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Arzneimittel und Therapie
Multiples Myelom: Proteasomen-Inhibitor Bortezomib zugelassen
Das multiple Myelom ist eine Krebserkrankung, die vor allem das Knochenmark befällt und die nicht heilbar ist. Durch eine Aktivierung der Osteokloasten entstehen im Verlauf der Krankheit Osteolysen, verbunden mit Brüchen und schmerzhaften Sinterungen im Bereich der Wirbelsäule. Es kommt zu einer Verdrängung des Knochenmarks mit den Folgen Anämie, Blutungsneigung, Infektionen.
Der Proteasomen-Inhibitor Bortezomib kann einen zytoplasmatischen Enzymkomplex selektiv und reversibel hemmen und greift in die Steuerung verschiedener Prozesse wie Zellwachstum, Zelltod und Angiogenese ein: die Tumorzellen sterben, die gesunden Zellen können sich aber innerhalb weniger Tage wieder erholen.
Multiples Myelom ist nicht heilbar
Das multiple Myelom gehört zu den lymphoproliferativen Erkrankungen des B-Zellsystems und befällt – anders als die übrigen malignen Lymphome – nicht die Lymphknoten, sondern vor allem das Knochenmark. Es stellt ein niedrig malignes Non-Hodgkin-Lymphom dar. Unterschieden wird zwischen einem solitären Tumor aus Plasmazellen, dem Plasmozytom, und mehreren Plasmazellentumoren, dem multiplen Myelom.
Eingeführt in die Behandlung sind Kombinationen aus Alkylantien und einem Steroid oder eine Hochdosistherapie mit einer Kombination aus Vincristin, Adriamycin und Dexamethason. Durch eine Stammzelltransplantation in der Primärtherapie kann bei jüngeren Patienten eine Verbesserung der Prognose erreicht werden.
Diagnose oft schwierig
Die Krankheit beginnt oft schleichend: in den Frühstadien ist sie eher asymptomatisch. Erste Anzeichen können unspezifische Symptome sein wie Knochenschmerzen oder ständige Müdigkeit. Beides kann aber auch andere Ursachen haben oder es kommt zur Verwechslung mit Osteoporose bzw. einer anderen chronischen Erkrankung.
Vielfach wird die Diagnose erst gestellt, wenn bereits Knochenläsionen vorhanden sind – in 80% der Fälle liegen schon Osteolysen, eine Osteopenie oder pathologische Frakturen vor. Als Empfehlung gilt heute, dass die Verdachtsdiagnose multiples Myelom gestellt werden kann, wenn sich ein Patient mit unklaren Knochenschmerzen vorstellt und das Blutbild eine Sturzsenkung sowie Anämie ergibt.
Bortezomib stört Signalkaskaden
Für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom steht mit Bortezomib jetzt eine weitere Therapiemöglichkeit zur Verfügung, die die Lebensqualität der Betroffenen erhöhen kann. Bortezomib ist ein Proteasomen-Inhibitor. Er wurde spezifisch entwickelt, um die Chymotrypsin-artige Aktivität des ubiquitär vorkommenden 26S Proteasoms in Säugetierzellen zu hemmen. Das 26S Proteasom ist ein großer Proteinkomplex, der Ubiquitin-gebundene Proteine abbaut. Es spielt eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Metabolisierung bestimmter Proteine und damit für den Erhalt der Homöostase innerhalb der Zellen.
Die Hemmung des Proteasoms verhindert die Proteolyse und bewirkt eine Unterbrechung einer Vielzahl von Signalkaskaden innerhalb der Zelle, die letztlich zum Absterben der Krebszelle führen. Die durch Bortezomib vermittelte Proteasomen-Hemmung wirkt auf vielfältige Weise auf Krebszellen, einschließlich einer Veränderung der Regulatorproteine, die den Verlauf der Zellzyklen und die Aktivierung des Nukleären Faktors kappa B (NF-kB) kontrollieren. Die Hemmung der Proteasomen führt zu einem Stillstand im Zellzyklus und zu Apoptose.
Proteasomen-Hemmung ist reversibel
Bortezomib ist hochselektiv für Proteasomen. Es hemmt weder eine Vielzahl von Rezeptoren noch Proteasen, die getestet wurden. Die Kinetik der Proteasomen-Hemmung wurde in vitro untersucht, und es konnte gezeigt werden, dass Bortezomib mit einer Halbwertzeit von 20 Minuten vom Proteasom dissoziiert; damit ist die Proteasomen-Hemmung durch Bortezomib reversibel.
In Experimenten konnte gezeigt werden, dass Bortezomib auf eine Reihe von Krebszelltypen zytotoxisch wirkt und dass Krebszellen anfälliger für die Apoptose-induzierenden Wirkungen sind als normale Zellen, die aber auch angegriffen werden.
In der ambulant erfolgenden Therapie werden mehrere Zyklen verabreicht, die von einem behandlungsfreien Intervall unterbrochen werden, in denen sich die Proteasomen der gesunden Zellen wieder regenerieren können: nach 72 Stunden sollen sie sich vollständig erholt haben. Angestrebt wird, die Proteasomen-Aktivität zu 80% zu hemmen, 20% Aktivität soll erhalten bleiben, um die Regulation des Stoffwechsel in den gesunden Zellen zu gewährleisten.
Pharmakokinetische Eigenschaften
Velcade® wird als gefriergetrocknetes Pulver in Form eines Mannitol-Boresters geliefert. Nach der Zubereitung steht der Mannitolester im Gleichgewicht mit seinem Hydrolyseprodukt, der Borsäure. Nach einmaliger intravenöser Gabe nehmen die Plasmakonzentrationen von Bortezomib biphasisch ab. Die Abnahme wird durch eine schnelle Verteilungsphase, gefolgt von einer langsameren terminalen Eliminationsphase charakterisiert. Beim Menschen beträgt die Halbwertzeit geschätzte 5 bis 15 Stunden.
Eine wiederholte Dosierung hat keinen Einfluss auf die anfängliche Verteilungskinetik von Bortezomib. In vitro scheinen CYP3A4 und CYP2C19 quantitativ die Hauptenzyme zu sein, die für die Metabolisierung verantwortlich sind. Im Urin wurde nur ein kleiner Anteil der nicht-metabolisierten Ausgangssubstanz nachgewiesen, während kein intaktes Bortezomib in der Galle oder den Fäzes gefunden wurde.
Beschleunigte Zulassung in den USA
In der SUMMIT-Studie, einer multizentrischen, offenen Phase-II-Studie, die schließlich 2003 zur beschleunigten Zulassung von Bortezomib in den USA führte, erhielten 202 Patienten mit rezidiviertem und refraktärem multiplen Myelom mit mindestens zwei vorhergehenden Therapielinien Bortezomib. Die Substanz wurde als i. v.-Bolusgabe an den Tagen 1, 4, 8 und 11 mit anschließender 10-tägiger Pause injiziert. Die Patienten sollten acht Therapiezyklen erhalten. Bei einer kompletten Remission (CR) wurden zwei weitere Zyklen gegeben.
Schnelles Ansprechen auf die Therapie
Primärer Endpunkt waren die Ansprechraten, sekundäre Endpunkte Sicherheit, Lebensqualität und klinischer Nutzen. In diese Studie wurden Patienten eingeschlossen, die sehr stark vorbehandelt waren – im Median sechs Vortherapien. 64% der Patienten hatten bereits eine Stammzelltransplantation und 84% eine Therapie mit Thalidomid durchlaufen. Die mediane Zeit bis zum Progress (TTP) betrug drei Monate.
Insgesamt sprachen 35% der ausgewerteten 193 Patienten auf Bortezomib an. Knapp 28% erzielten eine komplette oder partielle Remission. 59% erreichten eine Stabilisierung oder besser. Beeindruckend war vor allem das schnelle Ansprechen: die mediane Zeit bis zum Ansprechen betrug 38 Tage (zwei Zyklen); 80% der Responder erreichten die erste Response innerhalb von 59 Tagen (drei Zyklen). Die Linderung von Schmerzen bzw. anderen Symptomen war signifikant, auch das individuelle Befinden der Patienten besserte sich deutlich.
Beherrschbares Nebenwirkungsprofil
Die gepoolten Daten der Phase-II-Studien zeigen, dass Bortezomib hinsichtlich der Toxizität ein vorhersehbares und beherrschbares Nebenwirkungsprofil zeigte. Die häufigsten Nebenwirkungen waren
- gastrointestinale Symptome (Erbrechen, Diarrhö, Obstipation)
- Thrombozytopenie
- periphere Neuropathie
- Fatigue
Primärer Endpunkt erreicht: Studie vorzeitig beendet
Eine Phase-III-Studie, die APEX-Studie, bei 670 Patienten mit rezidiviertem oder refraktärem multiplen Myelom, die entweder Bortezomib oder hochdosiertes Dexamethason erhielten, wurde vorzeitig beendet. Schon in einer Zwischenanalyse zeigte sich, dass der primäre Endpunkt, die Zeit bis zur Progression, in der Bortezomib-Gruppe signifikant verlängert war. Auf Grund der Überlegenheit von Bortezomib wurde den Patienten aus dem Dexamethason-Arm angeboten, die Therapie mit Bortezomib fortzusetzen.
Klinische Entwicklung geht weiter
Gemäß den allgemeinen Prinzipien der klinischen Entwicklung eines Wirkstoffs beginnt die klinische Forschung zuerst in späten Krankheitsstadien, um dann sukzessive in früheren Krankheitsstadien getestet zu werden. Die Daten einer Phase-I-Studie führten zu der Annahme, dass die Substanz sicher ist und bildeten die Grundlage für die Phase-II-Studien. Die Daten der SUMMIT- und CREST-Studien führten nun zur Zulassung von Bortezomib in der Drittlinientherapie.
Der nächste Schritt ist die Zulassung in der Rezidivtherapie (Zweitlinientherapie). In einer Zulassungsstudie wurde hier Bortezomib mit hochdosiertem Dexamethason verglichen. Diese Studie (APEX) konnte aufgrund signifikant besserer Ergebnisse unter Bortezomib vorzeitig beendet werden. Wegen dieser positiven Ergebnisse erhofft Janssen-Cilag die Zulassung in der Rezidivtherapie des multiplen Myeloms für Ende 2005.
In Kürze soll ein Studienprogramm begonnen werden, das die Wirkung in der Primärtherapie des multiplen Myeloms untersucht. Hier wird die Zulassung für die Jahre 2008/2009 angestrebt. Das klinische Entwicklungsprogramm beinhaltet auch die Indikationsausweitung auf andere Tumorarten: Ziel sind Non-Hodgkin-Lymphome, aber auch solide Tumoren wie Bronchialkarzinom, Mammakarzinom und Prostatakarzinom.
Mit dem Boronsäuredipeptid Bortezomib steht ein neues Therapiekonzept beim multiplen Myelom zur Verfügung: Proteasomen-Inhibitoren greifen einen Multiproteasen-Komplex an, der eine zentrale Rolle in der Stoffwechselregulierung von Proteinen spielt, die für Zellwachstum und Zelltod von Bedeutung sind. Bortezomib (Velcade) Janssen-Cilag ist zugelassen für die Behandlung von Patienten mit multiplem Myelom, die mindestens zwei vorangehende Therapien durchlaufen haben und bei denen während der letzten Behandlung eine Krankheitsprogression zu beobachten war.
Multiples Myelom: der zweithäufigste Blutkrebs
Das multiple Myelom gehört zu den 20 häufigsten Tumorerkrankungen in Deutschland. Hier werden jährlich etwa 3500 Neuerkrankungen diagnostiziert, insgesamt leiden etwas 12000 Patienten an dieser lymphoproliferativen Erkrankung des B-Zellsystems. Nur etwa 30% der Patienten überleben länger als fünf Jahre. Es ist eine altersabhängige Erkrankung: Im Mittel erfolgt die Erstdiagnose zwischen dem 6. und 7. Lebensjahrzehnt.
Neuerdings werden immer mehr jüngere Patienten diagnostiziert: Bereits 2% sind unter 40 Jahre alt. Männer sind im Verhältnis 3:2 häufiger betroffen als Frauen. Die genaue Ursache des multiplen Myeloms ist nicht bekannt. Mittlerweile ist die Wirkung ionisierender Strahlen durch Langzeitbeobachtungen belegt; auch eine Belastung mit Schwermetallen sowie Viren sind als Ursache beschrieben.
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