Kongress

W. CaesarLSD und andere (Arznei-) Drogen (Bericht vo

Zu den erstaunlichsten Entdeckungen der Naturstoffchemie im 20. Jahrhundert zählt zweifellos das LSD. Zu Ehren ihres Entdeckers Albert Hofmann, der am 11. Januar 100 Jahre alt geworden ist, fand vom 13. bis 15. Januar in Basel das internationale Symposium "LSD Ų Sorgenkind und Wunderdroge" statt. In diesem Rahmen gab die Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung einen Überblick über die Gewinnung und Optimierung von "Arzneistoffen aus der Natur" in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie ehrte damit zugleich ihr jahrzehntelanges Ehrenmitglied Albert Hofmann.

Das griechische Wort "pharmakon", von dem sich sowohl die Pharmazie als auch die (vergleichsweise junge) Pharmakologie ableiten, ist ambivalent; schon bei den alten Griechen bedeutete es – je nach dem Zusammenhang – Arznei oder Gift, und der frühneuzeitliche Arzt Paracelsus gab die klassische Definition, dass alle Stoffe potenziell giftig sind und nur die Dosis darüber entscheidet, ob sie im Einzelfall tatsächlich giftig wirken ("dosis facit venenum"). Damit ist natürlich nicht im Umkehrschluss gesagt, dass dem Menschen alle Substanzen nützen, die ihm nicht schaden. Dass die Wirkungen der Arzneipflanzen in den meisten Fällen nicht nur ambivalent, sondern höchst komplex sind, belegte Prof. Dr. Wolfgang Kubelka, Wien, exemplarisch an einigen Arzneidrogen, die in der Geschichte der Pharmakognosie und Pharmazeutischen Biologie eine größere Rolle gespielt haben.

Pflanze, Extrakt, Reinsubstanz

Pflanzen lassen sich unter diätetischem Aspekt in vier Gruppen einteilen: Sie sind

  • essbar,
  • ungenießbar,
  • giftig oder
  • heilkräftig.

Die Kategorisierung erfolgte aufgrund der kollektiven Erfahrung und war damit ein kulturell geprägter Prozess. Die Auswahl bestimmter Pflanzen für heilkundliche Zwecke war der erste Schritt, an den sich die vielen möglichen Schritte der Zubereitung, insbesondere der Extraktion, anschlossen. Pflanzen mit stark wirksamen Inhaltsstoffen waren aus heilkundlicher Sicht einerseits interessant, andererseits problematisch, weil bei ihnen der Wirkstoffgehalt der Droge schwankt und somit die Wirksamkeit einer gleichen Dosis im Menschen nicht reproduzierbar ist; bei Wirkstoffen mit engem therapeutischen Fenster drohte somit die Gefahr, dass der Effekt ganz unterblieb oder viel zu stark war. Um unter diesen ungünstigen Voraussetzungen die idealen Bedingungen für die Anwendung von Digitalis zu finden, stellte der Arzt William Withering (1741 – 1799) akribische Beobachtungen an, die sich über zehn Jahre hinzogen und alle möglichen Aspekte einbezogen: vom Wuchsort der Pflanze über den Zeitpunkt der Ernte ihrer Blätter bis zur Art der Zubereitung und schließlich der Dosis.

Einigermaßen sicher wurde die Therapie mit Digitalis aber erst, seitdem ab 1874 die herzwirksamen Glykoside isoliert und charakterisiert wurden. Schon kurz nach 1800 war durch wiederholte Extraktion die Isolierung des Morphins aus Opium gelungen, die insofern eine neue Ära der Pharmazie einläutete, als Morphin das erste rein dargestellte Alkaloid war. Am Morphin zeigte sich auch deutlicher als beim Opium ein besonderer Aspekt bestimmter Wirkstoffe: die individuelle Gewöhnung, die zur kontinuierlichen Dosissteigerung und damit zur Arzneimittelabhängigkeit bzw. Sucht führen kann. Es lag nahe, eine Sucht durch Arzneistoffe zu kurieren, doch dieser Ansatz war anfangs von katastrophalen Misserfolgen begleitet. So glaubte Sigmund Freud 1884, dass das Cocain ein probates Mittel zur Behandlung von Morphinisten sei. Noch verhängnisvoller war der Einsatz des 1898 in den Markt eingeführten Heroins für dieselbe Indikation.

Spiel mit der Natur

Heroin ist ein frühes Beispiel für die partialsynthetische Abwandlung eines Naturstoffs, in diesem Fall durch Diacetylierung. Das Ziel solcher Molekülvariationen besteht in der Regel darin, die pharmakologischen Eigenschaften hinsichtlich Wirksamkeit, Nebenwirkungsprofil und Verträglichkeit zu optimieren. Manchmal zeigen sich aber auch unerwartete Wirkungen der Derivate, die zu völlig neuen Indikationen führen können.

Generell ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass ein Molekül mit biologischer Aktivität mehr als ein Wirkprinzip hat und sehr verschiedenartige Wirkungen hervorrufen kann. Dies gilt umso mehr für Gruppen strukturell ähnlicher Substanzen. Ein gutes Beispiel dafür sind die Mutterkornalkaloide. Sie werden im Mutterkorn, dem vom Pilz Claviceps purpurea befallenen Roggenkorn, gebildet und blockieren α-Rezeptoren. Früher, als das Mutterkorn nach verregneten Sommern in größeren Mengen ins Mehl gelangte und mit dem Brot verzehrt wurde, verursachte es massenhaft schwere Durchblutungsstörungen mit Nekrosen (Gangrän). Es wurde aber auch gebärenden Frauen verabreicht, um die Wehen einzuleiten (daher Mutterkorn).

Albert Stoll isolierte 1918 aus dem Mutterkorn das Ergotamin, später zusammen mit Albert Hofmann das Ergometrin. Hofmann fand 1938 die Lysergsäure, den Grundbaustein der Mutterkornalkaloide, den er zur Synthese neuer Substanzen verwendete. Eins dieser Derivate, das LSD-25, enttäuschte hinsichtlich seiner erhofften sympathomimetischen Wirksamkeit, überraschte aber durch seine außerordentlich große Halluzinogenität. Diese Wirkung kommt durch eine extreme Störung der Neurotransmitter-Balance im zentralen Nervensystem zustande.

Cannabis – mehr als eine Rauschdroge

Eine der ältesten Kulturpflanzen ist Cannabis, der Hanf. Schon Hildegard von Bingen (12. Jh.) empfahl ihn gegen Kopfschmerzen. Heute ist Cannabis eine der weltweit am meisten konsumierten Drogen. Die Zahl der regelmäßigen Anwender wird auf 500 Millionen geschätzt, wie der Phytopharmakologe Prof. Dr. Rudolf Brenneisen, Bern, ausführte. Die intensive Erforschung der im Hanf enthaltenen Wirkstoffe, der Cannabinoide, und ihrer Wirkmechanismen begann vor etwa zwanzig Jahren und führte nicht zuletzt zu neuen Erkenntnissen der menschlichen Physiologie:

  • 1988: Entdeckung des Cannabinoid-Rezeptors, eines G-Protein-gekoppelten transmembranären Proteins; der CB-Rezeptor ist stammesgeschichtlich sehr alt, denn er wurde nicht nur in allen Wirbeltieren, sondern z. B. auch in Muscheln und Seeigeln entdeckt.
  • 1992: Entdeckung des ersten endogenen Liganden des CB-Rezeptors: Anandamid, ein Ethanolamid-Derivat der Arachidonsäure.
  • 1993: Entdeckung eines zweiten Subtyps des CB-Rezeptors; seither Unterscheidung zwischen CB1 und CB2.
  • 1994: Entwicklung des synthetischen CB1-Rezeptor-Liganden Rimonabant (Acomplia®).
  • 1997: Entdeckung eines weiteren endogenen CB1/2-Rezeptor-Liganden: 2-Arachidonylglycerol.

Die CB-Rezeptoren kommen fast im gesamten Körper vor, doch schließen die beiden Subtypen einander nahezu aus. CB1 findet sich vor allem im Hirn, CB2 in den übrigen Körperteilen.

Ein sehr komplexes System

Das Endocannabinoidsystem ist sehr eng mit anderen Regulationssystemen des Körpers verbunden. Es interagiert mit etwa zwanzig Wirkstoffgruppen wie Endorphinen, Catecholaminen, Glucocorticoiden, GABA und Prostaglandinen und hat u. a. eine Bedeutung für

  • die seelische Stimmung,
  • die Schmerzempfindung,
  • den Schlaf,
  • den Appetit,
  • das Sexualleben,
  • die gastrointestinalen Funktionen.

Beispielsweise sind bei physischem Stress sowohl Endocannabinoid- als auch Endorphinspiegel erhöht, was darauf hindeutet, dass beide Systeme einander ergänzen. Um die CB-Rezeptoren als therapeutische Targets zu nutzen, bieten sich sowohl Extrakte aus Cannabis als auch die darin enthaltenen chemisch definierten Reinsubstanzen an. Ein auf Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) standardisierter Cannabis-Extrakt, der als sublinguales Spray appliziert wird, ist in Kanada unter dem Namen Sativex® für die Linderung neuropathischer Schmerzen bei multipler Sklerose zugelassen. Derzeit prüft eine klinische Studie die neuroprotektive Wirksamkeit von Cannabis bei Patienten mit amyotropher Lateralsklerose (Muskelschwund); bei Patienten mit Glaukom hat das Rauchen von Cannabis-Zigaretten einen positiven therapeutischen Effekt.

Selektive CB1-Agonisten steigern den Appetit, was sie für die symptomatische Therapie von Aids, Krebs und Anorexie geeignet erscheinen lässt; entsprechend sind CB1-Antagonisten potenzielle Medikamente gegen Fettsucht und die unerwünschte Gewichtszunahme während der Raucherentwöhnung. THC reduziert die Größe von Hirntumoren, und CBD wirkt bei Kindern mit ansonsten therapieresistenter Epilepsie antikonvulsiv. Man darf gespannt sein, ob die pharmakologische und klinische Forschung demnächst zu neuen Medikamenten auf der Basis von Cannnabis führt.

Ein unerschöpfliches Reservoir

Die Natur stellt auf absehbare Zeit ein unerschöpfliches Reservoir neuer Wirksubstanzen dar. Statistisch haben biosynthetische Reinsubstanzen ein größeres therapeutisches Potenzial als künstlich synthetisierte Stoffe, legte der Pharmazeutische Biologe Prof. Dr. Matthias Hamburger, Basel, dar. Da sie meistens eine komplexe Struktur mit mehreren Chiralitätszentren besitzen und aufgrund dessen sehr individuelle physikochemische Eigenschaften haben, ist die Wahrscheinlichkeit relativ hoch, dass sie nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip selektiv mit bestimmten körpereigenen Rezeptoren interagieren. Anders ausgedrückt: Biosynthetische Moleküle passen eher zu organischen Strukturen als reine Synthetika.

Derzeit sind mehr als 200.000 Sekundärstoffe bekannt. Vermutlich stellen sie nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs dar. Doch wo in der Natur erscheint die Suche nach den Wirksubstanzen von morgen am aussichtsreichsten? Vor allem in den bisher wenig erforschten Bereichen der Biosphäre, als da sind die mannigfaltigen Bewohner der Meere oder die Insekten oder verschiedene niedere Organismen. So hat man in der Leber des Hais Squalus acanthias das Squalamin und in Myxobakterien die Epothilone entdecket, jeweils Krebstherapeutika, die aufgrund ihrer neuen Wirkprinzipien die herkömmlichen zytotoxischen Medikamente ergänzen.

Wie will man die Wirkstoffe in der Flut der Substanzen möglichst schnell identifizieren? Durch Mikrofraktionierung der Extrakte und ihre weitgehend automatisierte Testung in verschiedenen Bioassays (Mikrotiterplatten).

Wie kann man das therapeutische Potenzial und die toxikologische Unbedenklichkeit der Wirkstoffe abschätzen, ohne aufwändige pharmakologische Tests durchführen zu müssen? Durch virtuelles Screening am Computer, d.h. die datengestützte Vorhersage der Interaktion mit bestimmten Rezeptoren. Bisher sind etwa 100.000 Substanzen auf diese Weise gescreent worden; dabei wurde z. B. in Analogie zum Komplex von Acetylcholinesterase (ACh) mit dem ACh-Hemmer Galantamin entdeckt, dass auch das Cumarin Scopolin ein potenter ACh-Hemmer ist.

Je mehr man über die Entstehung von Krankheiten weiß, desto größer ist die Chance, ihnen gezielt vorzubeugen. Pathogene Faktoren und Anzeichen lassen sich auf allen Ebenen der biologischen Reproduktion finden: in den Genen, in der Boten-RNA, im Proteom, im Metabolom und schließlich in der klinischen Symptomatik. Nachdem man im letzten Jahrzehnt das menschliche Genom entschlüsselt hat, konzentrieren sich nun die Forschungen auf das Transkriptom. Dabei geht es um die Frage: Welche Stoffe schalten welche Gene an oder aus und nehmen dadurch Einfluss auf die Biosynthese der Proteine? Derzeit werden groß angelegte Transkriptom-Analysen an einer Auswahl von 38.000 menschlichen Genen vorgenommen.

LSD – eine verpasste Chance?

Was hat nun die moderne Naturstoffforschung mit LSD zu tun? Nach Meinung von Prof. Dr. Rudolf Bauer, Graz, dem Präsidenten der Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung und Moderator des Seminars, hat LSD unter allen natürlichen Wirkstoffen, die im letzten Jahrhundert isoliert worden sind, das größte allgemeine Interesse gefunden. Aus wissenschaftlicher Sicht fasziniert vor alle die Pharmakologie des LSD. Es wirkt hochpotent im Mikrogramm-Bereich, und scheint nicht einmal in Überdosierungen toxisch zu sein, was aber natürlich nicht ausschließt, dass die Anwendung der halluzinogenen Droge lebensgefährlich sein kann. Dennoch: LSD ist derzeit kein bevorzugtes Objekt der Naturstoffforschung. Das hat das Seminar in Basel klar gezeigt.

LSD wurde in der 50er- und 60er-Jahren von der Firma Sandoz unter dem Namen Lysergid® in den Handel gebracht. Dass es nach seiner anfangs Erfolg versprechenden Anwendung in der Psychiatrie zu einem gesellschaftlichen Problem wurde und daraufhin verboten oder zumindest geächtet wurde, beklagen der Entdecker Albert Hofmann und viele andere Wissenschaftler – und noch mehr Künstler – bis heute. LSD hat keinen anerkannten Platz in unserer Gesellschaft gefunden, das heißt: Wer LSD nimmt, stellt sich außerhalb der Gesellschaft.

Ethisch und politisch motivierte Urteile unterliegen dem Zeitgeist und sind vergänglich. Dagegen ist das Potenzial eines Wirkstoffs eine relativ beständige Größe. Man braucht kein Prophet zu sein, um vorauszusagen, dass LSD eine latente Herausforderung für die Wissenschaft darstellt und irgendwann einmal "wieder entdeckt" wird.

Zu Ehren von Albert Hofmann, dem Entdecker des LSD, fand in Basel ein internationaler LSD-Kongress mit einem sehr bunt zusammen gewürfelten Publikum statt. Die Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung veranstaltete in diesem Rahmen ein Seminar über "Arzneistoffe aus der Natur". Albert Hofmann selbst bekannte sich in einem Interview zu seiner "Wunderdroge" LSD.

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