Arzneimittel und Therapie

Neues Erythropoetin

Anämie bei Dialysepatienten Ist die Blut­bildung infolge eines Nierenversagens gestört, kann biotechnologisch hergestelltes Erythro- po­e­tin eingesetzt werden, das als Wachstumsfaktor die Bildung roter Blutkörperchen anregt. Mit Hilfe biotechnologischer Herstellungsverfahren ist es möglich, das Hormon in Mengen zu produzieren, die für die Therapie ausreichen.

Vollhumanes Epoetin zur Behandlung renaler Anämien

Seit dem 15. März steht zur Behandlung einer Anämie bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz ein neues Erythropoetin zur Verfügung. Anders als die sich bereits auf dem Markt befindlichen rekombinanten Erythropoetine wird Epoetin delta (Dynepo®) in humanen Hautzelllinien produziert. Es kann bei dialysierten und bei nicht-dialysierten Patienten angewendet werden und hat in umfangreichen Studien eine äquivalente Wirksamkeit und Verträglichkeit zu bislang bekannten Präparaten bewiesen.

Die Entwicklung renaler Anämien gilt als häufige Komplikation für Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz und manifestiert sich bereits im frühen Krankheitsstadium. Aufgrund einer mangelhaften Produktion von natürlichem Erythropoetin im geschädigten Nierengewebe kommt es zur verminderten Bildung roter Blutkörperchen. Der damit sinkende Hämoglobingehalt im Blut zieht einen eingeschränkten Sauerstofftransport nach sich, was zu nachhaltigen Beeinträchtigungen der Lebensqualität mit erhöhter Morbidität und Mortalität führt. Ziel der Behandlung renaler Anämien mit Erythropoetinpräparaten ist es, den reduzierten Hämoglobingehalt (Hb) wieder auf Werte von >10 g/dl zu steigern.

1985 wurde das Gen für Erythropoetin kloniert und 1989 der erste rekombinante Wirkstoff Epoetin alfa (Erypo®) bei chronischer Niereninsuffizienz parallel zur Dialysebehandlung eingesetzt. Es folgten Epoetin beta (NeoRecormon®) und das mit einer längeren terminalen Halbwertszeit wirkende Darbepoetin alfa (Aranesp®). Alle drei Präparate werden in Tierzelllinien produziert, die sich von den Ovarzellen chinesischer Hamster oder Baby-Hamster-Nierenzellen ableiten. Durch Einführung eines menschlichen EPO-Gens in die Hamsterzelle kommt es zur Bildung der gewünschten humanen Aminosäuresequenzen. Allerdings wird die Synthese aufgrund der in tierischen Zellen gebildeten N-Glykolylneuraminsäure von einer gleichzeitigen wirtszelltypischen Glykosylierung begleitet, die nicht mit der humanen identisch ist. Die Kohlenhydratketten sind unter anderem entscheidend für Proteinfaltung, Stabilität und Rezeptorerkennung.

Neue Technologie genutzt

Das neue Epoetin delta (Dynepo®) unterscheidet sich von seinen Vorgängern darin, dass bei seiner Herstellung die Gen-Aktivierung zur Proteinsynthese in einer humanen Hautzelllinie (HT-1080) erfolgt. Durch Einbringung eines zusätzlichen Steuerungsabschnitts in die DNA wird das endogene humane Erythropoetin-Gen aktiviert. Diese Technologie führt somit zu einer gleichen Aminosäuresequenz, und – da die Glykosylierung nun auch in einer humanen Zelle erfolgt – zu einer identischen Anzahl der Polysaccharidketten mit humanem Profil. Aufgrund der nicht vorhandenen N-Glykolylneuraminsäure bleiben auch entsprechende Kohlenhydratverbindungen aus. Inwieweit diese fehlenden Glykosylierungsparameter von Vorteil sind, kann bislang noch nicht dargelegt werden.

Im Spiegel klinischer Studien

In den klinischen Untersuchungen konnte für Erythropoetin delta eine hohe Effektivität bei gleichzeitig guter Verträglichkeit dokumentiert werden. Ziel der Behandlung sollte es sein, den Hämoglobingehalt auf Werte zwischen 10 und 12 g/dl anhaltend zu regulieren. An drei Phase-I-Studien zur Pharmakokinetik, vier Phase-II-Studien zur Dosisfindung und zwei Phase-III-Studien zur Wirksamkeit und Verträglichkeit waren insgesamt 1447 Patienten beteiligt. Im Verlauf einer erst kürzlich publizierten offenen Phase-III-Studie erhielten 478 chronisch niereninsuffiziente Patienten (Stadium III bis V) über einen Zeitraum von 52 Wochen ein-, zwei- oder dreimal wöchentlich Dynepo® subkutan. Die Ergebnisse der Studie zeigen einen Anstieg der Hb-Werte im Mittel auf 11,13 ± 1,11 g/dl und auch die Hämatokritwerte lagen mit 36,4% ± 3,7% im Zielbereich. Unter Dynepo® konnte der Hb-Wert über den gesamten Studienzeitraum im Zielbereich gehalten werden.

An einer weiteren, randomisierten, doppelblinden Phase-III-Studie im Parallelgruppenvergleich mit Epoetin alfa nahmen 752 Hämodialyse-Patienten teil. Diese Studie war über sechs Monate angelegt mit einer anschließenden offenen Behandlungsphase mit Dynepo® über weitere sechs Monate. Das Epoetin delta wurde jetzt intravenös dreimal pro Woche in den Wochen 1 bis 52 und in der Vergleichsgruppe Epoetin alfa intravenös dreimal pro Woche in den Wochen 1 bis 24 verabreicht. Anschließend erhielten diese Patienten ebenfalls Epoetin delta. Im Ergebnis zeigte sich eine äquivalente Effektivität von Epoetin delta und Epoetin alfa bei gleicher Erhaltungsdosis der beiden Substanzen. Es wurden nahezu identische Hb-Werte von 11,56 g/dl (Epoetin alfa) und 11,57 (Epoetin delta) erreicht. Auch das Nebenwirkungsprofil war vergleichbar.

Pharmakologische Eigenschaften

Bezogen auf die klinische Wirkung ergaben sich in den Studien keine Hinweise auf die Bildung neutralisierender Antikörper. Nach Beendung der Therapie mit Epoetin delta werden nach ein bis drei Monaten wieder die Ausgangswerte erreicht. Welchen Einfluss Epoetin delta als Wachstumsfaktor auf die Proliferation von Tumorzellen hat, kann mit derzeitiger Datenlage nicht beurteilt werden. Einige Studien zeigen jedoch mit Epoetin delta eine Tendenz zu verbessertem Überleben, was darauf hinweisen könnte, dass der Wirkstoff keine negative Wirkung auf die Tumorprogression hat.

Bei einer intravenösen Gabe von Epoetin delta steigt die Erythropoetin-Exposition proportional an. Jedoch wurde auch nach wiederholter, dreimal wöchentlicher Anwendung keine Akkumulation der Substanz beobachtet. Bei subkutaner Applikation treten maximale Serumkonzentrationen von Dynepo® zwischen 8 und 36 Stunden nach der Injektion auf. Im Vergleich zur i. v. Gabe ist die Halbwertszeit von subkutan angewendetem Epoetin delta verlängert und beträgt zwischen 27 und 33 Stunden, mit einer Bioverfügbarkeit zwischen 26 und 36%.

Wie innovativ ist das neue Erythropoetin?

Mit Epoetin delta ist erstmals ein Wirkstoff entwickelt worden, der als "vollhumanes" Erythropoetin die Behandlung renaler Anämien ermöglicht. Es kann intravenös und subkutan verabreicht werden und zeichnet sich durch eine vergleichbar gute Wirksamkeit und Verträglichkeit gegenüber anderen rekombinanten Erythropoetinen aus. Ob sich der ausschließlich humane Ursprung und die strukturellen Unterschiede zu herkömmlichen Präparaten beispielsweise mit einem geringeren immunogenen Potenzial als vorteilhafter erweisen, ist in bisherigen Untersuchungen noch nicht belegt worden. Ebenso lassen sich derzeit keine Aussagen über die langfristige Anwendung von Dynepo® machen. Auf jeden Fall interessant ist die günstige Preisstruktur des Medikamentes. Die Kosten für eine Packungseinheit der Fertigspritzen von Epoetin delta liegen durchschnittlich 30% unter denen der anderen Erythropoetinpräparate.

Quelle

Symposium der Firma Shire, "Neue Therapieoptionen bei Hyperphosphatämie und renaler Anämie", Heidelberg, 23. März 2007.

Fachinformation Dynepo® , Stand Oktober 2006.

Apothekerin Franziska Wartenberg
Erythropoetin
Erythropoetin ist ein Glykoprotein, das die Bildung von Erythrozyten aus Vorläuferzellen des Stammzellkompartiments stimuliert. Es wirkt als mitoseanregender Faktor und Differenzierungshormon. Die biologische Wirksamkeit von Erythropoetin nach intravenöser und subkutaner Anwendung wurde anhand von verschiedenen Tiermodellen in vivo nachgewiesen. Nach einer Gabe von Epoetin delta steigen die Hb-Werte und die Zahl der Erythrozyten bzw. der Reticulozyten an. Bezogen auf die klinische Wirkung ergaben sich in den klinischen Studien keine Hinweise auf die Bildung neutralisierender Antikörper gegen Epoetin delta beim Menschen. Wird die Anwendung gestoppt, so werden die Ausgangswerte der erythropoetischen Parameter innerhalb einer Erholungsphase von ein bis drei Monaten erreicht.
Die Herstellung von Epoetin delta (Dynepo®) erfolgt durch Genaktivierung aus transformierten, humanen Zellen. Epoetin delta ist zugelassen zur Behandlung einer Anämie bei Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz bei dialysierten und nicht dialysierten Patienten. Die Dosierung muss individuell so angepasst werden, dass der Hämoglobinwert in einem Zielbereich zwischen 10 und 12 g/dl liegt, die Anfangsdosis beträgt 50 IE/kg dreimal pro Woche bei intravenöser und 50 IE/kg zweimal pro Woche bei subkutaner Gabe, eine Dosisanpassung sollte aufgrund der Zeit, die für die Neubildung von Erythrozyten benötigt wird, nicht öfter als einmal im Monat erfolgen.
Epoetin delta kann intravenös oder subkutan verabreicht werden, nach entsprechender Schulung kann der Patient das Präparat selbst subkutan injizieren. Die Fertigspritzen sind mit einem Nadelsicherheitsschutz und einem Farbcodesystem ausgestattet, je nach Einheit: gelb, orange, blau, rot, schwarz.
An Nebenwirkungen wurden häufig Funktionsstörungen der Gefäße, wie Hypertonie oder Kopfschmerzen beobachtet, gelegentlich traten Störungen des Blutes, gastrointestinale Beschwerden oder Funktionsstörungen der Haut auf. Bei den Patienten kann es zu einer Blutdruckerhöhung oder Verschlechterung bestehender Hypertonie kommen, daher ist eine engmaschige Überwachung des Blutdrucks erforderlich. Plötzliches Auftreten heftiger Kopfschmerzen gilt als Warnsignal. Es wird empfohlen, regelmäßig ein komplettes Blutbild zu erstellen und Thrombozytenzählungen durchzuführen.

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