Weg auch gewählt wird, das realistisch formulierte Ziel kann dabei nur das Verzögern, nicht das Heilen dieser Erkrankung sein.
Die Zahlen sind eindeutig: 90% der erwachsenen Bevölkerung zeigen pathologische Veränderungen am Beinvenensystem. Fast jeder vierte Deutsche zwischen 18 und 79 Jahren hat Varizen. Nur knapp 10% der Erwachsenen sind venengesund. Eine große epidemiologische Studie (Bonner Venenstudie 2002) hat jedoch erfreulicherweise gezeigt, dass die Prävalenz schwerer Stadien der chronisch-venösen Insuffizienz gegenüber früheren Jahrzehnten rückläufig ist. Experten erklären dies mit dem gestiegenen Venenbewusstsein und dem häufigeren Einsatz von Kompressionstherapie und Ödemprotektiva. Die Konsequenz kann daher nur sein: Noch mehr Prävention betreiben sowie frühzeitig therapeutische Maßnahmen initiieren. Hier ist also auch Ihr Engagement in der Kundenberatung gefragt!
Venöser Kampf gegen die Schwerkraft
Das venöse Blut aus den Beinen wird zu 90% über das tiefe, subfaziale Venensystem und nur zu 10% über oberflächliche, epifaziale Venen zum Herz zurückgeführt. Die beiden Oberflächenvenen, die Patienten mit einer chronisch-venösen Insuffizienz am häufigsten Probleme bereiten, sind: die Vena saphena magna, die vom Innenknöchel auf der Beininnenseite zur Leiste hochzieht, und die Vena saphena parva, die hinter dem Außenknöchel auf der Wade entlang läuft.
Venen sind viel dehnbarer als Arterien, können große Mengen Blut aufnehmen und besitzen Venenklappen. Damit der venöse Blutstrom gegen den hydrostatischen Druck funktioniert, müssen mehrere Mechanismen zusammenspielen: An erster Stelle steht die Muskel-Gelenkpumpe, insbesondere die Wadenpumpe. Hinzu kommt der Veneneigentonus, der pulsierende Druck benachbarter Arterien sowie die Sogwirkung von Atmung und Herztätigkeit.
Auf leisen Sohlen
Erste Symptome, über die Venenschwächlinge in der Apotheke klagen, sind müde, schwere Beine, die gegen Abend in der Knöchelregion anschwellen. Beim Eindrücken bleiben kurzfristig Dellen zurück. Früher oder später kommen ziehende Schmerzen hinzu. Oft ist die Haut trocken und juckt. Wichtig für die Beratung: Denken Sie bei nächtlichen Wadenkrämpfen, die nicht auf Mineralstoffpräparate ansprechen, stets auch an eine chronisch-venöse Insuffizienz!
Venös, arteriell oder ganz anders?
Venenbeschwerden nehmen gewöhnlich beim längeren Sitzen oder Stehen zu. Wärme intensiviert, Abkühlung und Bewegung wie strammes Gehen lindert die Symptome. Frauen berichten oft darüber, dass ihre Venen prämenstruell besonders "drücken".
Doch nicht alle schweren Beine gehen automatisch auf das Konto einer chronisch-venösen Insuffizienz! Hellhörig sollte man werden, wenn jemand schon mit dicken Beinen aufwacht. Dann hat die Gewebeschwellung vermutlich andere Ursachen. Auch proximal vom Unterschenkel lokalisierte Ödeme sind nicht CVI-typisch. "Verschlimmern sich Ihre Beinbeschwerden bei körperlicher Aktivität?" Mit dieser Frage lassen sich arteriell bedingte Durchblutungsstörungen, die beim Laufen stärkere Schmerzen verursachen, abgrenzen.
Fortgeschrittene Stadien einer chronisch-venösen Insuffizienz, die bereits mit Gewebeverhärtungen, Pigmentierungsstörungen, starken Ödemen, anhaltenden Schmerzen oder gar offenen Hautstellen einhergehen, sind kein Fall mehr für die Selbstmedikation. Diabetiker, Schwangere, Leber-, Lungen-, Herz- und Nierenpatienten sowie Menschen mit Gerinnungsstörungen sollten Sie ohnehin grundsätzlich zunächst zum Arzt schicken.
Eine weitere entscheidende Frage: "Sind die Beschwerden allmählich oder von heute auf morgen aufgetreten?" Denn nicht selten verstecken sich hinter akuten Venenschmerzen Thrombophlebitiden oder tiefe Beinvenenthrombosen.
Es beginnt im Kleinen
Nach der gängigen Lehrmeinung kommt es bei Bindegewebsschwäche unter hydrostatischem Druck auf Dauer zur Dilatation oberflächlicher Venen. In der Folge können die Venenklappen nicht mehr dicht schließen. Das Blut versackt in den Beinen, die Gewebeperfusion stagniert, es sammelt sich Gewebewasser an. Dieses interstitielle Ödem gilt als Promotor der CVI, da es die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Gewebes behindert. Aber auch Proteine und Blutkörperchen treten unter erhöhtem Druck ins Gewebe aus. Die dadurch aktivierten Fibroblasten regen die Kollagensynthese an, subkutanes Fettgewebe wird allmählich durch minderwertiges, verhärtendes Bindegewebe ersetzt (Dermatoliposklerose). HämosiderinAblagerungen aus den im Extravasalraum abgebauten Erythrozyten verursachen die Hyperpigmentierung. Nach diesem Gewebeumbau ist der betroffene Bereich mechanisch empfindlich und infektionsgefährdet. Ein Ulcus cruris ist dann nicht mehr weit.
Forschungsergebnisse der letzten Jahre weisen der endothelialen Dysfunktion eine zentrale pathogenetische Rolle zu. Die mit nur 20 bis 100 µm Durchmesser kleinsten Venen, die so genannten Venulen, sind mit einem einschichtigen Epithel ausgekleidet. Staut sich hypoxisches Blut bis in die Venulen zurück, werden u. a. Granulozyten und andere Entzündungszellen aktiv. Auf diese proinflammatorischen Signale hin kontrahiert sich das Venulenendothel, die Interzellularspalten weiten sich und geben den Weg frei für Plasma und Entzündungszellen, die dann ins Gewebe austreten. Hält dieser Zustand an, bricht die venuläre Endothelbarriere zusammen und die chronisch-venöse Insuffizienz nimmt ihren Lauf.
Dem Druck mit Nachdruck begegnen
Goldstandard in der Behandlung der chronisch-venösen Insuffizienz ist die Kompressionstherapie. Ihre Wirksamkeit ist durch kontrollierte Studien belegt. Bei aktiver Venenpumpe, also bei körperlicher Bewegung, bietet sie der rhythmisch kontrahierenden Muskulatur ein Widerlager und der venöse Rückstrom wird beschleunigt. Wichtiger Anwenderhinweis: Kompressionsstrümpfe gleich nach dem Aufstehen, bevor die Beine anschwellen, anziehen! Leider haben Kompressionsstrümpfe auch Haken, z. B. die schlechte Compliance. Über 50% aller Kompressionsstrümpfe fristen ihr Dasein im Schrank, noch mehr in der warmen Jahreszeit. Außerdem ist das fachgerechte Anlegen der Strümpfe manchen Patienten selbst gar nicht möglich, zum Beispiel bei Arthrose, Rheuma, Ischialgie. Bei bestimmten Komorbiditäten wie Claudicatio intermittens oder allergischen Hautreaktionen ist die Kompressionstherapie kontraindiziert.
Hieraus leitet sich die Bedeutung oraler Venenpräparate ab: Sie können bei niedrigen CVI-Stadien als Alternative dienen oder eine Kompression sinnvoll ergänzen. Vorteil für Ihre Beratung: Pflanzliche Ödemprotektiva werden von den meisten Patienten gut akzeptiert.
Rationale Phytos auswählen
Bisher haben nur wenige Präparate aus der großen Ödemprotektiva-Palette ihre Wirksamkeit klinisch valide unter Beweis gestellt. Vorreiter waren die Rosskastaniensamenextrakte. Sie wirken antiexsudativ und kapillarabdichtend. Dadurch wird die Filtration niedermolekularer Proteine, Elektrolyte und Wasser ins Interstitium reduziert (Ödemprotektion). Untersuchungen zeigten, dass Rosskastaniensamenextrakt Ödeme im ersten Stadium der chronisch-venösen Insuffizienz genauso stark reduzieren kann wie Kompressionsstrümpfe der Klasse 2. Auch zwei neuere Metaanalysen erkennen Rosskastaniensamenextrakte als sichere und wirksame Behandlungsoption der chronisch-venösen Insuffizienz an.
Als wirksamer Inhaltsstoff wird das β-Aescin angesehen, ein Triterpenglykosidgemisch, auf das Präparate mit Rosskastaniensamenextrakt standardisiert werden (z. B. Essaven® Kapseln, Venoplant retard S, Venostasin® retard). Als effektive Dosis gilt eine Extraktmenge entsprechend 100 mg Aescin, verteilt auf zwei Einzelgaben á 50 mg. Leidiger RKSE-Nebeneffekt sind gelegentliche Schleimhautreizungen und Übelkeit. Vor allem für Magenempfindliche machen daher magensaftresistente Formulierungen Sinn.
Venenwirksame Blätter
Machen Sie Ihren Kunden in jedem Fall klar: "Venenpräparate sollten nicht bedarfsweise, sondern regelmäßig mindestens zwei bis drei Monate eingenommen werden!" Das gilt auch für Präparate aus dem Roten Weinlaubextrakt (z. B. Antistax®). Compliance-fördernd ist hier die tägliche Einmalgabe von morgens nüchtern 360 mg sowie die gute Magenverträglichkeit. Die Wirkungsträger stammen nach heutiger Erkenntnis aus der Flavonoid-Fraktion (Quercetin, Isoquercitrin etc.). Dennoch stellt auch hier der standardisierte Gesamtextrakt den eigentlichen Wirkstoff dar. In-vitro-Experimenten zufolge scheint der Rote Weinlaubextrakt insbesondere den Endothelwandschäden in den Venulen entgegenzuwirken. Die Interzellularspalten werden wieder verdichtet und damit der Flüssigkeitsaustritt ins Gewebe gestoppt. Dass sich dies auch klinisch niederschlägt, haben Untersuchungen gezeigt, in denen nach zwölfwöchiger Gabe von täglich 360 mg Extrakt nicht nur die Beinödeme signifikant zurückgegangen waren, auch die Schmerzsymptomatik hatte sich gebessert. Für Ihren Kunden bedeutet das: "Ihre Beine schwellen ab und fühlen sich wieder leichter an, die ziehenden Schmerzen lassen nach." Übrigens: Wer Schluckbeschwerden hat, kann auch das Pulver aus den geöffneten Kapseln oder Tropfen einnehmen.
Weitere Ödemprotektiva auf dem Prüfstand
Zu den saponinhaltigen Ödemprotektiva gehören auch die Ruscogenine aus dem Mäusedornwurzelstock (z. B. in Phlebodril® mono). Die Wirkweise ist weniger eingehend untersucht als beim Rosskastaniensamenextrakt. Man geht davon aus, dass auch hier die Saponine für einen membranstabilisierenden, ödemprotektiven Effekt verantwortlich sind. Diosmin (Tovene® 300), Oxerutin (Venoruton®), Troxerutin (Veno SL® 300) sind Rutin-Derivate, die eine bessere orale Bioverfügbarkeit haben als das Flavonoid selbst. Auch der Cumarin- und Saponin-haltige Steinklee (z. B. in Meli Rephastasan®) taucht in der Liste der pflanzlichen Venenmittel auf. Von der ESCOP wurde die Indikation "symptomatische Behandlung von Beschwerden bei Krampfadern" positiv bewertet. Die Marktrelevanz ist jedoch gering.
Gele und Salben ...
... sind bei CVI-Patienten wegen ihres Kühl- und Hautpflegeeffekts recht beliebt. Einen nachweislichen Venennutzen sind sie bisher aber schuldig geblieben. Lediglich Heparinsalben gelten bei oberflächlicher Venenentzündung als indiziert. Wer dennoch auf Venensalben schwört, sollte seine Beine damit nur von unten nach oben bearbeiten. Werden parallel Kompressionsstrümpfe getragen, müssen fettfreie (z. B. Venostasin® Gel) oder strumpfkompatible Zubereitungen (z. B. Antistax® KompressionsKomfortcreme) gewählt werden. Vorsicht bei Arnika-haltigen Topika: Sie können bei langfristiger Anwendung eine Sensibilisierung der ohnehin schon irritierten Haut hervorrufen.
Die Venen in Schwung bringen
Unverzichtbar sind beim Beratungsthema Veneninsuffizienz die viel zu selten praktizierten nicht-medikamentösen Maßnahmen. Werden Sie also im HV nicht müde, immer wieder auf Venengymnastik und Kaltwasseranwendungen hinzuweisen und zu venenfreundlichem Verhalten – Stichwort "3S-3L-Regel" – zu motivieren. HV-taugliche Schlagworte dazu sind:
- Kneipp’sche Knie- und Schenkelgüsse,
- öfter mal die Beine hochlegen,
- Beine nicht übereinander schlagen,
- spezielle Fußgymnastik (Zehen rhythmisch anheben, auf die Fußspitzen stellen, Storchengang),
- keine Schuhe mit hohen Absätzen tragen,
- Übergewicht reduzieren,
- keine einschnürende Kleidung tragen,
- Bürstenmassagen sind tabu,
- Ausdauersportarten (z. B. Nordic-Walking, Radfahren, Schwimmen) sind besser als Kraftsport,
- Überwärmung der Beine (Vollbad, Sauna, Sonnenbad) vermeiden.
Lennecke, K.: Selbstmedikation für die Kitteltasche, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart (2004).
Reuter, P.: Springer Lexikon Medizin, Springer-Verlag Heidelberg New York (2004).
Schwabe, U.; Paffrath, D.: Arzneiverordnungsreport 2006, Springer Medizin Verlag Heidelberg (2007).
Hamacher, H.; Wahl, M.: Selbstmedikation, Arzneimittelinformation und Beratung in der Apotheke, Deutscher Apotheker Verlag Stuttgart (2006).
Braun-Falco, O.; Plewig, G.; Wolff, H.: Dermatologie und Venerologie, Springer Verlag Berlin Heidelberg (2002).
Wagner, H.; Vollmar, A.; Bechthold, A.: Pharmazeutische Biologie 2, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart (2007).
Brinkmann, H.; Wißmeyer, K.; Gehrmann, B.; Koch, W.-G.; Tschirch, C.: Phytotherapie für die Kitteltasche, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart (2004).
Jänicke, C.; Grünwald, J.; Brendler, T.: Handbuch Phytotherapie, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart (2003).
Informationsmaterial der Firma Boehringer Ingelheim zu Antistax®
www.venenliga.deApothekerin Christiane Weber- erbliche Vorbelastung (= Hauptrisikofaktor!)
- vorwiegend stehende oder sitzende Tätigkeit
- Bewegungsmangel
- vorangegangene Schwangerschaften
- Einnahme hormonaler Kontrazeptiva
- Übergewicht
- hohes Lebensalter
- Rauchen
- Cellulite
- für möglichst viel Beinfreiheit zu sorgen (Gangplatz wählen)
- durch Fußgymnastik den venösen Rückfluss regelmäßig zu unterstützen
- Kompressionskniestrümpfe zu tragen
- mindestens ¼ Liter Wasser, Tee oder Saftschorle pro Stunde zu trinken
- spätestens eine Woche vor Reiseantritt mit der Einnahme eines Ödemprotektivums zu beginnen
- muskelkaterartige Wadenschmerzen
- Zunahme der Beschwerden im Stehen, Besserung im Liegen
- gespannte, glänzende, gerötete Haut
- lokales Hitzegefühl
- Fußstrecken oder Druck auf die innere Fußsohle verstärkt die Schmerzen
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