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Arzneimittel und Therapie
Primäre Hypertonie: Keine Betablocker mehr zur Erstbehandlung?
Betablocker senken das Schlaganfallrisiko schlechter als andere Antihypertensiva. Zu diesem Schluss kamen Lars Lindholm und Mitarbeiter in einer 2005 im Lancet veröffentlichten Meta–analyse. Sie empfahlen, Betablocker nicht mehr als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung der primären Hypertonie einzusetzen. Zudem sollten Betablocker in klinischen Studien zur Hypertonie nicht mehr als Referenzsubstanzen dienen. Seitdem schwelt der Streit um den Stellenwert der Betablocker in der Hochdruckbehandlung. Doch Metaanalysen haben ihre Tücken. Eine neue Metaanalyse, in der die Studien in Abhängigkeit des Alters der Patienten ausgewertet wurden, kommt zu einem differenzierteren Ergebnis. Bei älteren Patienten (Durchschnittsalter über 60 Jahren) sollte auf Betablocker zur Behandlung der primären Hypertonie verzichtet werden, es sei denn, eine andere Indikation rechtfertigt den Einsatz. Bei jüngeren Patienten (Durchschnittsalter unter 60 Jahren) scheint dagegen einer Betablockertherapie die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität signifikant zu reduzieren.
Die britische Behörde NICE hat inzwischen eindeutig Position bezogen und lehnt Betablocker zur Primärtherapie der artereiellen Hypertonie ab. Welchen Standpunkt nehmen Hypertonieexperten in Deutschland ein? Wird Deutschland dem Beispiel Englands folgen? Darüber haben wir mit Prof. Dr. Walter Zidek, Direktor der Nephrologie der Berliner Charité gesprochen.
DAZ:
Herr Professor Zidek, wie begründet die britische Behörde NICE ihre Entscheidung?
Zidek:
Ende letzten Jahres hat eine Metaanalyse zum Nutzen der Betablocker in der Hypertoniebehandlung langanhaltende Diskussionen ausgelöst. Das wesentliche Ergebnis war, dass Betablocker in der Prävention von Schlaganfällen signifikant schlechter abschnitten als andere Antihypertensiva. Hinsichtlich Herzinfarkt und Gesamtmortalität waren Nachteile der Betablocker nicht signifikant. Andererseits waren Betablocker in der Schlaganfallsprävention besser als Placebo. Wir wissen nicht nur aufgrund statistisch-theoretischer Überlegungen, sondern auch aufgrund zahlreicher praktischer Beispiele der letzten Jahre, wie vorsichtig Ergebnisse von Metaanalysen zu bewerten sind.
DAZ:
Als weitere Begründung gibt NICE ein erhöhtes Diabetesrisiko unter der Erstmedikation mit Betablockern an. Wie groß ist das Risiko eines Hypertonikers, an Diabetes mellitus zu erkranken? Welchen Einfluss hat die antihypertensive Therapie?
Zidek:
Dies hängt ganz davon ab, ob der Hypertoniker außer dem erhöhten Blutdruck noch weitere Symptome des metabolischen Syndroms hat. Darunter versteht man die Kombination von Hypertonie, Fettstoffwechselstörung, Übergewicht, speziell der Bauchfettsucht, und gestörtem Glucose-Stoffwechsel. Wenn eine oder mehrere dieser Komponenten des metabolischen Syndroms vorhanden sind, ist das Risiko der Diabetesentstehung erhöht. Außerdem kann beim Hypertoniker auch durch die Hypertonie-Medikamente ein gesteigertes Diabetesrisiko entstehen. Diuretika und Betablocker erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass ein Diabetes mellitus neu entsteht.
DAZ:
Können Sie das Diabetesrisiko unter Betablockerbehandlung beziffern?
Zidek:
Natürlich sind die Befunde der verschiedenen Studien unterschiedlich. Eine Erhebung an etwa 75.000 Hypertonikern, die in diesem Jahr publiziert wurde, fand ein relatives Risiko der Diabetesentwicklung unter Betablockern von 1,32 (ältere Frauen) bzw. 1,20 (Männer) (Taylor et al, Diabetes Care 2006).
DAZ:
Die Deutsche Hochdruckliga (DHL) macht zurzeit noch keine Unterschiede in ihren Empfehlungen zur initialen Hypertoniebehandlung und führt Betablocker neben Diuretika, Calciumantagonisten, Angiotensin-II-Rezeptorenblockern und ACE-Hemmern auf. Wie wird die DHL auf die Empfehlungen von NICE reagieren?
Zidek:
Derzeit erwarte ich nicht, dass bei uns die Betablocker ähnlich wie in den NICE-Empfehlungen aus den Medikamenten der 1. Wahl ausscheiden. Die bisherige Datenlage gibt dies nicht so eindeutig her, wie es die NICE-Empfehlungen suggerieren. Die Metaanalyse, die Anlass zu dieser Neubewertung gab, ist in einigen Punkten problematisch.
Da in der überwiegenden Zahl der Studien Atenolol eingesetzt wurde, ist nicht klar, ob sich die negativen Aussagen nur auf Atenolol anwenden lassen oder auf die Klasse der Betablocker. Zum anderen geht aus der Metaanalyse nicht hervor, ob die Blutdrucksenkung durch Betablocker in den ausgewerteten Studien dem durch andere Pharmaka erzielten Effekt gleich war. Wir haben gerade aus den kürzlich publizierten Studien gelernt, dass bereits geringe Unterschiede in der therapeutischen Blutdrucksenkung signifikante Änderungen im Outcome zur Folge haben können.
Speziell für den Hypertoniker mit Herzinsuffizienz oder koronarer Herzerkrankung bietet sich ein Betablocker weiterhin an. Auf der anderen Seite ist aber auch möglich, dass sich die Datenlage weiter zu Ungunsten der Betablocker entwickeln wird. Erst dann wird eine verlässliche Basis für die Neubewertung gegeben sein. Schließlich sollten offizielle Empfehlungen immer ein Stück konservativ sein.
DAZ:
Können Sie das näher erläutern?
Zidek:
Schnellschüsse bringen immer die Gefahr mit sich, kurze Zeit später wieder überholt zu sein und müssen dann teilweise zurückgenommen werden. Bestes Beispiel dafür ist die aus heutiger Studienlage von keinem halbwegs objektiven Betrachter nachvollziehbare Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses, Calciumantagonisten nicht in der Primärtherapie der Hypertonie einzusetzen. Diese Stellungnahme war bereits bei ihrem Erscheinen überholt, ist aber mittlerweile aufgrund der Studienlage noch unhaltbarer geworden, und man tut sich nun schwer mit der überfälligen Korrektur.
DAZ:
In den meisten Fällen müssen Antihypertonika kombiniert werden, um den Zielblutdruck zu erreichen. In den USA wird häufig eine Kombination von Betablockern mit Thiaziddiuretika in der Erstbehandlung nicht zuletzt aus Kostengründen eingesetzt. Die britische Behörde rät von dieser Kombination ab. Unter welchen Bedingungen macht diese Kombinationsbehandlung Sinn? Wer sollte keinesfalls damit behandelt werden?
Zidek:
Diese Empfehlung wurde gegeben, da für beide Substanzgruppen eine Mortalitätssenkung und auch synergistische Effekte beider Substanzgruppen auf den Blutdruck nachgewiesen wurden, so dass eine Kombination Sinn macht. Die ASCOT-Studie hat kürzlich eine erhöhte Mortalität bei älteren Hypertonikern mit gesteigertem kardiovaskulärem Risiko unter Atenolol oder Atenolol plus Thiazid gegenüber Amlodipin oder Amlodipin plus Perindopril gezeigt. Nachdem wir wissen, dass sowohl Betablocker als auch Diuretika die Diabetesentstehung fördern, mag diese Kombination bei Patienten mit metabolischem Syndrom weniger günstig sein als ACE-Hemmer oder Calciumantagonisten.
Speziell zur dieser Patientengruppe mit metabolischem Syndrom gibt es aber noch keine ausreichenden Daten. Es gibt aber derzeit keine Patientengruppe, die keinesfalls mit dieser Kombination behandelt werden darf.
DAZ:
Welche Kombinationsbehandlungen sind unter welchen Bedingungen sinnvoll?
Zidek:
Grundsätzlich sind die meisten Antihypertensiva der 1. Wahl kombinierbar. Synergistische Effekte auf den Blutdruck sind unter anderem bei der Kombination von Diuretika mit ACE-Hemmern deutlich. Für diese Kombination gibt es auch gute Daten für den Einsatz als initiale niedrig dosierte Kombinationstherapie.
Welche Kombinationen sinnvoll sind, entscheiden neben der Synergie der Kombinationspartner vor allem die Begleiterkrankungen des betreffenden Patienten, aber auch die Nebenwirkungen bestimmter Antihypertensiva. Für den herzinsuffizienten Hypertoniker ist zum Beispiel die Kombination von ACE-Hemmer und Betablocker oder von ACE-Hemmer und Diuretikum sinnvoll. Die Kombination von ACE-Hemmer (oder AT1-Blocker) mit Calciumantagonisten kann unter anderem beim Diabetiker mit Nephropathie sinnvoll sein.
DAZ:
Welche fixen Kombinationen sind empfehlenswert?
Zidek:
Fixe Kombinationen sind grundsätzlich aus Gründen der verbesserten Patienten-Compliance sinnvoll, da man durch Kombinationspräparate die Zahl der Tabletten pro Tag reduzieren kann und die Compliance stark von der Anzahl der Tabletten abhängt.
Voraussetzung ist allerdings, dass die jeweiligen Dosierungen der Kombinationspartner bei dem Patienten wirksam sind und in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Dies ist in der Regel bei den Fixkombinationen der Fall. Wenn man Fixkombinationen in der Initialtherapie einsetzt, sollte dies in niedriger Dosierung geschehen, um die Nebenwirkungen zu reduzieren, auf der anderen Seite aber die synergistischen Effekte auszunutzen.
DAZ:
Herr Professor Zidek, wir danken Ihnen für das Gespräch! du
Lange Zeit galten Betablocker und Diuretika als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung des hohen Blutdrucks. Mit ihnen ließen sich nachweislich Morbidität und Mortalität senken. Dass neuere Antihypertensiva wie die Angiotensin-II-Rezeptor–antagonisten den Betablockern und Diuretika überlegen sein könnten, wurde erstmals in der LIFE-Studie (Losartan Intervention For Endpoint Reduction in Hypertension Study) gezeigt. 9222 Hochrisiko-Patienten mit Myokardhypertrophie erhielten randomisiert 50 bis 100 mg Atenolol/d oder 50 bis 100 mg Losartan/d. Die Studiendauer betrug 4,8 Jahre. Primäres Zielkriterium zur Beurteilung der Wirksamkeit war die Beeinflussung von kardio–vaskulärer Mortalität, Schlaganfall und Herzinfarkt. Beide Substanzen senkten den Blutdruck in vergleichbarem Ausmaß (systolisch um 30 mmHg, diastolisch um 17 mmHg). Unter Losartan wurde eine bessere Risikoreduktion erzielt. Schlaganfall, Herzinfarkt oder Tod traten in der Lo–sartan-Gruppe bei 508 Patienten auf, in der Atenolol-Gruppe bei 588, das entspricht einer relativen Risikominderung von 13%.
Verantwortlich für diese Unterschiede war in erster Linie eine deutlich niedrigere Schlaganfallrate unter Losartan. Einen Schlaganfall erlitten in der Losartan-Gruppe 232, in der Atenolol-Gruppe 309 Patienten.
Quelle: Dahlöf, B.; et al.: Cardiovascular morbidity and mortality in the Losartan Intervention For Endpoint reduction in hypertension study (LIFE): a randomised trial against atenolol. Lancet 359, 995-1003 (2002).
In die ASCOT-Studie (Anglo-Scandinavian Cardiac Outcome Trial) wurden 19.257 Hypertoniepatienten aufgenommen, die darüber hinaus noch mindestens drei weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwiesen. Sie erhielten randomisiert entweder den Betablocker Atenolol (50 bis 100 mg/d) oder den Calciumantagonisten Amlodipin (5 bis 10 mg/d).
Um den Zielblutdruck von 140/90 mmHg zu erreichen, konnte Amlodipin mit dem ACE-Hemmer Perindopril (4 bis 8 mg/d) kombiniert werden, Atenolol mit dem Thiaziddiuretikum Bendroflumethiazid (1,25 mg bis 2,5 mg/d). Der primäre Endpunkt wurde als Kombination aus Tod als Folge der koronaren Herzkrankheit und nicht-tödlichem Myokardinfarkt definiert. Die Studie wurde vorzeitig gestoppt, da signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen aufgetreten waren. Zu diesem Zeitpunkt lag die Sterberate in der Amlodipin/Perindopril-Gruppe um 14% unter der der Atenolol/Bendroflumethiazid-Gruppe.
Inzwischen liegt eine Endauswertung vor, nach der durch die Kombination von Amlodipin/Perindopril im Vergleich zu Atenolol/Bendroflumethiazid das Risiko von Schlaganfällen um etwa 25%, Herzinfarkten um 15%, kardiovaskulärem Tod um 25% und neuen Fällen von Diabetes um 30% gesenkt wurde.
Quelle: Dahlöf, B.; et al.: Prevention of cardiovascular events with an antihypertensive regimen of amlodipine adding perindopril as required versus atenolol adding bendroflumethiazide as required, in the Anglo-Scandinavian Cardiac Outcomes Trial-Blood Pressure Lowering Arm (ASCOT-BPLA): a multicentre randomised controlled trial. Lancet. 366, 895-906 (2005).
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