Außenansicht
Während in vielen Ländern Europas bereits umfassende Regelungen zum Schutz von Nichtrauchern gelten (so in Irland, Finnland, Italien, Spanien, Norwegen, Schweden, Schottland) und in Wales und England in Kürze Rauchverbote in Kraft treten, begnügen sich unsere Volksvertreter damit, zu reden statt zu handeln.
Und nicht nur, dass nichts geschieht, es wird auch noch Widerstand gegen den von einer Majorität verlangten Nichtraucherschutz demonstriert. Da weigern sich Abgeordnete im Bundeshaus das Rauchen aufzugeben, lässt sich SPD-Fraktionsvize Joachim Poß von der Tabaklobby zum "Pfeifenraucher des Jahres" küren und hält SPD-Fraktionschef Peter Struck dazu auch noch die Laudatio.
Nun hat man sich ja immer schon darüber gewundert, wie eisern die Politik der Tabakindustrie in unserem Land die Stange hält. Doch nun kommt so einiges heraus, vergleichsweise Harmloses allerdings, wenn man an die großen Betrugsnummern in Industrie und Wirtschaft denkt.
Erinnern wir uns: Der Vorschlag der Koalition zu einem generellen Rauchverbot war an den verfassungsrechtlichen Bedenken des Innen- und des Justizministeriums gescheitert, woraufhin das Problem zur Lösung an die Länder abgegeben wurde. Nun hören wir, dass sich die Ministerien bei ihren Argumenten häufig auf den Rechtsprofessor Fritz Ossenbühl bezogen haben, der als Rechtsvertreter der Tabakindustrie Mitte der 90er Jahre gegen Warnhinweise auf Zigarettenschachteln vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hatte. Auch interessant.
Die jetzt verantwortlichen Ministerpräsidenten demonstrieren zwar Einigkeit, doch bleiben im Handeln föderalistische Individualisten.
Da wäre einmal der smarte Ministerpräsident von Niedersachsen (CDU), der, obwohl selbst Nichtraucher (O-Ton Wulff: "Ich halte Tabakrauch für extrem gesundheitsschädlich"), in den vergangenen Wochen besonders intensiv gegen ein striktes Rauchverbot gekämpft und sich in rührender Weise der Wirte angenommen hat, die er – wie auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) – selbst entscheiden lassen will, ihre Gaststätten zu Raucher- oder Nichtraucherlokalen zu erklären. Und nun stellt sich heraus, dass viele Veranstaltungen der Landesregierung seit Jahren von der Tabaklobby gesponsert werden, so auch das Sommerfest der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin im vergangenen Jahr. Wulffs Regierungssprecher, Andreas Krischat, ließ daraufhin wissen, dass der Verband der Zigarettenindustrie lediglich 2500 Euro gespendet habe, "und dass es keinen Grund gibt, einen Sponsor einer Veranstaltung, der sich in einem so geringen Anteil engagiert, auszuschließen". Wulff selbst hält Tabakrauch nicht nur für extrem gesundheitsschädlich (immerhin!), sondern ist auch gegen Hysterie in der Diskussion. Hysterie? Dass in Deutschland derzeit etwa 8000 Schwangere und stillende Mütter in der Gastronomie arbeiten, weiß er wohl nicht.
Und weiter wird diskutiert, und zu sagen haben eigentlich alle etwas: Die Grünen-Europaabgeordnete Hiltrud Breyer kritisiert das Hin und Her der Zuständigkeiten in Deutschland und forderte die Große Koalition auf, "das Trauerspiel beim fehlenden Schutz für Passivraucher zu beenden". Zufrieden mit dem geplanten Rauchverbot hingegen ist unsere Kanzlerin: "Das ist mehr, als ich erwartet habe. Das ist ein Riesenschritt in Deutschland". (Ja, wenn man nichts erwartet, ist wenig eben schon viel.) Der Bundesvorsitzende des "Netzwerks Rauchen" in Bonn, Christoph Lövenich, wiederum bezeichnet die erzielte "Einigung" von Bund und Ländern als "Schritt in Richtung Gesundheitsdiktatur" (stark!). Und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) meint, die Politik müsse "Leitplanken und Maßstäbe" setzen, was immer er damit auch meinen mag (oder sprach er von Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen?).
Der beste Vorschlag zum Nichtraucherschutz aber kommt ohne Zweifel von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Er nannte es überlegenswert, in den späten Abendstunden in bestimmten Bereichen einer Gaststätte das Rauchen weiterhin zuzulassen. Damit wäre beiden Seiten gedient, zuerst könnten die Nichtraucher qualmfrei essen, und später könnten die Raucher zum Ausklang des Abends die Zigarette nach dem Essen genießen.
Dass drei Viertel des ausgeatmeten Tabakrauchs, der doppelt so viele giftige Stoffe als der direkt eingeatmete enthält, ungefiltert in die Luft gelangt, weiß Herr Platzeck offensichtlich nicht. Auch nicht, dass im Gegensatz zu den Partikeln des Feinstaubs die des Zigarettenrauchs Oberflächen benetzen, sich an Wänden, Böden und Mobiliar ablagern und lang anhaltend ihre zahlreichen krebserzeugenden Komponenten an die Raumluft abgeben. Das heißt, dass Innenräume, in denen Rauchen erlaubt ist, eine kontinuierliche Expositionsquelle für die im Tabakrauch enthaltenen Schadstoffe darstellen.
3500 Menschenopfer durch Passivrauchen jährlich bedeutet, dass bei uns während eines Jahrzehnts politischer Verantwortungslosigkeit vermutlich zwischen 30.000 und 40.000 Menschen durch unfreiwilliges Rauchen gestorben sind, Menschen, die noch leben könnten, hätte man die Gefahren des Passivrauchens ernst genommen. Und da spricht Herr Wulff von Hysterie!
Klaus Heilmann
Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" greift Heilmann Themen aus Pharmazie, Medizin und Gesellschaft aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen auf.
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