DAZ wissenswert

Die molekularen Grundlagen des Alterns

Es soll mehr als 300 Theorien geben, die das Phänomen des Alterns zu beschreiben suchen. Eine einheitliche Vorstellung von diesem irreversiblen Prozess existiert also nicht. Da wir immer älter werden und möglichst gesund sterben wollen, kommt der Erforschung dieser Vorgänge eine immer größere Bedeutung zu.

 

Integrierte Alternsforschung

Nahezu alle biologischen Systeme degenerieren. Es kommt zu irreversiblen Verlusten physiologischer Funktionen. Die bekannten Folgen beim Menschen sind eine allgemein abnehmende Leistungsfähigkeit und eine zunehmende Anfälligkeit für Krankheiten. Mithilfe der Molekularbiologie soll es künftig gelingen, die Qualität des Lebens auch im fortgeschrittenen Alter zu verbessern.

Bisher ist der Alterungsprozess noch für keinen Organismus ausreichend gut beschrieben. Deshalb fördert die Europäische Union seit dem 1. Januar 2005 für fünf Jahre ein "Integriertes Projekt", das die molekularen Mechanismen des Alterns experimentell untersucht; es wird von Professor Heinz Osiewacz vom Fachbereich Biologie und Informatik der Universität Frankfurt am Main koordiniert.

Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeit sind die Mitochondrien, die "Kraftwerke" der Zelle, die durch oxidative Phosphorylierung das Adenosintriphosphat (ATP) synthetisieren. Als Modellorganismen dienen insbesondere die Hefe Saccharomyces cerevisae, der Schlauchpilz Podospora anserina, der Fadenwurm Caenorhabditis elegans, die Fruchtfliege Drosophila melanogaster sowie Maus und Ratte. Ziel ist es, die molekularen Mechanismen zu identifizieren, die während der Evolution von einfachen hin zu komplexen Organismen erhalten geblieben sind und damit in allen Lebewesen eine Rolle spielen.

Liegt die Ursache in den Mitochondrien?

Es wird ein Zusammenhang zwischen Atmungskette, oxidativem Stress und Alterung postuliert. Die ATP-Synthese in den Mitochondrien geht einher mit der Bildung von freien Radikalen oder reaktiven Sauerstoffspezies (ROS), vor allem dem Superoxidanionradikal O2–O. Die ROS oxidieren Proteine, Lipide und Nucleinsäuren. Sie sind als Schrittmacher des Alterungsprozesses, der Arteriosklerose, der postischämischen Organschäden, des Diabetes mellitus und verschiedener neurologischer und dermatologischer Erkrankungen im Gespräch, doch sind die Zusammenhänge noch nicht eindeutig bewiesen. Zumindest in Skelettmuskelzellen wurde beobachtet, dass die ROS die Mitochondrien schädigen und dass die geschädigten Mitochondrien übermäßig viel ROS produzieren: eine Art Teufelskreis. Während des Alterungsprozesses nimmt die Zahl solcher abnormer Mitochondrien zu.

Die meisten Krankheiten, die durch Mutationen der Mitochondrien-DNA (mtDNA) ausgelöst werden, ähneln in ihren Symptomen stark den natürlichen Alterungsprozessen. Die ringförmige mtDNA besitzt keine Histone ("Verpackungsproteine") wie die DNA im Zellkern und ist deshalb anfälliger für Mutationen. Man weiß, dass diese Mutationen im Laufe des Lebens jedes Menschen akkumulieren. Gewöhnlich besitzen alte Menschen in den postmitotischen (nicht mehr teilungsfähigen) Zellen – zum Beispiel in den Skelettmuskeln oder im Gehirn – eine große Anzahl unterschiedlicher mtDNA-Deletionen. Überschreitet der Anteil mutierter mtDNA eine kritische Grenze, kommt es zum Abbruch der ATP-Synthese und damit zum Zelltod.

Verschiedene Tumorzellen enthalten mtDNA mit Punktmutationen, die in gesunden Zellen desselben Individuums nicht gefunden werden. Diese Entdeckung wirft ein neues Licht auf die Rolle der Mitochondrien bei der Krebsentstehung.

Dem Geheimnis der 100-Jährigen auf der Spur

In der mtDNA von Hundertjährigen wurde eine erhöhte Zahl an Punktmutationen in Hautfibroblasten und Skelettmuskelzellen gefunden. Es scheint also bestimmte mtDNA-Mutationen zu geben, die ein hohes Alter befördern anstatt es zu verhindern.

Der Genetiker Doug Wallace von der Universität von Kalifornien hat viele alte Menschen in Nordsibirien untersucht, die dort relativ zahlreich sind. Er vertritt die – bisher nicht bewiesene – Hypothese, dass bestimmte Mutationen in den Mitochondrien es ihnen ermöglichen, einen übermäßig großen Anteil der in den Mitochondrien umgesetzten Energie in Körperwärme umzuwandeln. Dadurch sollen sich weniger ROS bilden, was die Mensch langsamer altern lässt.

Kupfermangel hält Pilze jung

Ein wichtiger Modellorganismus für die Alternsforschung ist der Pilz Podospora anserina. Die Lebensspanne der Wildstämme beträgt nur einige Wochen und wird von Umweltfaktoren bestimmt; sie ist aber auch genetisch determiniert. Mittlerweile liegen langlebige und sogar unsterblich scheinende Mutanten vor. Insbesondere eine Manipulation der Atmungskette kann den Alterungsprozess und die Lebensdauer beeinflussen. Dies kann beispielsweise durch die Regulierung der Versorgung mit Kupfer erfolgen.

Kupfer spielt in Organismen allgemein eine doppelte Rolle. Einerseits ist das Spurenelement für Enzyme wie die Cytochromoxidase (früher: Atmungsferment) essenziell, andererseits ist es in zu hohen Konzentrationen zelltoxisch, da es die Bildung des hochreaktiven Hydroxylradikals HOO katalysiert. Ein Kupfermangel verlängert das Leben von P. anserina deutlich. Es liegt jedoch auch an der Zelle selbst, wie viel Kupfer sie aufnimmt. Entscheidend dafür ist die Art der Genexpression.

Einen molekularen Schalter zur Regulierung des intrazellulären Kupferspiegels in P. anserina hat Osiewacz bereits gefunden. Schaltet man diesen "Grisea" genannten Transkriptionsfaktor aus, nimmt der Pilz kein Kupfer mehr auf und lebt um 60 Prozent länger.

Alternative Atmung

Die Grisea-Mutante verwendet zum Atmen nicht die Cu-abhängige Cytochromoxidase, sondern eine alternative Oxidase (AOX). Es scheint nun eine Korrelation zwischen der AOX-abhängigen Atmung und der Lebensspanne zu geben. Durch AOX wird der Transportweg der Elektronen im Zuge der Atmungskette erheblich verkürzt. Kritische Elektronenübertragungsstellen, an denen es zur Bildung von ROS kommen kann, fallen weg. Die Mutanten bilden infolgedessen wesentlich weniger ROS-Produkte als die Wildstämme. Und zusätzlich bleibt die mtDNA stabil. Um diesen Prozess besser zu verstehen, will man in künftigen Untersuchungen den Kupfermangel innerhalb der Zelle auf die Mitochondrien begrenzen. Das für AOX kodierende Gen konnte bereits kloniert und in Wildstämme übertragen werden. Diese genetisch veränderten Organismen leben 20 Prozent länger als der Wildstamm.

Alte Zwillinge gesucht

Neben diesen umfangreichen und hier nur auszugsweise darstellbaren Forschungen fördert die Europäische Union mit GEHA (Genetics of Health Aging) ein Projekt, das die "Gene des Lebens" auf eine andere Art aufspüren will: 2800 ein- und zweieiige Zwillinge von über 90 Jahren sollen genetisch untersucht werden. Es ist bereits bekannt, dass Regionen auf den Chromosomen 4, 11 und 19 potenzielle Orte für Gene sind, die ein langes Leben begünstigen. Sie sind vielleicht dafür verantwortlich, dass bei Hochbetagten einige Botenstoffe der Entzündungsreaktion wie Interleukine und der Tumornekrosefaktor alpha nur unterdurchschnittlich aktiv sind.

Was die Erforschung des Alterns auch herausfinden wird – das menschliche Leben bleibt sicherlich begrenzt. Ohne genetische Manipulation dürfte die maximale Lebensdauer bei 120 Jahren liegen. Eine gesunde Lebensweise, z. B. ausgewogene Ernährung, hilft, das Leben zu verlängern. Ein wenig Hungern reduziert den oxidativen Stress, ebenso die antioxidativen Vitamine E und C, doch ist die Wirkung einer Supplementation umstritten. Dagegen steigert zu viel Fett die Lipidperoxidation und soll die Vermehrung von Karzinomzellen begünstigen.

 

Dr. Uwe Schulte
Händelstraße 10,
71640 Ludwigsburg
schulte.uwe@t-online.de

 

 

Altert der Verstand?

Da Hirnmasse und -größe mit dem Alter abnehmen, wird eine einhergehende Reduktion der Neuronen vermutet. Es ist jedoch nicht geklärt, ob das die mentalen Fähigkeiten beeinträchtig

Selbst schuld?

"Mit 20 hat jeder das Gesicht, das Gott ihm gegeben hat, mit 40 das Gesicht, das ihm das Leben gegeben hat, und mit 60 das Gesicht, das er verdient", brachte Albert Schweitzer das Thema Älterwerden auf den Punkt.

Erfolgsrezept

Der schottische Neurophysiologe David Weeks befragte geistig und körperlich jugendlich wirkende alte Menschen nach ihrem Erfolgsrezept. Fünf Merkmale haben sich herauskristallisiert:

  • Körperlich aktiv und mental neugierig bleiben; sich nicht aus dem Leben zurückziehen
  • ein erfülltes und leidenschaftliches Sexualleben
  • Liebesbeziehungen zu jüngeren Partnern
  • Umgang mit deutlich jüngeren Menschen
  • positive Lebenseinstellung; psychische Ausgeglichenheit; wenig Stress oder Angst vor dem Leben

 

Altert der Verstand?

Da Hirnmasse und -größe mit dem Alter abnehmen, wird eine einhergehende Reduktion der Neuronen vermutet. Es ist jedoch nicht geklärt, ob das die mentalen Fähigkeiten beeinträchtigt

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.