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ADEXA, Zweite Vorsitzende
Arm trotz Arbeit
In Deutschland können immer mehr Menschen trotz Vollzeitarbeit von ihrem Gehalt nicht mehr leben. Die Regierungskoalition ist sich zwar einig, dass Handlungsbedarf besteht. Über die konkreten Schritte, etwa Mindestlöhne oder das Kombilohnmodell, wird aber heftig diskutiert.
"Wir brauchen den Mindestlohn jetzt", hat Frank Bsirske, Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft verdi, die Regierung aufgefordert. Es könne nicht darum gehen, dort erst Tarifverträge zu schließen, wo es bislang keine gebe. Allerdings sichern auch die Tariflöhne in manchen Branchen keine Existenzen: Laut Information des Statistischen Bundesamts lagen die niedrigsten tariflichen Stundenlöhne Ende 2006 bei rund 5 Euro – in Ostdeutschland sogar noch darunter. Wachpersonal in Thüringen etwa bekam 4,38 Euro, Personal im Hotel- und Gaststättengewerbe in Nordrhein-Westfalen erhielt 5,25 Euro die Stunde. Im Friseurhandwerk werden im ersten Berufsjahr in Sachsen sogar nur 3,82 Euro bezahlt.
Zudem arbeiten mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland im Niedriglohnbereich außerhalb des Tarifs – manche für zwei bis drei Euro brutto pro Stunde.
Mittlerweile ist das Problem auch in den Köpfen vieler Politiker angekommen. So betont Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin (SPD), in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: "Sozial ungerecht ist, wenn jemand den ganzen Tag den Buckel krumm macht, aber von dem Lohn trotzdem seine Familie nicht ernähren kann".
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert als Richtschnur 7,50 Euro Brutto-Minimum pro Stunde.
Wer monatlich weniger als die Hälfte des durchschnittlichen Einkommens seines Landes zur Verfügung hat, gilt laut Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO als arm. In Deutschland lag nach der Definition der Europäischen Union – hier werden 60% des mittleren Einkommens als Richtschnur gesetzt – die Armutsgrenze im Jahr 2003 bei einem monatlichen Einkommen von 838 Euro. Das entspricht einem Bruttostundenlohn von 4,87 Euro.
Das pfändungsfreie Existenzminimum wird bei Alleinstehenden mit ca. 1400 Euro brutto monatlich angesetzt. Bei acht Stunden Arbeitszeit pro Tag ergibt sich ein Stundenlohn von 8,10 Euro brutto. In der europäischen Sozialcharta ist das angemessene Mindestentgelt mit 68 Prozent des nationalen Durchschnittslohns (in Deutschland 15,89 € brutto pro Stunde) taxiert. Das entspricht einem angemessenen Entgelt von 10,80 Euro brutto pro Stunde.
Vorreiter
Lediglich für das Baugewerbe, das Dachdeckerhandwerk, das Abbruchgewerbe und das Maler- und Lackiererhandwerk gab es schon länger gesetzlich festgelegte Mindestlöhne zwischen 7,15 und 12,40 Euro je nach Beruf und Region. Am 9. März wurde für Gebäudereiniger eine Lohnuntergrenze von 7,87 Euro (West) bzw. 6,36 Euro (Ost) beschlossen, indem das Entsendegesetz auf diese Branche ausgeweitet wird. Auch Arbeitgeberfunktionäre befürworteten die Entwicklung in dieser Sparte angesichts des zunehmenden Lohndumpings und der Ausbeutung der Beschäftigten – drei Euro Stundenlohn oder weniger waren keine Seltenheit.
Mindestlohn für alle Branchen?
In der Koalition ist das Thema umstritten: Nach dem Willen von Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) wird es bald Mindestlöhne für alle Branchen geben. Dabei soll in jedem Bereich mit den Tarifpartnern separat verhandelt werden. Entsprechende Vereinbarungen würden dann auch für Anbieter aus dem Ausland gelten. Die Union hingegen verhält sich eher ablehnend.
Für eine Lösung drängt allerdings die Zeit: Ab 2009 erleichtert die EU-Dienstleistungsrichtlinie Anbietern aus der EU den Zugang zum deutschen Markt. Andererseits gibt es in lediglich 18 von 27 EU-Ländern Mindestlöhne (Stand 2005). Die EU-Ratspräsidentschaft bietet die Chance zu einer Initiative, eine weitere Harmonisierung zu erwirken.
Die Gegner von gesetzlichen Mindestlöhnen vermuten einen Abbau von Arbeitsplätzen besonders bei Jugendlichen und im gering qualifizierten Bereich, verbunden mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland und einer Abwanderung in die Schwarzarbeit.
Kombilöhne: Lohnzuschüsse statt Arbeitslosengeld II
Für Beschäftigte mit sehr niedrigem Einkommen sieht Müntefering Lohnzuschüsse als beste Lösung. Seiner Meinung nach sei es "Irrsinn, dass heute gut 500.000 Vollzeitbeschäftigte so schlecht bezahlt werden, dass sie Anspruch auf ein ergänzendes Arbeitslosengeld II haben". Als Brutto-Untergrenze sehe er die 1000-Euro-Marke entsprechend 5,78 Euro pro Stunde.
Zu dem vom Arbeitgeber gezahlten Lohn wird bei diesem Konzept vom Staat ein Zuschuss gezahlt, speziell zu den Sozialversicherungsbeiträgen. Die Abwicklung solle über Steuergutschriften der Sozialbeiträge erfolgen. Gewerkschaften befürchten, dass dadurch Tariflöhne umgangen würden.
Uneinigkeit herrscht über die Finanzierung – manche Wirtschaftsexperten warnen vor "nicht überschaubaren Ausgaben in Milliardenhöhe" (Rolf Peffenkoven, ehemaliger "Wirtschaftsweiser"), andere wiederum erwarten eine "neutrale Finanzierung" (CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla). "Die Kosten müssen überschaubar bleiben", betont Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Michael van den Heuvelk Kommentar
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