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Ernährung aktuell
Nahrungsergänzungsmittel: Stellungnahme der DGE zu "Gemüse- und Obstprodukten"
In zahlreichen retrospektiven sowie in neuerer Zeit auch in prospektiven Studien wurde eine inverse Assoziation zwischen der Aufnahme an Gemüse und Obst und dem Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes mellitus Typ 2 beobachtet [5, 6, 12, 16, 18]. Für diese präventiven Wirkungen sind neben den essenziellen Nährstoffen wahrscheinlich auch Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe mit verantwortlich [3, 15].
Im Gegensatz dazu konnte in Interventionsstudien mit essenziellen Nährstoffen in aller Regel keine Senkung eines Krankheitsrisikos nachgewiesen werden [1, 5]. Verschiedene Institutionen in den USA sowie in Europa empfehlen deshalb besonders einen erhöhten Verzehr von Gemüse und Obst. In Deutschland ist hier an erster Stelle die Kampagne "5 am Tag" zu nennen, die den Verzehr von rund 600 g Gemüse (3 Portionen) und Obst (2 Portionen), teilweise in Form von unerhitzter Kost, propagiert.
Trotz dieser Initiative ist der Verzehr von Gemüse in Deutschland noch immer gering im Vergleich zu südeuropäischen Ländern, etwa 88% der Deutschen essen täglich weniger als 250 g [9]. Diese Defizite wurden von verschiedenen Firmen erkannt. Sie bieten Gemüse- und Obstprodukte (Pulver, Presslinge, Konzentrate, Tabletten) an, die für all die Personen, die aus unterschiedlichen Gründen täglich zu wenig Gemüse und Obst verzehren, die Lücke bis zur empfohlenen Zufuhrmenge angeblich schließen sollen.
Die ernährungsphysiologische Qualität dieser Produkte ist jedoch selten in wissenschaftlichen Studien überprüft. Aus wissenschaftlichen Studien über die gesundheitlichen Wirkungen von Gemüse und Obst werden Schlussfolgerungen direkt übernommen und auf die Extrakte übertragen. Ein solches Vorgehen ist jedoch wissenschaftlich keineswegs zulässig.
Darüber hinaus wird mit sachlich falschen Aussagen beim Verbraucher der Eindruck erweckt, dass das in den Lebensmittelgeschäften angebotene Gemüse und Obst "nährstoffarm", "überlagert" und bei industriell verarbeiteten Produkten "stark verarbeitet" ist und letztendlich nicht mehr die benötigten Inhaltsstoffe liefert.
Zudem sollen laut einzelner Anbieter solcher Nahrungsergänzungsmittel nicht nur 5 Portionen (mit etwa 120 g pro Portion) Gemüse und Obst in erhitzter und unerhitzter Form, wie von "5 am Tag" empfohlen, sondern 5 – 10 Portionen roh gegessen werden (angebliche Portionsgröße 150 – 250 g!).
Da diese Mengen nicht ohne weiteres verzehrt werden können, muss der Verbraucher zu dem Schluss kommen, auf Nahrungsergänzungsstoffe zurückgreifen zu müssen, um der Gesundheit nicht zu schaden. Den Aussagen von Werbebroschüren und Internetseiten zu diesen Gemüse- und Obstprodukten steht eine Reihe von Argumenten gegenüber, die die propagierten gesundheitlichen Vorzüge solcher Produkte eindeutig infrage stellen.
Keine Angaben zum Gehalt an wertgebenden Inhaltsstoffen
Die Hersteller von solchen Produkten haben keine Daten darüber veröffentlicht, welches Spektrum an sekundären Pflanzenstoffen und wie viel davon sie mit ihrem Extraktionsverfahren isolieren. Lediglich für einzelne Stoffe werden von einigen Herstellern Angaben gemacht. Generell können nicht alle sekundären Pflanzenstoffe aus einer Gemüsepflanze mit einer Extraktionsmethode gewonnen werden, da wasserlösliche Stoffe (z. B. Glucosinolate) andere Extraktionsverfahren benötigen als z. B. fettlösliche Carotinoide.
Die Aussage, ein entsprechendes Produkt sei "Obst- und Gemüsesaft in getrockneter Form" und enthalte alles, was in vollreifem Obst und Gemüse enthalten ist, ist nicht durch wissenschaftliche Daten belegt. Für Apfelsaft ist z. B. bekannt, dass über 80% der Flavonoide beim Pressvorgang im Apfeltrester verbleiben und nur ca. 20% in den Saft übergehen [10]. Ein Vergleich der Inhaltsstoffe der Nahrungsergänzungspräparate mit kommerziell erhältlichen Gemüse- und Obstsäften, wie von einem Hersteller durchgeführt, ist sachlich nicht korrekt, da diese Säfte ebenfalls nicht das komplette Spektrum an Inhaltsstoffen, wie sie im unverarbeiteten Ausgangsprodukt vorliegen, aufweisen.
Ein analytischer Nachweis über das Vorkommen und die Konzentration von sekundären Pflanzenstoffen (z. B. Glucosinolate, Flavonoide, Lignane) ist für die Bewertung dieser Produkte jedoch unbedingt erforderlich.
Meist fehlt der Nachweis der Bioverfügbarkeit
Ein weiterer kritischer Aspekt ergibt sich aus der Frage, in welchem Umfang die in den Produkten vorhandenen sekundären Pflanzenstoffe vom Körper aufgenommen werden. Solche Kenntnisse sind unabdingbar, um die ernährungsphysiologische Qualität dieser Produkte bewerten zu können. Bisher liegen lediglich zu einem Produkt Informationen zur Bioverfügbarkeit von Carotinoiden vor, die allerdings nicht aus kontrollierten Studien stammen und die teilweise konträre Ergebnisse berichten.
So wird in einer Publikation hierzu geschrieben, dass die Lutein/Zeaxanthinkonzentration im Plasma nach vierwöchiger Aufnahme des entsprechenden Produkts unverändert war [13]. Eine zweite Studie konnte nach 80 Tagen ebenfalls keinen Effekt auf den Plasmaluteingehalt feststellen [11], hingegen konnte in einer weiteren Studie eine Erhöhung des Plasmaluteingehaltes nach Supplementierung mit dem Produkt beobachtet werden [17]. Allerdings wiesen die Studienteilnehmer zu Beginn dieser Studie extrem geringe Plasmacarotinoidkonzentrationen auf, wofür die Autoren der Studie keine Begründung geben.
Aufgrund von Erfahrungen auf dem Gebiet der Carotinoidanalytik im Humanblut ist es äußerst schwierig, Versuchspersonen mit solch extrem niedrigen Carotinoidplasmakonzentrationen überhaupt zu finden [7, 8]. Fazit: für die ernährungsphysiologisch wirksamen Inhaltsstoffe solcher Nahrungsergänzungsmittel fehlt in aller Regel der Nachweis der Bioverfügbarkeit.
Wirkungsnachweis in der Regel nur in vitro
Der Nachweis von In-vitro-Effekten mit verschiedenen Pflanzenextrakten bzw. -konzentraten (z. B. antioxidative Wirkung) kann nicht direkt auf den Menschen übertragen werden. Für viele Anthocyane ist z. B. in vitro eine antioxidative Wirkung belegt. Allerdings liegen die hierfür benötigten Konzentrationen weit über den Anthocyankonzentrationen, wie sie beim Menschen nach der Aufnahme von Anthocyanen (isoliert oder in natürlicher Form vorliegend wie z. B. Traubensaft) gemessen wurden [2].
Ein weiteres großes Problem stellen die wenigen mit solchen Nahrungsergänzungsmitteln durchgeführten Interventionsstudien dar. Bei den Studien zur Immunmodulation und zum Schutz vor DNA-Schäden durch die tägliche Aufnahme eines bestimmten Produktes wurden keine Kontrollgruppen mitgeführt [4, 11]. Dadurch ist die Aussagekraft der gewonnenen Daten infrage zu stellen. Saisonale Effekte könnten die gewonnenen Ergebnisse mit beeinflusst haben.
Zusätzlich könnten bestimmte Ernährungsfaktoren und nicht die Nahrungsergänzungspräparate für die beobachteten Effekte verantwortlich sein. Teilweise wurden für diese Studien Kollektive ausgewählt, die aufgrund ihrer Ausgangswerte keine repräsentative Gruppe darstellen. Dies trifft sowohl für die Ausgangswerte der Plasmacarotinoide [17], der Plasmaascorbinsäure [13], als auch für den sehr hohen DNA-Schädigungsgrad zu Beginn der Studie von Smith et al. (1999) zu.
Die dabei gewonnenen Daten sind somit für den Durchschnittskonsumenten nicht aussagekräftig. Dementsprechend ist es nicht überraschend, dass eine Supplementierung bei Mangelernährung zu deutlichen Effekten hinsichtlich Plasmaascorbinsäure, Plasmacarotinoiden, Antioxidantienstatus und DNA-Schädigungsrate führte. Solche Effekte lassen sich bei Personen mit Mangelernährung auch mit konventionellen Vitaminpräparaten erzielen.
Für die inzwischen von mehreren Herstellern angebotenen Rotweinkapseln gibt es ebenfalls keine Studien zur biologischen Wirksamkeit. Zudem enthalten Rotweinkapseln teilweise zusätzlich Vitamin- und Mineralstoffzusätze, z. B. Vitamin C, B2, B6, B12, Folsäure und Magnesium. Welche Wirkungen direkt auf den Rotweinextrakt zurückzuführen sind, ist dabei wissenschaftlich kaum festzustellen, es sei denn, durch eine gezielte Interventionsstudie und den Vergleich der Wirkungen mit bzw. ohne Rotweinextrakt in dem Nahrungsergänzungspräparat.
Extrakte, Konzentrate etc. aus Gemüse und Obst sind grundsätzlich keine Alternative zum täglichen Verzehr von 5 Portionen Gemüse und Obst in unerhitzter und erhitzter Form. Nur bei direktem Verzehr wird wirklich das ganze Spektrum an essenziellen und bioaktiven Substanzen aufgenommen. Dies gilt besonders auch für die Ballaststoffe, die z. B. bei Presssäften und ähnlichen Produkten kaum im Endprodukt enthalten sind.
Ein grundsätzlicher Punkt, der neben einer geringen Aufnahme an Gemüse und Obst eine ungesunde Ernährung charakterisiert, ist eine hohe Aufnahme an Nahrungsenergie und Fett. Durch die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln lässt sich dieser Punkt nicht verbessern (z. B. keine Sättigungswirkung), durch den regelmäßigen Verzehr von mindestens 5 Portionen Gemüse und Obst ist dies jedoch möglich. Gerade für den langfristigen gesundheitlichen Erfolg einer diätetischen Maßnahme ist dies sehr wichtig.
Schlussfolgerungen
Bei Nahrungsergänzungsmitteln auf der Basis von Gemüse- und Obstextrakten fehlt gegenwärtig in der Regel der wissenschaftliche Nachweis der behaupteten gesundheitlichen Wirkungen. Die Übertragung wissenschaftlicher Befunde aus Studien, die direkt die Wirkung von Obst- und/oder Gemüse untersucht haben, auf Nahrungsergänzungspräparate ist wissenschaftlich nicht zulässig. Der Nachweis einer gesundheitlich relevanten Wirkung muss jeweils für das einzelne Nahrungsergänzungspräparat erbracht werden, da ansonsten der Verbraucher irregeführt und getäuscht wird.
Literatur
[1] Alpha-Tocopherol, Beta-Carotene Cancer Prevention Study Group. The effect of vitamin E and beta carotene on the incidence of lung cancer and other cancers in male smokers. N. Engl. J. Med. 330: 1029 – 1035, 1994 [2] Bub, A., Watzl, B., Heeb, D., Rechkemmer, G., Briviba, K. Malvidin-3-glucoside bioavailability in humans after ingestion of red wine, dealcoholized red wine and red grape juice. Eur. J. Nutr. 40:113 – 120, 2001 [3] Hauner, H., Watzl, B. Antioxidantien in der Ernährung und Arteriosklerose. Dtsch. Med. Wschr. 126: 213 – 217, 2001 [4] Inserra, P., Jiang, S., Skoloff, D., Lee, J., Xu, M., Wise, J.A., Hesslink, R., Watson, R.R. Immune function improves during fruit and vegetable extract supplementation. Abstr. 38th Annual Meeting of the American Society of Cell Biology, 1998 [5] Joshipura, K.J., Hu, F.B., Manson, J.E., Stampfer, M.J., Rimm, E.B., Speizer, F.E., Colditz, G., Ascherio, A., Rosner, B., Spiegelman, D., Willett, W.C. The effect of fruit and vegetable intake on risk for coronary heart disease. Ann. Inter. Med. 134: 1106 – 1114, 2001 [6] Liu, S., Lee, I.M., Ajani, U., Cole, S.R., Buring, J.E., Manson, J.E. Intake of vegetables rich in carotenoids and risk of coronary heart disease in men: the Physicians' Health Study. Int. J. Epidemiol. 30: 130 – 135, 2001 [7] Müller, H., Bub, A., Watzl, B., Rechkemmer, G. Plasma concentrations of carotenoids in healthy volunteers after intervention with carotenoid-rich foods. Eur. J. Nutr. 38 : 35 – 44, 1999 [8] National Institute of Medicine. Dietary Reference Intakes for Vitamin C, Vitamin E, Selenium and Carotenoids. S. 332. National Academy Press, Washington, 2000 [9] Naska, A., Vasdekis, V.D.S., Trichopoulou, A., Friel, S., Leonhäuser, I.U., Moreiras, O., Nelson, M., Remaut, A.M., Schnitt, A., Sekula, W., Trygg, K.U., Zajkás, G. Fruit and vegetable availability among ten European countries: how does it compare with the "five-a-day" recommendation? Brit. J. Nutr. 84: 549 – 556, 2000 [10] van der Sluis, A.A., Dekker, M., Jongen, W.M.F. Flavonoids as bioactive components in apple products. Cancer Lett. 114: 107 – 108, 1997 [11] Smith M.J., Inserra, P.F., Watson, R.R., Wise, J.A., O'Neill, K.L. Supplementation with fruit and vegetable extracts may decrease DNA damage in the peripheral lymphocytes of an elderly population. Nutr. Research 19: 1507 – 1518, 1999 [12] Terry, P., Giovannucci, E., Michels, K.B., Bergkvist, L., Hansen, H., Holmberg, L., Wolk, A. Fruit, vegetables, dietary fiber, and risk of colorectal cancer. J. Natl. Cancer Inst. 93: 525 – 5533, 2001 [13] Wagner, G., Schröder, U., Merkelbach, C. Beeinflussung des Status ausgewählter antioxidativer Vitamine und Enzymsysteme durch ein Obst- und Gemüsekonzentrat. ZAT Journal 1 – 2: 7 – 15, 1996 [14] Watzl, B., Bub, A., Blockhaus, M., Herbert, B.M., Lührmann, P.M., Neuhäuser-Berthold, M., Rechkemmer, G. Prolonged tomato juice consumption has no effect on cell mediated immunity in well-nourished elderly men and women. J. Nutr. 130: 1719 – 1723, 2000 [15] Watzl, B. Krebsprotektive Nahrungsinhaltsstoffe. Ernährungsumschau 48: S. 52 – S. 55, 2001 [16] Williams D.E.M., Wareham, N.J., Cox, B.D., Byrne, C.D., Hales, C.N., Day, N.E. Frequent salad vegetable consumption is associated with a reduction in the risk of diabetes mellitus. J. Clin. Epidemiol. 52: 329 – 335, 1999 [17] Wise, J.A., Morin R., Sanderson, R., Blum, K. Changes in plasma carotenoid, alpha-tocopherol, and lipid peroxide levels in response to supplementation with concentrated fruit and vegetable extracts: a pilot study. Curr. Therap. Res. 57: 445 – 461, 1996 [18] World Cancer Research Fund/American Institute for Cancer Research. Food, Nutrition, and the Prevention of Cancer: a Global Perspective. American Institute for Cancer Research, Washington, 1997
Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt. Seit Ende der 90er-Jahre drängen immer mehr Produkte auf den Markt, die nicht nur Mineralstoffe und Vitamine beinhalten, sondern darüber hinaus sekundäre Pflanzenstoffe, isoliert aus Gemüse und Obst. Angeblich sollen diese Produkte – bei zu geringem Verzehr von Gemüse und Obst – die Lücke bis zur empfohlenen Zufuhrmenge an Nährstoffen schließen. Laut einer Mitteilung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) stellen Extrakte und Konzentrate aus Gemüse und Obst keine Alternative zum täglichen Verzehr von Gemüse und Obst dar.
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