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OTC-Arzneimittel bringen wieder Wachstum
T. Müller-BohnOTC-Arzneimittel bringen wieder Wachs
Der weitgehende Ausschluss der Verordnungsfähigkeit und die Preisfreigabe haben den OTC-Markt verändert, erklärte Jürgen Petersen, IMS Consumer Health Care. Im Jahr 2004 stagnierte das Segment, aber von Januar bis Juli 2005 bilden die OTC-Produkte wieder einen Wachstumsmarkt. Die Selbstmedikation mit rezeptfreien Arzneimitteln ist gegenüber dem Vorjahr wertmäßig um 8%, der Verordnungsmarkt um 11% gewachsen, gemessen in Packungen haben beide Bereiche um 6% zugenommen. Daneben ist der starke Rückgang bei den verordneten OTC-Arzneimitteln zu beachten, die nochmals 11% Umsatz verloren haben. Da mehr OTC-Packungen als verschreibungspflichtige Arzneimittel abgegeben werden, ist die Selbstmedikation ein Frequenzbringer für Apotheken. Im Wachstumsvergleich mit den Drogerie- und Verbrauchermärkten haben die Apotheken inzwischen die Nase vorn. Der Selbstmedikationsmarkt wächst in den Apotheken stärker, sie holen sich die früher verlorenen Marktanteile wieder zurück, meinte Petersen.
Nachfrage reagiert kaum auf Preise
Dabei haben sich die Preise der marktbedeutenden Selbstmedikationsarzneimittel in der Erhebung von IMS als stabil erwiesen. Die 5000 umsatzstärksten OTC-Produkte haben in den Apotheken insgesamt Wachstum generiert. Nur bei 8% der Produkte wurden die Preise um mehr als 0,5% gesenkt, in vielen Fällen waren dagegen sogar Preiserhöhungen durchzusetzen. Für die aus Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Brandenburg bestehende Erhebungsregion wurden bei untersuchten Indikatorartikeln im Durchschnitt keine Abweichungen von den bundesweiten Preismittelwerten gefunden. Wer aber die Preise gesenkt hat, musste Umsatzeinbußen hinnehmen, weil dies die Nachfrage nicht erhöht. Die inzwischen vorliegenden Marktdaten belegen damit die These, dass Arzneimittel keine nennenswerte Preiselastizität aufweisen. Dafür sprechen auch Untersuchungen, nach denen die meisten Verbraucher sich nicht an Arzneimittelpreise erinnern können und diese regelmäßig viel zu hoch einschätzen.
Als weiteren Trend im OTC-Markt wies Petersen auf die Konzentration der Marken hin (Tab. 1). Die führenden drei bis zehn Produkte einer Indikation wachsen zumeist deutlich schneller als der restliche Markt. Die hohen Werbeaufwendungen großer Anbieter zeigen meist die gewünschte Wirkung. Die Konzentration werde zu einer Marktbereinigung führen, die den OTC-Markt erheblich verändern dürfte. Daher sollten sich Apotheken auf die oft schon vorverkauften "Renner" konzentrieren.
Auch viele Apothekenkooperationen zielen auf größere Erfolge im OTC-Markt. Für die Industrie seien diese aber nur interessant, wenn die vereinbarten Maßnahmen innerhalb der Kooperation erfolgreich durchgesetzt werden. Viele Apotheken seien jedoch auch ohne Mitgliedschaft in einer Kooperation durch eigene kreative Konzepte im OTC-Markt sehr erfolgreich.
Wann lohnt sich der Versand?
Welche Marktbedeutung der Arzneimittelversand bisher erreicht hat, stellte Guido Michels, Treuhand Hannover, dar. Während bis Juni 2005 etwa 1250 Apotheken eine Versandhandelserlaubnis beantragt hatten, konnte er im Internet nur Angebote von 182 Apotheken finden, von denen wohl nur weniger als 100 den Versand ernsthaft betreiben dürften. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums beträgt der Marktanteil nur 0,34% an den GKV-Ausgaben und höchstens acht Apotheken haben mehr als 1000 Versandaufträge pro Tag. Im Gegensatz zu Präsenzapotheken bieten sich die Internetapotheken einen intensiven Preiskampf bei OTC-Arzneimitteln, der durch die Existenz von Preissuchmaschinen angeheizt wird. Dabei kommen die billigsten Angebote von deutschen Versandapotheken und nicht aus dem Ausland.
Während der Anteil der verschreibungspflichtigen Arzneimittel bei den Versendern nach Angaben von IMS im Jahr 2005 unter 15% liegt, berichtet DocMorris, nur jede fünfte Bestellung beziehe sich auf OTC-Produkte (Tab. 2). Dies ist nach Kalkulationen von Michels entscheidend für die Rentabilität des Versandes.
Insbesondere für Apotheken mit nur kleinem Bestellaufkommen kann der Versand von gängigen OTC-Arzneimitteln zu den im Internet üblichen Preisen nicht rentabel sein. Doch der Versand von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln mit ihrer garantierten Marge könne unter günstigen Bedingungen rentabel gestaltet werden. Daher könnten sich erfolgreiche Versandapotheken langfristig nur über ihre Leistung und nicht über den Preis definieren. Außerdem müssten sie sich starke Partner suchen und eine kritische Größe überschreiten. Die Professionalisierung und ein verbessertes Marketing der Versandapotheken würden sich bereits abzeichnen. Inwieweit der Versand beispielsweise durch Kooperationen mit großen Handelskonzernen zum Türöffner für weitere Strukturveränderungen werden könne, bleibe offen.
Topmarken legen immer weiter zu
Dr. Frank Münchberg, BAH, machte deutlich, wie stark der Ausschluss der Verordnungsfähigkeit den OTC-Markt getroffen hat. Entgegen früheren Erwartungen würden nicht einmal 30% der Patienten die früher verordneten OTC-Arzneimittel nun selbst kaufen. Zudem bestätigte Münchberg die Bedeutung der Konzentration bei Handelsmarken. In den meisten Indikationen würden nur die jeweils zehn umsatzstärksten Produkte hinzugewinnen. Bei den Antimykotika beherrschen zwei Produkte bereits über die Hälfte des Marktes. Wie auf der Ebene der Marken sei auch eine Konzentration auf der Firmenebene festzustellen. Auch hier wachsen die größten Anbieter mit den größten Werbebudgets immer stärker. Der Markt werde sich auf wenige Marken mit großer Werbeunterstützung konzentrieren. In Anlehnung an den Erfolg der Markenprodukte sollten auch Apotheken zu Marken werden. Sie sollten ein Image aufbauen, einen klaren Werbefocus haben, die Balance aus Image und Preis wahren und die Lokalität als Trumpf einsetzen.
Weitere positive Impulse für den OTC-Markt sehen Münchberg und Petersen im grünen Rezept, das im 2. Quartal 2005 bereits von 44,5% der Ärzte genutzt wurde. Dabei dominieren Praktiker, Internisten, Dermatologen und HNO-Ärzte. In einer Haushaltsbefragung bei GKV-Versicherten wurde ermittelt, dass im 1. Quartal 2005 von den verordneten rezeptfreien Arzneimittelpackungen 45% auf Kassenrezept, 18% auf Privatrezept und immerhin 30% auf einem grünen Rezeptformular verordnet wurden. Bemerkenswert erscheint aber auch der Anteil von 6% Ärztemustern, der ein Jahr zuvor noch 11% betrug.
Sonderfall Mecklenburg-Vorpommern
Mehr als die anderen Referenten ging Uwe Stiftel, Leiter der Pharmatechnik-Niederlassung Rostock, auf die Besonderheiten in Mecklenburg-Vorpommern ein. Die dortigen Apotheken unterscheiden sich auch nach dem Inkrafttreten des GMG in der Verteilung der abgegebenen Arzneimittel wesentlich vom Bundesdurchschnitt, wie Tabelle 3 zeigt. Daher sollten besonders die Apotheker in diesem Bundesland auf ein angemessenes Verhältnis des Rohertrages zum Lagerwert und zur Regalfläche der Frei- und Sichtwahlartikel achten. Nach Ansicht von Stiftel sollte der Einsatz einer Regalauszeichnung geprüft werden. Außerhalb von Apotheken sei die Einzelauszeichnung von Packungen nicht mehr üblich, weil die Verbraucher nicht immer wieder an den Preis erinnert werden sollten. Damit würde das Produkt im Vergleich zu späteren Sonderangeboten von Diskountern möglicherweise teuer erscheinen.
Die Preise der meisten apothekenüblichen Produkte seien in Mecklenburg-Vorpommern nicht auffällig und würden meist in der Größenordnung der unverbindlichen Empfehlungen liegen. Ausnahmen bilden Kosmetika und Körperpflegemittel, die vergleichsweise preisgünstig angeboten werden und eine geringere Marktbedeutung als im Bundesdurchschnitt haben.
Im Sichtwahlbereich ging die Zahl der verkauften Packungen in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2004 im Vergleich zum Vorjahr um 21% zurück, bei den Arzneimitteln mit Verkaufspreisen über 20 Euro sank sie jedoch um etwas über 50%. Möglicherweise verzichten die meist chronisch kranken Anwender solcher Arzneimittel nun vielfach auf diese Produkte, doch vermutet Stiftel, dass etliche Patienten zu Versandapotheken abgewandert sein könnten. Denn gerade die hochpreisigen OTC-Produkte werden dort teilweise erheblich billiger angeboten. Um dies abzuschätzen, sollte in Apotheken verstärkt auf Preisanfragen von Kunden, die nicht kaufen, geachtet werden. Die Absatzstruktur sollte halbjährlich ausgewertet werden. Angesichts der geringen quantitativen Bedeutung dieser Produkte für die meisten Apotheken in Mecklenburg-Vorpommern könne auch überlegt werden, inwieweit hier Spielraum für Preissenkungen besteht.
Konsequenzen für Apotheker
Verbandsvorstandsmitglied Thomas Müller, Marlow, regte an, die eigene Kalkulation zu hinterfragen und auf den Stücknutzen der Packungen zu achten. Er erinnerte an die frühere Diskussion über die Preisbildung nach der alten Arzneimittelpreisverordnung, die gerade wegen der Probleme bei hochpreisigen Arzneimitteln geändert wurde, aber weiterhin als Berechnungsgrundlage für unverbindliche Preisempfehlungen herangezogen wird. Im Wettbewerb mit Versendern sollten die Präsenzapotheken ihre Vorteile durch die Anwesenheit vor Ort nutzen. Die angemessene Strategie der Preisbildung sei auch innerhalb des Verbandsvorstandes umstritten. Gegen eine Neukalkulation werde angeführt, dass dies den Widerstand gegen eine möglicherweise künftig diskutierte Preisfreigabe bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln schmälern könnte.
Außer den Preisen könnten auch Empfehlungen der Ärzte die Patienten zu Bestellungen bei Versandapotheken bewegen. Solche Empfehlungen entstünden vielfach durch mangelnden Kontakt der Apotheker zu den Ärzten. Wenn die Patienten jedoch erst einmal bei einem Versender bestellt hätten, würden sie mit Werbung überhäuft. Dadurch geprägt würden sie die Leistungen der Apotheken künftig nur noch nach dem Preis beurteilen, oder es drohe die stille Abkehr von den Apotheken. Angesichts der vielen Neuerungen im Markt sollten die Apotheker Patientenfluktuationen und Umsatzentwicklungen, insbesondere bei Produkten für den planbaren Chronikerbedarf, sorgfältig beobachten.
Kurzkommentar: Keine Angst vor den Versendern!
Alle soliden Erhebungen weisen den Versandhandel mit Arzneimitteln als weitgehend unbedeutend aus, in den Medien wirkt er dagegen umso größer. Von dieser Präsenz, die eigentlich auf die Verbraucher zielt, sollten sich die herkömmlichen Apotheker nicht bange machen lassen. Die Analysen des Verbraucherverhaltens bestätigen, was die Theorie erwarten lässt: Arzneimittel zeigen eine sehr geringe Preiselastizität der Nachfrage. Dass in Mecklenburg-Vorpommern offenbar besonders viele Patienten die früher verordneten hochpreisigen OTC-Arzneimittel nicht mehr kaufen, liegt wohl eher an der mangelnden Zahlungsfähigkeit als am Preis. Daran ändern auch Preisnachlässe von Versandapotheken nichts. Konsumverzicht scheint hier naheliegender als Abwanderung der Umsätze.
Daher sollten die Apotheker aus den Umsatzrückgängen bei diesen Produkten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die Erfahrungen mit den niedrigpreisigen OTC-Produkten legen eben gerade nicht nahe, dass Preissenkungen diese Umsätze zurückholen könnten. Wenn diese Kunden ohnehin nicht beim Versandhandel gelandet sind, erübrigt sich auch das Totschlagargument, die Rezepte vor dem Abwandern in den Versand retten zu wollen. Preissenkungen in den Apotheken, die teure OTC-Produkte nur als Preisindikatoren einsetzen, könnten eine Spirale in Gang setzen, die nicht mehr zu bremsen wäre. Das würde den Apotheken schaden, die von solchen Arzneimitteln leben müssen. Was in Mecklenburg-Vorpommern als Marketingaufwendung verbucht würde, könnte Apotheken mit kaufkräftigen Kunden in wirtschaftlich stärkeren Regionen in den Ruin führen. Denn dort sind hochpreisige OTC-Arzneimittel keine Randerscheinung für das Image, sondern die Butter auf dem Brot der Apotheker.
Thomas Müller-Bohn
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