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DAZ aktuell
Kinderarzneimittel
Verordnung schafft Klarheit
BONN (hb). Ende Januar 2007 ist die neue europäische Verordnung zu Kinderarzneimitteln ist Kraft getreten. Die DAZ hat bereits verschiedentlich hierüber berichtet (DAZ 5, 2007, S. 18-20 und S. 50-60). So schnell wird die Neuregelung allerdings in der Praxis nicht greifen. Was konkret bis wann umzusetzen ist und wo die praktischen Schwierigkeiten liegen könnten, wurde bei einer Veranstaltung von Colloquium Pharmaceuticum am 7. März 2007 in Bonn diskutiert.
Mit der neuen Verordnung wird die Arzneimittelanwendung an Kindern zu einem integralen Bestandteil jeder Arzneimittelzulassung. Die Erforschung an Kindern ist damit nicht mehr allein der unternehmerischen Entscheidung überlassen, sondern wird zu einer allgemeinen Verpflichtung. Bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt in der klinischen Entwicklung, nämlich spätestens bei Abschluss der pharmakokinetischen Studien an Erwachsenen, muss ein pädiatrisches Prüfkonzept (PIP) zur Genehmigung eingereicht werden, dessen Abarbeitung in der Folge streng überwacht wird.
Von der Verpflichtung zur Vorlage eines PIP ausgenommen sind Generika, Biosimilars, bekannte Wirkstoffe (well-established use) sowie registrierte Homöopathika und traditionelle pflanzliche Arzneimittel. Darüber hinaus kann ein Antragsteller mit einer triftigen Begründung – etwa bei Erkrankungen, die nur bei Erwachsenen vorkommen – hiervon entbunden werden (waiver) oder die Durchführung von Studien kann zurückgestellt werden (deferral).
Bei der europäischen Arzneimittelagentur wird ein Ausschuss für Kinderarzneimittel eingerichtet, der sowohl den pädiatrischen Entwicklungsplan beurteilt und genehmigt als auch über Freistellungen (waivers) und Rückstellungen (deferrals) entscheidet.
… und Anreize zur Forschung
Neben der umfassenden Verpflichtung zur Durchführung von Studien an Kindern schafft die Verordnung aber auch Anreize hierzu, etwa durch eine Verlängerung des Patentschutzes und einen besonderen Unterlagenschutz (siehe Aufstellung). So kann für Arzneimittel ohne Patentschutz optional eine "Pediatric Use Marketing Authorization" (PUMA) erworben werden. Alle Vergünstigungen sind jedoch an diverse Voraussetzungen geknüpft.
Vermarktungszwang für Kinderarzneimittel
Arzneimittel mit einer zugelassenen Kinderindikation unter Inanspruchnahme der Vergünstigungen müssen in dieser Indikation innerhalb von zwei Jahren nach der Genehmigung vermarktet werden. Hat ein Zulassungsinhaber kein Interesse mehr an der Vermarktung, so muss er die Zulassung einem anderen Inverkehrbringer übertragen oder Zugriffsrechte auf die Unterlagen gewähren, damit die Zulassung weiter genutzt werden kann.
Keine Verzögerung der Erwachsenenzulassung
Der Anwendungsbereich der Verordnung ist weit gefasst. Daher warnt die Industrie, so die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Prof. Dr. Barbara Sickmüller, vor überzogenen behördlichen Forderungen. Sie richtet vielmehr den Appell an die Zulassungsbehörden, nicht zuletzt zum Schutz der Kinder so weit wissenschaftlich machbar und vertretbar, auch extrapolierte Daten an Erwachsenen zu akzeptieren. Außerdem stellt die Verordnung eindeutig fest, dass die Erforschung der Kinderindikationen nicht zu einer verzögerten Zulassung für die Erwachsenen führen darf. Dennoch bestehen in der Industrie diesbezüglich einige Befürchtungen. Schließlich darf ein Antrag auf Zulassung insgesamt erst dann vorgelegt werden, wenn die Studienergebnisse entsprechend dem PIP ebenfalls verfügbar sind. Aufschub wird gegebenenfalls gewährt, jedoch ist der mit einem "deferral" verbundene bürokratische Aufwand derzeit nur schwer abzuschätzen. Vorausgesetzt, die Maxime "keine Verzögerung der Erwachsenenzulassung" wird tatsächlich eingehalten, dürfte die entsprechende "Kinderzulassung" bedingt durch das Genehmigungsprozedere regelmäßig wohl erst später kommen, so die Einschätzung der anwesenden Experten aus den Pharmaunternehmen.
Allgemeine Verbesserung der Transparenz
Über die Regulierung der Zulassungsverfahren zielt die Verordnung über Kinderarzneimittel auch darauf ab, die Transparenz bezüglich der pädiatrischen Therapie innerhalb der EU insgesamt zu erhöhen. Maßnahmen hierzu sind:
• ein europäisches Register für klinische Studien an Kindern,
• ein Inventar des Therapiebedarfs der pädiatrischen Bevölkerung,
• die Einrichtung eines europäischen pädiatrischen Forschungsnetzwerks,
• die umfassende Verpflichtung der Pharmaunternehmen zur Vorlage von Studien an Kindern bei den Behörden (auch außerhalb des PIP),
• ergänzende Angaben zur Anwendung bei Kindern in der Fachinformation und in der Packungsbeilage,
• ein Symbol auf der Arzneimittelpackung, anhand dessen jedes "Kinderarzneimittel" sofort als solches erkennbar ist.
Einigkeit bestand bei der Veranstaltung in der Hoffnung, dass sich die Situation der medikamentösen Versorgung von Kindern in Zukunft deutlich verbessern müsste. Der Erfolg steht und fällt allerdings mit der Bereitschaft der Eltern, ihre Kinder an klinischen Studien teilnehmen zu lassen. Auch diesbezüglich könnten die neuen, transparenteren Rahmenbedingungen helfen, Vorbehalte und Ängste abzubauen, so die einhellige Meinung. Seitens der Industrie wird darüber hinaus sehr positiv bewertet, dass bezüglich der Erforschung von Arzneimitteln an Kindern bereits das grundsätzliche Bemühen um neue Erkenntnisse durch Anreize honoriert wird und nicht, wie ansonsten üblich, erst der Erfolg, das heißt der positive Ausgang einer Studie.
- Einrichtung eines Pädiatrie-Ausschusses (PDCO) bei der EMEA bis zum 26. Juli 2007
- Verpflichtung zur Vorlage eines pädiatrischen Entwicklungsplans
- Pediatric Investigation Plan (PIP)) zusammen mit dem Zulassungsantrag: – für alle neuen Arzneimittel, die bis zum Inkrafttreten der Verordnung noch nicht zugelassen waren ab dem 26. Juli 2008,
- – für line-extensions bei Arzneimitteln mit Patenschutz oder ergänzendem Schutzzertifikat, ab dem 26. Januar 2009
- – Verpflichtung der Zulassungsinhaber zur Vorlage von Studien an Kindern, die vor Inkrafttreten der Verordnung abgeschlossen waren bei den Zulassungsbehörden bis zum 26. Januar 2008
- Anreizsysteme: – Arzneimittel mit Stoff-Patent oder ergänzendem Schutzzertifikat: Verlängerung des Patentschutzes um sechs Monate,
- – Arzneimittel ohne Patentschutz: optional spezielle Kinderzulassung (PUMA) mit Unterlagenschutz (acht Jahre) sowie zwei Jahre Marktexklusivität, möglich ab dem 26. Juli 2007
- Symbol für Kinderarzneimittel: – Bestimmung des Symbols zur Kennzeichnung von Arzneimitteln mit pädiatrischen Indikationen bis zum 26. Januar 2008
- – Anbringung dieses Symbols auf der äußeren Umhüllung jedes Arzneimittels mit pädiatrischer Indikation und Erläuterung in der Packungsbeilage bis zum 26. Januar 2010, gilt rückwirkend auch für Arzneimittel, die vor Inkrafttreten der Kinderarzneimittelverordnung eine pädiatrische Indikation erhalten haben.
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