Arzneimittel und Therapie

Neuer Protease-Inhibitor

Darunavir auch bei multiplen Resistenzen wirksam

Multiresistenzen und Langzeittoxizitäten machen die ständige Entwicklung neuer HIV-Therapeutika erforderlich. Mit Darunavir (Prezista®) steht ein neuer Protease-Inhibitor zur Verfügung, auf den auch intensiv vorbehandelte Patienten virologisch und immunologisch gut ansprechen. Darunavir hemmt die HIV-1-Protease in virusinfizierten Zellen und verhindert dadurch die Bildung reifer, infektiöser Viruspartikel. So können keine weiteren Zellen mehr infiziert werden.

Heute werden zur Therapie einer HIV-Infektion über 20 Wirkstoffe in unterschiedlichen Kombinationen eingesetzt. Dank verschiedener Therapieregime kann die Virusreplikation häufig unterdrückt und die Immunfunktion stabilisiert werden. Mit zunehmender Behandlungsdauer treten aber vermehrt Resistenzen auf und je länger die Therapie andauert, umso schwieriger ist es, geeignete Wirkstoffe einzusetzen. Aus diesem Grund müssen – vor allem für die Therapie intensiv vorbehandelter Patienten – neue Substanzen entwickelt werden. Bei der Entwicklung dieser neuen Wirkstoffe sind die Resistenzlage und das Nebenwirkungsspektrum zu berücksichtigen, da die Patienten aufgrund einer langen Behandlung bereits gravierende Langzeittoxizitäten (vor allem in Hinblick auf den Lipidstoffwechsel) erfahren haben. Einer dieser neuen Wirkstoffe ist der Protease-Inhibitor Darunavir, dessen klinische Wirksamkeit in randomisierten, multizentrischen Studien nachgewiesen wurde. Darunavir zeigte eine synergistische antivirale Wirkung bei Untersuchungen in Kombination mit den Proteasehemmern Ritonavir, Nelfinavir oder Amprenavir und eine additive antivirale Wirkung bei Untersuchungen in Kombination mit den Protease-Hemmern Indinavir, Saquinavir, Lopinavir, Atazanavir oder Tipranavir sowie den nukleosidischen bzw. nukleotidische Reverse-Transkriptase-Hemmern (NRTIs) Zidovudin, Zamivudin, Zalcitabin, Didanosin, Stavudin, Abacavir, Emtricitabin oder Tenofovir und den nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmern (NNRTIs) Nevirapin, Delavirdin oder Efavirenz sowie dem Fusionshemmer Enfuvirtid. Ein Antagonismus zwischen Darunavir und diesen antiretroviralen Mitteln wurde nicht beobachtet.

Im Februar 2007 wurde der Protease-Inhibitor Darunavir (TMC 114, Prezista®) von der europäischen Arzneimittelbehörde für vorbehandelte HIV-infizierte Erwachsene zugelassen, bei denen die üblichen Therapien nicht mehr anschlugen. Darunavir wird mit weiteren antiretroviralen Medikamenten im Rahmen einer HIV-Kombinationstherapie eingesetzt.

Die Substanz weist eine enge Bindung an die HIV-Protease auf. Diese Bindung wurde in vitro sowohl beim Wildtyp als auch bei Mutanten festgestellt. Die empfohlene Dosis beträgt zweimal täglich 600 mg Darunavir geboostert mit 100 mg Ritonavir. Darunavir wird fast ausschließlich über Cytochrom P450 3A4 metabolisiert und zeigt daher die bekannten Interaktionsmuster (z. B. mit Johanniskraut, Rifampicin, Carbamazepinen etc.). Die Substanz sollte mit der Nahrung eingenommen werden.

Zulassungsstudien

Wirksamkeit, optimale Dosis und Verträglichkeit von Darunavir wurden in drei randomisierten und multizentrischen Studien (POWER 1-3) ermittelt. Alle Probanden waren bereits intensiv vorbehandelt, hatten vor Studienbeginn bereits mindestens zwei Protease-Inhibitoren erhalten und zeigten Multiresistenzen. Sie erhielten auf der Basis von Resistenztests eine optimale Basistherapie mit mindestens zwei NRTIs, entweder plus geboostertes Darunavir oder einen anderen geboosterten Protease-Inhibitor (Amprenavir, Atazanavir, Lopinavir, Saquinavir) sowie optional einen Fusionshemmer (Enfuvirtid). Festgehalten wurden unter anderem die Zahl der CD4-Zellen, Nachweisbarkeit von HIV im Plasma sowie unerwünschte Wirkungen der Therapie. Weitere virologische Daten zu Darunavir wurden in der offenen POWER-3-Studie mit 327 Patienten gesammelt. Die Auswertung der drei Studien führte zu folgenden Ergebnissen:

  • Das beste virologische Ansprechen gegenüber dem Kontrollarm wurde in den Studien POWER 1 und 2 mit 600 mg Darunavir (geboostert mit 100 mg Ritonavir) erzielt (geprüft wurden vier Dosierungen). Daraufhin wurden die 48-Wochen-Daten mit dieser Dosierung aus beiden Studien gepoolt und gemeinsam analysiert (n = 131).
  • Patienten aus dem Darunavir-Arm erreichten nach 48 Wochen vier Mal häufiger eine anhaltende Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze von 50 Kopien/ml als Patienten im Kontrollarm (46% vs. 11%; p < 0,001).
  • Für Patienten im Darunavir-Arm war im Vergleich eine signifikant stärkere mittlere Absenkung der HIV-RNS nachweisbar (log10 -1,63 vs. -0,35; p < 0,001).
  • Mit Darunavir behandelte Patienten hatten zudem einen mehr als fünf mal höheren mittleren Anstieg bei der Zahl der CD4-Zellen als Patienten im Studienarm mit optimaler Basistherapie und einem Vergleichs-Protease-Inhibitor (+102 vs. +19 CD4-Zellen/mm3 ; p < 0,001).

Virologisches Versagen ist selten

Die antiretrovirale Wirksamkeit von Darunavir wurde in der offenen POWER-3-Studie bestätigt. Hier konnte nach 48 Wochen Therapie die Viruslast bei vortherapierten Patienten in 45% der Fälle unter die Nachweisgrenze gesenkt werden. Insgesamt legen die in den POWER-Studien 1-3 erzielten Ergebnisse nahe, dass mit Darunavir auch bei intensiv antiretroviral vorbehandelten Patienten zukünftig eine längerfristige vollständige Suppression der Virusreplikation erreicht werden kann. Bis zur 24. Behandlungswoche beendeten lediglich 3% der Patienten unter Darunavir vorzeitig die Therapie. Im Kontroll-Arm betrug die Abbruchrate 67%.

Günstiges Nebenwirkungsprofil

Die häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen sind Diarrhö, Nausea, Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Fatigue und Fieber. Darunavir wurde auch von lebergeschädigten Probanden (Patienten mit Hepatitis B/C) gut vertragen und zeigte keine lebertoxischen Wirkungen. Den bislang vorliegenden Daten zufolge scheinen nur mäßige Lipidveränderungen aufzutreten. Im Vergleich mit anderen Protease-Inhibitoren verursacht Darunavir etwas weniger Diarrhöen (20% vs. 28%). In den POWERStudien 1 bis 3 waren die unerwünschten Wirkungen überwiegend leicht bis mäßig ausgeprägt und führten in 9% aller Fälle zu einem Behandlungsabbruch.

Quelle

Prof. Dr. Jürgen Rockstroh, Bonn; Dr. Stefan Mauss, Düsseldorf: Pressekonferenz "Prezista® - Zukunftsarbeit in der HIV-Therapie", Dresden, 10. März 2007; veranstaltet von Tibotec, Janssen-Cilag GmbH, Neuss.

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr
Steckbrief: Darunavir
Handelsname: Prezista
Hersteller: Janssen Cilag GmbH, Neuss
Einführungsdatum: 15. März 2007
Zusammensetzung: Jede Filmtablette enthält 300 mg Darunavir (als Ethanolat). Sonstige Bestandteile: Tablettenkern: mikrokristalline Cellulose; kolloidales, wasserfreies Siliciumdioxid; Crospovidon; Magnesiumstearat. Tablettenüberzug: Polyvinylalkohol - teilhydrolysiert, Macrogol 3350, Titandioxid (E171), Talkum, Gelborange S (E110).
Packungsgrößen, Preise und PZN: 120 Filmtabletten, 867,14 Euro, PZN 0831250.
Stoffklasse: Antibiotika/Antiinfektiva, antivirale Mittel zur systemischen Anwendung; HIV-Proteaseinhibitor. ATC-Code: J05AE10.
Indikation: Darunavir zusammen mit 100 mg Ritonavir eingenommen ist indiziert in Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln zur Therapie von Infektionen mit dem humanen Immundefizienzvirus (HIV-1) bei mehrfach vorbehandelten Erwachsenen, bei denen es unter mehr als einem Behandlungsschema mit einem Proteaseinhibitor zu einem Therapieversagen gekommen ist.
Dosierung: Zweimal täglich 600/100 mg Darunavir/Ritonavir.
Gegenanzeigen: Schwere Leberfunktionsstörung. Gemeinsame Einnahme mit Rifampicin, Johanniskraut (Hypericum perforatum). Gleichzeitige Anwendung von Darunavir/Ritonavir zusammen mit aktiven Substanzen, deren Clearance in hohem Maße von CYP3A abhängig ist und bei denen erhöhte Plasmakonzentrationen mit schwerwiegenden und/oder lebensbedrohlichen Ereignissen einhergehen.
Nebenwirkungen: Kopfschmerzen, Schwindel; Erbrechen, Diarrhoe, Übelkeit, Bauchschmerzen, Obstipation, Flatulenz, Spannungsgefühl im Bauch, Dyspepsie; Hypertriglyzeridämie, Anorexie; Asthenie, Erschöpfung; Schlaflosigkeit.
Wechselwirkungen: Die gleichzeitige Einnahme von Darunavir und Ritonavir mit Arzneimitteln, die primär über CYP3A4 metabolisiert werden, kann zu erhöhten Plasmakonzentrationen dieser Arzneimittel oder Darunavir/Ritonavir führen, wodurch sich deren therapeutische Wirkung sowie Nebenwirkungen verstärken oder verlängern können. Arzneimittel, welche die CYP3A-Aktivität induzieren, können die Clearance von Darunavir und Ritonavir erhöhen, was zu niedrigeren Plasmakonzentrationen von Darunavir und Ritonavir führt.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Darunavir enthält einen Sulfonamid-Anteil und sollte bei Patienten mit bekannter Sulfonamid-Allergie mit Vorsicht angewendet werden. Während der klinischen Entwicklung wurde über Fälle schwerer Hautausschläge einschließlich Erythema multiforme und Stevens-Johnson-Syndrom berichtet. Darunavir ist bei Patienten mit schwerer Leberfunktionsstörung kontraindiziert, bei leichter oder mäßiger Leberfunktionsstörung sollte es mit Vorsicht angewendet werden. Hämophilie-Patienten sollten auf eine mögliche Zunahme von Blutungen hingewiesen werden. Bei Patienten, die eine antiretrovirale Therapie mit Proteaseinhibitoren erhielten, kam es zu der Neuentwicklung eines Diabetes mellitus, Hyperglykämie oder zur Verschlechterung eines bestehenden Diabetes mellitus. Eine antiretrovirale Kombinationstherapie wurde mit einer Umverteilung des Körperfetts (Lipodystrophie) bei HIV-infizierten Patienten in Verbindung gebracht. Obwohl die Ätiologie als multifaktoriell angesehen wird, kam es zu Fällen von Osteonekrose. Bei HIV-infizierten Patienten, die zu Beginn der kombinierten antiretroviralen Therapie an einer schwerwiegenden Immunschwäche leiden, kann eine entzündliche Reaktion auf asymptomatische oder residuale opportunistische Erreger auftreten und ernsthafte Erkrankungen oder eine Verstärkung der Symptome hervorrufen. Prezista-Tabletten enthalten Gelborange S (E110), welches allergieähnliche Reaktionen hervorrufen kann. Bei einigen Patienten kam es zu Benommenheit; dies sollte in Bezug auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen berücksichtigt werden.

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