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Auf dünnem Eis
Zeitenwende, Wendezeit – für uns Apothekerinnen und Apotheker war es diesmal nicht leicht, die Feiertage ungetrübt zu genießen. Zu groß sind die Unsicherheiten, zu massiv ist die Drohkulisse.
Wesentliche Entscheidungen über die endgültige Ausgestaltung des angestrebten GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes sind noch in der Schwebe. Wie wird die Bundesregierung auf die schallenden Ohrfeigen reagieren, die ihr der Bundesrat mit seinen mehr als hundert Änderungsanträgen zum GKV-WSG verpasste?
Gleichermaßen wichtig ist: Wann und wie wird die Politik auf das im wörtlichen Sinn im schlimmsten Fall bahnbrechende Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster vom 7. November 2006 reagieren, das leicht zu einem Flächenbrand führen kann? Es ging konkret um eine vom Verwaltungsgericht Düsseldorf zunächst untersagte "Kooperation" zwischen der dm-Drogeriekette und einer niederländischen Versandapotheke. Das OVG entschied im Hauptsacheverfahren komplett anders. Mit einer zusätzlichen Entscheidung vom 27. Dezember 2006 ermöglichte es sogar, die anfangs untersagte Praxis zunächst wieder aufzunehmen.
Folgt man der Argumentation des OVG-Urteils vom November, könnten Patienten künftig irgendwo im Einzelhandel (oder in der Kneipe an der Ecke, oder im Eroscenter) Rezepte über apotheken- oder verschreibungspflichtige Arzneimittel (selbst über Betäubungsmittel) abgeben. Die Rezepte gelangen von dort – vermutlich nicht ohne eine "kleine Vergütung" – an eine Versandapotheke. Diese liefert die Arzneimittel z. B. an das Einzelhandelsgeschäft (oder das Eroscenter), wo sie von den Patienten abgeholt werden können.
Mit diesem Verfahren werden zentrale Verbraucherschutzregelungen im Arzneimittel- und Apothekenrecht ausgehebelt. "Vorbild für Absurdistan?" – unsere Frage bleibt aktuell (vgl. DAZ 2006, Nr. 49, S. 3). Das OVG meinte, nicht anders entscheiden zu können und zu dürfen. Schließlich habe der Gesetzgeber grünes Licht für den Versandhandel mit Arzneimitteln gegeben. Dieser sei sicher nicht weniger gefährlich als das von der dm-Kette initiierte Verfahren.
Letzteres mag sein – allein das ist schon Grund, den Arzneiversand (durchaus europarechtskonform) für verschreibungspflichtige Arzneimittel wieder gänzlich zu verbieten. Aber: Auch was die Versorgungssicherheit angeht, müssten bei der Politik nun alle Alarmglocken läuten. Wer kann glauben, dass unter den neuen Rahmenbedingungen für die Akutversorgung, für Not- und Nachtdienst, für Rezepturen, für alles, was aufwändig, aber gleichwohl notwendig ist – dass dafür in Zukunft flächendeckend noch genügend Apotheken den Versorgungstrottel spielen würden?
Vor diesem Hintergrund kann die Politik nicht abwarten. Das OVG Münster hat nicht einmal Revision gegen sein Urteil zugelassen. Dagegen läuft eine Beschwerde. Wann und wie darüber entschieden wird, steht in den Sternen. Inzwischen entstehen Schäden, die kaum noch zu korrigieren sind. Aussitzen geht nicht!
Das ginge schon eher beim GKV-WSG. Die auch innerhalb der Parteien zerstrittenen Großkoalitionäre haben, um politisch Luft aus dem Kessel zu lassen, für wichtige Teile der anvisierten Reform das Inkrafttreten bereits auf die Jahre 2007 bis 2009 oder sogar 2010 verschoben – und damit auf den St. Nimmerleinstag? So fragen Skeptiker.
Ob das – für die Arzneiversorgung und für uns freilich extrem wichtige – Restprogramm des GKV-WSG wirklich zum 1. April Gesetzeskraft erlangt, ist derzeit auch nicht mehr wirklich sicher. Denn die in kleinen, internen Koalitionsrunden zwischen CDU/CSU und SPD ausgekungelten Neuregelungen sind vom Bundesrat in einer Weise abgewatscht worden, die schon Erstaunen auslöst. Da blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Es rächte sich, dass die großkoalitionären Verhandler – ohne den Sachverstand der Beteiligten ernsthaft zu hören – in Hinterzimmern Entscheidungen übers Knie gebrochen haben, die sie in ihren Konsequenzen nicht überschauen konnten. Der Bundesrat forderte – gestützt auf das Urteil von sachkundigen Beamten in den Ländern – radikale Korrekturen. Demnach soll es im Interesse einer flächendeckenden Versorgung bei den derzeitigen Regelungen der Arzneimittelpreisverordnung, also auch beim Festpreissystem für verschreibungspflichtige Arzneimittel bleiben. Die vorgesehene Möglichkeit, auf Zuzahlung zu verzichten, sei kontraproduktiv, sie führe zu Fehlanreizen. Auch die korruptionsfördernden Neuregelungen bei Praxisbedarf und Hilfsmitteln sollen ersatzlos entfallen … und, und, und (vgl. DAZ 2006, Nr. 51/52, S. 20).
Es bleibt abzuwarten, ob die Bundesländer (gerade Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen) auch bei den Fragen der Arzneimittelversorgung ordnungspolitisch auf Kurs bleiben. Schlimm wäre, wenn sie sich hier ihren Schneid abkaufen ließen, weil die Bundesregierung Zugeständnisse beim Länderfinanzausgleich signalisiert.
Sie sehen: Das Eis ist dünn, auf dem wir ins Jahr 2007 starten.
Klaus G. Brauer
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