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Berichte
Parlamentarischer Abend in Kiel: Sachliche Argumente contra Versandhandel
Nach Einschätzung des Moderators Prof. Dr. Fritz Beske, Kiel, sei es erstaunlich, dass die Gesundheitspolitik eine vergleichsweise geringe Rolle im Wahlkampf spielt. Seines Erachtens scheuen sich die Politiker hier vor einer ehrlichen Analyse und vor der Darstellung der finanziellen Konsequenzen.
SPD nicht geschlossen für Versand
Andreas Beran, SPD, der als Vorsitzender des Sozialausschusses des Schleswig-Holsteinischen Landtages nicht primär für die Gesundheitspolitik zuständig ist, erklärte, es gebe in seiner Partei keineswegs eine einheitliche Auffassung zur Zukunft der Arzneimittelversorgung, sondern durchaus unterschiedliche Positionen.
Einige würden das Apothekenwesen eher als Nische ohne Wettbewerb ansehen, während andere die Bedeutung der Apotheken für den Verbraucherschutz und die Wahrung von Qualitätsstandards anerkennen. Die flächendeckende wohnortnahe Versorgung bedeute auf dem Land auch heute, dass man erst zur Apotheke fahren muss. Daher schätze er das Angebot der Apotheken, Arzneimittel auszuliefern.
Zur Finanzierung des Gesundheitswesens setze die SPD im Grundsatz weiterhin auf die Solidargemeinschaft, doch könne die Gestaltung langfristig durchaus verändert werden. Als Visionen könne über Finanzierungskonzepte wie in der Schweiz oder in Skandinavien nachgedacht werden. Die Fallpauschalenregelung in den Krankenhäusern werde kein Allheilmittel sein, da zu wenig über die Wirkungen auf die vor- und nachstationäre Versorgung nachgedacht worden sei.
FDP: Mehrwertsteuer auf Arzneimittel senken
Dr. Heiner Garg, FDP, forderte, das Gesundheitswesen langfristig zu entstaatlichen, da nur so Fehlallokationen vermieden und die großen Wachstumschancen, insbesondere für den Arbeitsmarkt, genutzt werden könnten. Deutschland solle wieder ein innovativer Standort, auch für die Arzneimittelforschung, werden.
Die GKV solle auf die Funktion zurückgeführt werden, für die sie ursprünglich geschaffen wurde, nämlich zu verhindern, dass das Krankheitsrisiko zu einem Existenzrisiko wird. Dagegen sei es pervers, die GKV als parafiskalischen Umverteilungsapparat zugunsten bestimmter Gruppen oder Generationen zu nutzen. Die Einkommensverteilung dürfe allein durch Steuern beeinflusst werden.
Die geplanten Disease Management Programme müssten fehlschlagen, wenn sie nur auf die Kosten zielen. Der ursprüngliche Sinn des Disease Managements sei dagegen die bestmögliche Versorgung.
Auch der Versandhandel werde nur unter dem Kostenaspekt diskutiert, doch könne er über die gesamte Breite des Sortiments die Benchmark der Apotheken mit Distributionskosten von t 4,25 pro Packung nicht unterbieten, in denen auch die Kosten für die Versorgungssicherheit und die Beratung enthalten sind. Daher gelte es, die bewährten Apotheken im europäischen Wettbewerb zu stärken. Dazu forderte Garg nachdrücklich, die apothekenpflichtigen Arzneimittel von der Mehrwertsteuer zu befreien oder zumindest den ermäßigten Satz anzuwenden.
CDU klar gegen Versand
Auch Werner Kalinka, CDU, forderte die Verringerung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel. Er sprach sich klar gegen den Arzneimittelversandhandel aus, da dieser zum Zusammenbruch der mittelständischen Struktur der Apotheken führen würde. Es dürfe nicht einer die Rosinen haben und die anderen die Arbeit.
Im Gesundheitswesen müsse die Bürokratie abgebaut werden. Der Versicherungsschutz müsse individueller werden. Wer es wolle, müsse sich auch besser absichern können. Es müsse mehr Transparenz, mehr Gestaltungsmöglichkeiten für Verträge und spezielle Lösungen für die Prävention und für chronische Krankheiten geben. Die Verträge dürften nicht von den Kassen diktiert werden und sich dabei von den Konzepten der Politik entfernen.
Die Fallpauschalen in Krankenhäusern würden die Kosten nicht senken. Bis sie umgesetzt sind, gäbe es möglicherweise auch schon wieder andere Finanzierungskonzepte.
Versand und die Folgen
Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, machte deutlich, dass der Versandhandel nicht als isoliertes Problem gesehen werden dürfe. Vielmehr würde die Zulassung des Versandhandels viele weitere Rechtsfolgen auslösen, vom Fall des Fremd- und Mehrbesitzverbotes bis zur Frage, wie Retaxationen im Ausland durchzusetzen sind.
Kammerpräsident Volker Articus erläuterte, dass Versandhandel aus gesamtwirtschaftlicher Sicht negativ wirken würde, da der Staat die Mehrwertsteuer und die Gewerbesteuer verlieren würde. Außerdem gingen Arbeitsplätze verloren.
Europäische Harmonisierung ist kein Argument für den Versand
Nach Einschätzung von Lothar Jenne, Bundesvorsitzender des PHAGRO, ist das deutsche Apothekensystem durch die europarechtliche Entwicklung nicht bedroht. Vielmehr habe die Europäische Kommission die Zulassung des Arzneimittelversandhandels klar in die Zuständigkeit der Einzelstaaten gelegt. Wenn der Europäische Gerichtshof anders urteilt, würde er sich gegen die Kommission stellen. Hierfür gebe es jedoch keinerlei Anzeichen.
Im Verfahren um die Tabakwerberichtlinie habe der Europäische Gerichtshof die Zuständigkeit der Mitgliedsländer für gesundheitsrelevante Verwaltungsvorschriften sogar ausdrücklich betont. Die Europäische Kommission habe hierzu keine Regelungsbefugnis. So sei auch beim Arzneimittelversand keine entgegengesetzte Entscheidung zu erwarten.
Der Versandhandel sei damit nur ein Thema für die nationale Gesetzgebung. Für Deutschland hat der Runde Tisch zwar festgelegt, Versandhandel solle nur zugelassen werden, wenn die anderen EU-Länder auf deutsche Normen festgelegt werden können, weil sonst das deutsche Arzneimittelrecht ausgehebelt würde. Diese Forderung sei aber vollkommen unrealistisch, denn niemand könne erwarten, dass Deutschland allen anderen EU-Ländern die eigenen Normen aufzwingt, schon gar nicht angesichts der bevorstehenden EU-Osterweiterung. Damit könne der europäische Aspekt nicht als Argument für den Arzneimittelversandhandel herhalten.
Beran zog aus diesen Zusammenhängen das Fazit, die von den Befürwortern des Versandhandels immer wieder geforderte Wettbewerbsgleichheit könne gar nicht hergestellt werden. Die Forderungen seien damit nicht umsetzbar. Froese meinte, anstatt immer nur über die Vertriebskosten zu sprechen, sollte besser eine Diskussion über die Qualität geführt werden. Die Apothekerschaft wünsche sich Qualitätswettbewerb, zumal Arzneimittel einem Preiswettbewerb ohnehin nicht zugänglich seien.
Kassenmacht begrenzen
Ein weiterer Gegenstand der Diskussion war das Verhalten von Krankenkassen in der jüngeren Vergangenheit. Nach Darstellung von Froese fühlen sich die Apotheker hilflos, wenn Krankenkassen sich gesetzeswidrig verhalten und dies mit einer möglichen späteren Änderung der Rechtslage begründen. Articus beklagte, dass auch die Aufsichtsbehörden dem nicht abhelfen, während andererseits Apothekern, die Gegenmaßnahmen ankündigen, mit Berufsverboten gedroht wird. Eine solche Ungleichbehandlung sei nicht zu akzeptieren.
Die Politiker ließen Verständnis für diese Sorgen der Apotheker erkennen. Kalinka forderte, klare Grenzen zu setzen, da die Entwicklung sonst nicht mehr in den Griff zu bekommen sei. Zudem dürfe Gesundheitspolitik sich nicht allein an den Kosten orientieren, sondern müsse als Teil des Gemeinwesens verstanden werden. Für Garg passt der Begriff des Wettbewerbs ohnehin nicht in das Gesundheitswesen. Denn hier würden nicht Angebot und Nachfrage auf einem Markt koordiniert, stattdessen bestünden im Gesundheitswesen ohnehin nur administrierte Preise.
Die Parlamentarier begrüßten, dass die Apotheker ihre eigenen Vorstellungen äußern. Angesichts der Komplexität des Gesundheitswesens wünschten sie sich, den Gedankenaustausch fortzusetzen. So hob sich dieser parlamentarische Abend auf Landesebene aus Apothekersicht positiv von anderen politischen Veranstaltungen der jüngeren Vergangenheit ab.
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