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Mikrobiologie: Metagenomik des Pansens
Die moderne Kuh hat es nicht einfach. 9000 kg Milch im Jahr soll sie geben, einen guten Fleischansatz haben und dabei gesund bleiben. Die notwendige intensive Fütterung beansprucht dabei den hochspezialisierten Verdauungstrakt außerordentlich. Rinder leiden immer häufiger an Stoffwechselerkrankungen, die unter dem Begriff der Leistungskrankheit zusammengefasst werden. Speziell der Pansen ist von wissenschaftlichem Interesse, um die wachsende Diskrepanz zwischen Leistungssteigerung und Verdauungsleistung wieder ausgleichen zu können. Doch gerade er ist bis jetzt wenig erforscht. Das soll nun anders werden.
Geschichtete Gärkammer
Das Vormagensystem des Rindes besteht aus der Haube (Netzmagen, Reticulum), dem Pansen (Rumen) und dem Blättermagen (Psalter, Omasum) und hat ein Volumen von 200 Litern. Der eigentliche Magen ist der Labmagen (Abomasum). Das grob gekaute Futter wird durch Kontraktion und Relaxation zwischen Haube und Pansen gemischt, gröbere Bestandteile kaut die Kuh wieder, denn bevor das Futter in den Psalter gelangt, müssen die groben Pflanzenfasern verdaut sein.
Der Pansen, auf den 80 Prozent des Vormagensystems entfallen, kann als geschichtete Gärkammer bezeichnet werden: Die stabile Faserschicht (Fasermatte) schwimmt auf der Pansenflüssigkeit, über ihr liegt die Gasphase. In der Fasermatte ist die mikrobielle und enzymatische Aktivität weitaus am größten.
Die fibrillären Zellwände der Futterpflanzen bestehen zum großen Teil aus den Polysacchariden Cellulose, Hemicellulose, Lignin, Xylan, Xylooligomeren, Stärke, Amylopektin und Amylose. Ihr Abbau erfordert die entsprechenden fibrolytischen und amylolytischen Enzyme wie Hemicellulasen, Xylasen, beta-Xylanasen, Arabinofuranosidasen, Cellulasen, Glucanohydrolasen, Endoglucanasen, Amylasen, Phenolsäureesterasen und Acetylxylanesterasen, die von den Mikroben im Pansen zur Verfügung gestellt werden.
Schwarzer Kasten
Der Pansen, ein anaerobes, großenteils mikroaerophiles Habitat mit einem sehr schnellen Abbau der pflanzlichen Polymere und einem hohen Substratdurchfluss, gleicht noch immer einem schwarzen Kasten. Sein mikrobiologisches Milieu lässt sich nicht im Labor nachbilden, weshalb viele der Mikroorganismen sich nicht in vitro kultivieren lassen. Es sind überwiegend obligat anaerobe Pilze, Protozoen, Bakterien und Archaea (Urbakterien). Die Archaea vollenden die anaerobe Fermentation, indem sie Wasserstoff verbrauchen und Methan produzieren. Von großem Interesse sind aber vor allem die Pilze und Bakterien, die die großen Pflanzenfasern zersetzen.
Bisher wurde den Mikroorganismen des Pansens mit den üblichen genetischen Verfahren zu Leibe gerückt. Das heißt, es wurde nach bekannten RNA- und DNA-Sequenzen gesucht. Diese Strategie hat den Nachteil, dass eben nur Organismen mit bereits bekannten Eigenschaften gefunden werden. Es lassen sich so keine Enzyme mit womöglich neuen Eigenschaften finden, die von Genen mit unbekannter Basensequenz codiert werden. Jetzt soll es die Metagenomik richten: Aus dem Pansen wird DNA gewonnen, durch "Schrotschuss" fragmentiert und in Bakterien kloniert. So entsteht eine Gen-Datenbank, mit der sich ganze Genome rekonstruieren lassen. Diese Methode wurde erstmals 1985 vorgestellt. Populär gemacht hat sie aber der unkonventionelle US-amerikanische Forscher Greg Venter bei der Analyse des Humangenoms. Danach hat er sie in seinem Metagenomikprojekt "Sargassosee" eingesetzt.
Sequenzierung mit Schrotschuss
"Schrotschuss" bedeutet, dass die gefundene DNA mindestens zweimal nach unterschiedlichen Verfahren in große Bruchstücke zerlegt wird. Die Bruchstücke lassen sich nach der Sequenzierung durch die Identifizierung der überlappenden DNA-Sequenzen virtuell wieder zusammenfügen. Mit Hilfe der Bayes-Inferenz, einem mathematischen Verfahren der Wahrscheinlichkeitstheorie, das beispielsweise auch in der Klimaforschung zur Errechnung von Durchschnittstemperaturen genutzt wird, wird nun die jeweils kürzeste Gesamtsequenz als wahrscheinlichste angenommen. Auf diese Weise erhält man - zumindest theoretisch - aus einer riesigen Zahl von DNA-Bruchstücken wieder die Genome einzelner Mikroorganismen. In diesen sucht man dann beispielsweise nach Start- und Stopp-Codons und kann sukzessive mittels PCR nach unbekannten Genen und deren Produkten suchen.
Mit CpG-Inseln Gene aufspüren
Den stochastischen Prozess so genannter Markov-Ketten nutzt man, um in der DNA CpG-Inseln zu finden. CpG (Cytidin-phosphatidyl-Guanosin) ist ein Dinucleotid, das im Promotorbereich von Genen überdurchschnittlich häufig auftritt und deshalb hilft Gene aufzuspüren. Die Arbeitsgruppe von Venter hat mit dieser Strategie mehr als 69.000 bisher unbekannte Gene identifiziert und mindestens 1800 Mikroorganismen-Spezies unterschieden. Die Größe der öffentlichen Proteindatenbank wurde mit einem Schlag verdoppelt.
Mit der metagenomischen Analyse fanden Forscher der GBF (Gesellschaft für biotechnologische Forschung) in Braunschweig in einer internationalen Zusammenarbeit nicht nur Dutzende bisher unbekannter Bakterien im Pansen einer neuseeländischen Milchkuh, sondern auch Gene für vollkommen neuartige Enzyme, die dem Verdau der Pflanzenfasern dienen. In einer aktuellen Arbeit sind 22 Enzyme mit hydrolytischer Aktivität gefunden worden: zwölf Esterasen, neun Endoglucanasen und eine Cyclodextrinase [1]. Vier davon zeigen keinerlei Ähnlichkeit mit bekannten Enzymen. Dies ist ein großer Erfolg, zumal nur sieben Prozent der gefundenen DNA-Klone bisher untersucht worden sind. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass die überall auf der Welt entstehenden Metagenombibliotheken völlig neuartige Enzyme für ebenso neue biotechnologische Anwendungen in sich bergen (Tab. 1).
Es gibt viel zu tun
Die Gesamtzahl an prokaryontischen Zellen der Erde wird derzeit auf 4 bis 6 1030 geschätzt, die sich in 106 bis 108 Genotypen unterscheiden lassen sollen.
Stimmen die Zahlen annähernd, harrt ein gewaltiges Potenzial an genetischer Information der Entdeckung. Viele Gene, ja ganze Stoffwechselwege mit vollkommen neuartigen Eigenschaften sind bei systematischer Suche zu erwarten. Das Potenzial schlummert also nicht nur im Pansen. Interessant erscheinen auch der Mund und die Haut des Menschen, die Mikrobenpopulationen von Krankenhäusern, der Boden oder die Symbionten des Röhrenwurms Riftia pachyptila (Tab. 1).
Die metagenomische Analyse ergibt zunächst einen spezifischen "funktionellen Fingerabdruck". Er lässt sehr schnell erkennen, ob sich die Milieus zweier ähnlicher Habitate stark unterscheiden oder nicht. Denn jedes Ökosystem weist eine spezifische Anreicherung mit bestimmten Genklassen auf.
Mit einer genaueren Analyse lässt sich beispielsweise sagen, wie hoch der Nährstoffanteil im Boden oder die Verschmutzung des untersuchten Flusses ist.
Die biotechnologische Industrie und nicht zuletzt die Pharmazie haben ein unerschöpfliches Reservoir an "Bodenschätzen" vor sich, die es zu heben gilt.
Die Forschung spricht nicht von ungefähr von "gene mining" (Gen-Bergbau).
Der Lebensraum Pansen ist ähnlich schwierig zu untersuchen, wie der Meeresboden, so Professor Kenneth Timmis von der GBF in Braunschweig.
Über 1000 verschiedene Bakterien und Pilze sollen im Darm leben. Die Gesamtzahl der intestinalen Bakterien eines Menschen wird auf 100 Billionen geschätzt. Eine Arbeitsgruppe der Universität Kiel versucht zu klären, ob die Zusammensetzung der Darmflora durch die Gene des Menschen bestimmt wird, und untersucht deshalb den Stuhl von ganzen Familien. Wer Stuhlproben spenden will, wende sich an: www.ikmb.uni-kiel.de/research/bacteria/sampleinfo_german.pdf.
Marine Ökologie www.megx.net
Deutsches Umweltgenomikprojekt www.regx.de
Intestinale Metagenomik www.ikmb.uni-kiel.de/research/bacteria.html
Neue Enzyme aus dem Metagenom www.microbialcellfactories.com
Institut für marine Biotechnologie in Greifswald www.marine-biotechnologie.de
Greg Venters Sargassosee-Projekt www.sorcerer2expedition.org
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