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Gentechnik
T. WurmEmbryonale Stammzellen – Stammzellforsc
Regenerationsfähigkeit von ganzen Organismen ...
Die Regenerationsfähigkeit einiger Organismen hat schon sehr früh die Aufmerksamkeit der ersten Entwicklungsbiologen auf sich gezogen. Bereits um 1740 hat man in Kupferstichen die ersten systematischen Regenerationsexperimente mit dem Süßwasserpolypen Hydra dokumentiert. Hydra ersetzt nicht nur verlorene Körperteile. Aus einem vollkommen zerstückelten Exemplar entstehen aus der Zellsuspension mehrere neue Organismen. Zuerst wandern Zellen aufeinander zu und bilden einige Zellhaufen. Daraus entwickelt sich jeweils ein vollständiges Individuum.
Hydra-Zellen zeigen also einige interessante Eigenschaften, die auch im Rahmen der aktuellen Diskussion von Bedeutung sind: Die Zellen können sich erkennen, sich aussortieren oder gezielt wandern und schließlich selektiv haften bleiben. Sie "wissen" offensichtlich, wo sie sich im Zellhaufen befinden und was sie an diesem Ort zu tun oder zu lassen haben, damit wieder ein ganzes, unversehrtes Tier entsteht.
Kastentext: Sensationelle Erfolge?
Verliert der Herzinfarkt seinen Schrecken? Nach der weltweit ersten Behandlung eines Infarkt-Patienten mit eigenen Stammzellen aus dem Knochenmark in Düsseldorf Ende August 2001 jubelten die Tageszeitungen, dass von dieser Methode nicht nur sensationelle Erfolge zu erwarten wären, auch Bedenken gegen eine Embryonenforschung schienen Auftrieb zu erhalten.
... und von einzelnen Organen und Geweben
Auch der Mensch kann sich in nicht unerheblichem Ausmaß auf zellulärer Ebene regenerieren. Die blutbildenden Stammzellen des Knochenmarks zählen zu den Standardbeispielen der Physiologie-Lehrbücher. Sie bilden die roten und sämtliche Typen der weißen Blutkörperchen. Mit sehr wenigen Stammzellen lässt sich nach einer Vernichtung des Knochenmarks das Blut mit all seinen Zellarten wieder aufbauen. Aber auch die Stammzellen der Haut oder der Darmschleimhaut sind hier zu nennen.
Die genannten Stammzellen sind alle unterschiedlich potent. So entstehen aus den Stammzellen der Haut nur Keratinozyten, während aus den Knochenmarkstammzellen mindestens acht verschiedene Zelltypen werden können. Die Steuerung der Differenzierung geschieht über eine Reihe von Faktoren oder Hormonen, von denen nur einige bekannt sind und noch weniger wie beispielsweise G-CSF, GM-CSF und Erythropoietin (Epoetin) als Arzneistoffe eingesetzt werden.
Mit der Regenerationsfähigkeit scheint aber auch ein grundsätzliches Risiko verbunden zu sein. Die übermäßige Inanspruchnahme der Regenerationsleistung erhöht das Risiko einer Entartung der Zellen. Dauernde schädigende Einflüsse wie zu heiße, zu scharfe oder konzentriert alkoholhaltige Nahrung erhöhen das Krebsrisiko der Schleimhäute ebenso, wie elektromagnetische Strahlung das Krebsrisiko der Haut erhöht. Nicht mehr teilungsfähige Herzmuskelzellen entarten dagegen nicht. In der Fähigkeit zur Teilung scheint also grundsätzlich auch die Gefahr des unkontrollierten Wachstums zu liegen.
Von der befruchteten Eizelle ...
Sehen wir uns die Entwicklung eines tierischen Organismus im frühen Stadium etwas genauer an. Die weibliche Eizelle, welche beim Menschen mit einem Durchmesser von gut 0,1 Millimeter zu den großen Zellen gehört, besitzt einen erheblichen Vorrat an Eiweißen und vor allem an RNA. Die Samenzelle bohrt sich durch die Zellmembran in das Zytoplasma der Eizelle und transportiert nichts weiter als einen stark komprimierten Kern, der dort zuerst entpackt und mithilfe von Eiweißen geordnet wird.
Klonierungsversuche mit Erbmaterial aus adulten Zellen scheitern häufig an dieser Stelle. Die DNA eines älteren Zellkerns muss in einen Zustand gebracht werden, welcher dem Vorkern bei einer normalen Befruchtung vergleichbar ist. Sowohl die geringen Ausbeuten bei der Klonierung als auch die Frage, wie entwicklungsfähig adulte Stammzellen noch sind, drehen sich letztlich um dieses Problem der Reprogrammierung.
Auf das erfolgreiche Eindringen eines Spermiums in die Eizelle folgt das Vorkernstadium. Das weibliche und das männliche Erbmaterial vereinigen sich nicht sofort zu einem einzigen Zellkern. Die Vorkerne verdoppeln zunächst ihre DNA. Der Spindelapparat ordnet die Chromosomensätze, und die erste Zellteilung beginnt. Erst im zweizelligen Keim finden wir mütterliche und väterliche Chromosomen in einem gemeinsamen Zellkern vereint.
... zum Blastomer
Im Rahmen einer Folge von Furchungsteilungen steigt die Anzahl von Zellen, die jetzt Blastomeren genannt werden. Dies geschieht auf der Basis der Vorräte aus der Eizelle. Im 8-Zell-Stadium hat der Keim immer noch den gleichen Durchmesser wie die Eizelle. Die Furchungsteilungen der einzelnen Zellen laufen nicht zeitlich koordiniert ab, sodass ein 2-, ein 3-, ein 4-, ein 5-Zell-Stadium usf. möglich sind.
Es stellt sich die interessante Frage, bis zu welchem Stadium die Zellen noch totipotent sind. Eineiige Drillinge gibt es, eineiige Vierlinge werden für möglich gehalten. Eventuell kann sogar noch eine Zelle aus dem 16-Zell-Stadium einen ganzen Menschen hervorbringen. Vermutlich setzt aber die geringe Größe der Blastomeren bereits ab dem 8-Zell-Stadium einer echten Totipotenz Grenzen.
Bis zum 8-Zell-Stadium kann darüber hinaus ohne Gefahr eine Zelle entnommen werden. Der Zellverlust wird ohne weiteres regeneriert. Diese Erkenntnis führte Anfang der 90er-Jahre zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Ein in vitro gezeugter Embryo wird sowieso bis zu diesem Stadium außerhalb der Mutter kultiviert, damit nur solche Embryonen implantiert werden, welche zumindest die ersten Entwicklungsschritte erfolgreich bestanden haben. Das Erbmaterial einer einzigen Zelle kann vervielfältigt und auf genetische Merkmale untersucht werden. In Deutschland allerdings verbietet das Embryonenschutzgesetz eine Entnahme von Zellen aus dem Embryo vor der Implantation, da diese Vorgehensweise nicht dem Erhalt des Embryos dient.
Die erste Zelldifferenzierung
Der Keim besteht vier Tage nach der Befruchtung und einer Reihe von Furchungsteilungen aus einer kugelförmigen Ansammlung von Zellen (Morula). Danach ist eine erste Zelldifferenzierung zu beobachten. Die oberflächlich gelegenen Zellen heften sich eng aneinander, während sich im Inneren der Kugel eine Höhle und ein der Wand anliegender Zellhaufen ausbildet.
Das ganze Gebilde heißt nun Blastozyste. Nur aus der inneren Zellmasse entwickelt sich embryonales Gewebe; sie heißt deshalb Embryoblast. Die Zellen der Oberfläche bilden den Trophoblasten, der nach der Einnistung das Schwangerschaftshormon HCG produziert und später die Plazenta bildet.
Obwohl zu diesem Zeitpunkt erstmals zwei unterscheidbare Zellpopulationen auftreten, ist die einzelne Zelle noch nicht endgültig festgelegt. Eine Trophoblastenzelle, welche man in die innere Zellmasse transplantiert, wird zu einer Embryoblastenzelle und umgekehrt. Die Zellen produzieren zwar unterschiedliche Eiweiße, sie verhalten sich aber letztlich ortsgerecht und werden allein von der Umgebung umprogrammiert. Während dieses Stadiums scheint der Keim besonders gefährdet zu sein. Man schätzt, dass nur etwa die Hälfte der Blastozyten die Passage im Eileiter überleben.
Gastrulation und Anlage der Organe
Fünf bis sechs Tage nach der Befruchtung heftet sich die Blastozyste an die Gebärmutterschleimhaut und nistet sich dort ein (Nidation). Die Veränderungen der folgenden Woche dienen vor allem der Versorgung des Keims, indem der Trophoblast die Grundlage für den uteroplazentaren Kreislauf schafft. Der Embryoblast entwickelt sich während dieser Zeit zu einer zweiblättrigen Keimscheibe.
Jetzt kann das beginnen, wozu der englische Entwicklungsbiologe Wolpert gesagt hat: "It's not birth, marriage or death, but gastrulation which is truely the important event in your life." Mit der Gastrulation zu Beginn der dritten Woche gesteht man dem Embryo nicht nur eine genetische, sondern auch eine morphologische Identität zu. Zuerst bildet sich der Primitivstreifen, aus dem später das Rückenmark hervorgeht, und es werden drei Zellbereiche unterscheidbar. Aus den drei Keimblättern Ektoderm, Mesoderm und Entoderm gehen die Organanlagen des Individuums hervor. Während in den ersten zwei Wochen ein Alles-oder-Nichts-Prinzip über die Weiterentwicklung des Embryos entscheidet, besteht ab der Gastrulation die Möglichkeit, durch schädigende Einflüsse von außen wie Alkohol oder Arzneimittel die Anlage einzelner Organe zu stören.
Kultivierung embryonaler Stammzellen
Zu Beginn der Entstehung eines jeden Organismus muss es Zellen geben, welche noch totipotent sind, aus denen sich noch jede Art von Zelle oder Gewebe entwickeln kann. Für jede (mehrzellige) Tierart und jede Zelllinie mag diese Fähigkeit in einem anderen Stadium verloren gehen.
1981 war es erstmals gelungen, embryonale Stammzellen (ES) von der Maus in Kultur zu halten. Mäuseblastozysten des 100-Zell-Stadiums werden dabei in Kulturgefäße auf so genannte Feederzellen gegeben, wonach die Trophoblastenzellen absterben und die Embryoblastenzellen nach wiederholtem Ausplattieren mithilfe geeigneter Kulturmedien weiter wachsen.
Die Kunst der Kultivierung steckt darin, die Zellen zur Teilung anzuregen, ihre Differenzierung zu unterdrücken, ihre prinzipielle Fähigkeit zur Differenzierung jedoch nicht anzutasten. Auch ist der Beweis nicht einfach, dass es sich bei einem gewonnenen Zellhaufen um eine Stammzellkultur handelt. Hinweise liefert die Expression bestimmter Zelloberflächenmoleküle und auch die Größe der Zellen. Das mikroskopische Bild ist "typisch untypisch"; ein nicht besonders ermutigender Ausgangspunkt für eine optische Identifizierung.
Eindeutig charakterisiert sind ES nur über den biologischen Nachweis, dass sie sich zu allen erdenklichen Zelltypen entwickeln können. Dies geschieht beispielsweise durch die Implantation der ES unter Mäusehaut. Es müssen sich nach gegebener Zeit mehrere wichtige Zelltypen am Implantationsort finden lassen.
Kastentext: Tissue Engineering
Bei ethisch unproblematischen Zellkulturen hat man in letzter Zeit große Erfolge erzielt. Jeder hat von der Haut aus der Tube gehört oder weiß, dass man einen Knorpelschaden im Kniegelenk mithilfe einer In-vitro-Zellkultur behandeln lassen kann. Auch das gezüchtete Ohr oder Fingergelenk steht angeblich kurz vor der routinemäßigen Anwendung.
All diese Errungenschaften beruhen auf den Fortschritten bei der Anlage von Kulturen mit tierischen Zellen. Diese verhalten sich prinzipiell anders als Kulturen von Einzellern (z. B. Hefe, E. coli). Sie wachsen nur auf bestimmten Unterlagen, benötigen für ihr Wachstum hochentwickelte Medien und zeigen eine typische Wachstumshemmung, solange sie nicht zu Krebszellen transformiert sind.
Herstellung transgener Mäuse
Kultivierte ES dienen bisher vor allem als Ausgangspunkt für die Herstellung transgener Mäuse. Die Zellkultur wird dabei gentechnisch verändert, und die erfolgreich behandelten Zellen spritzt man in das Innere einer intakten Blastozyste. Dort entwickeln sich die Zellen gemeinsam mit den schon vorhandenen Embryoblastenzellen zu einem ganzen Organismus, welcher allerdings als Chimäre aus Zellen unterschiedlicher Herkunft besteht.
Wenn zufälligerweise aus den gentechnisch veränderten Zellen Keimzellen entstanden sind, so lässt sich aus solchen Tieren über ein Inzuchtprogramm ein Stamm gewinnen, der hinsichtlich des veränderten Gens reinerbig ist. Die so gewonnene Onko-Maus machte als erstes patentiertes Säugetier in den 80er-Jahren Schlagzeilen.
Humane ES seit 1998 kultiviert
Nach erfolgreichen Kultivierungsversuchen mit embryonalen Stammzellen von Schaf und Rhesusaffe war es im Jahr 1998 so weit: Die ersten beiden menschlichen embryonalen Stammzelllinien wurden beschrieben. Ihre Kultivierung erfordert mehr technisches Geschick. Hier muss der Trophoblast mechanisch entfernt werden, um ein Absterben des Embryoblasten zu verhindern. Auch die An- oder Abwesenheit von Differenzierungsfaktoren wirkt sich auf menschliche ES anders aus als bei Zellen murinen Ursprungs. Seitdem die molekularbiologische Charakterisierung immer besser gelingt, werden in allen möglichen Organen Stammzellen gefunden, sogar im Gehirn. Damit gilt die Lehrmeinung als überholt, wonach sich Gehirnzellen prinzipiell nicht mehr regenerieren können.
Gezielter Anstoß zur Zelldifferenzierung
Stammzellen stehen gemäß Definition am Anfang eines Entwicklungsweges. Bisher geht man davon aus, dass ein hierarchisch aufgebautes Programm auf Gen-Ebene die Entwicklungsstufen von der totipotenten embryonalen Zelle bis hin zur ausdifferenzierten Zelle vorgibt und gleichzeitig die Rückprogrammierung verhindert. Somit besäßen Stammzellen je nach Herkunft ein unterschiedliches Potenzial, sowohl in vivo als auch in vitro.
Stammzellen scheinen sich in einer Art instabilem Gleichgewicht zu befinden. Sie sind in einer ähnlichen Situation wie eine Kugel auf einem Berggipfel. Es gibt viele Möglichkeiten, herunterzufallen. Sie braucht nur den richtigen Anstoß, und schon begibt sie sich auf den gewünschten Weg.
Den Anstoß zur Differenzierung könnte man den Zellen mit einem ausgewählten "Cocktail" an Signal- und Wachstumsfaktoren geben. Weil sich die embryonalen Zellen im Rahmen der normalen Entwicklung zu ihrer späteren Position an extrazellulären Substanzen wie Kollagen oder Fibronektin entlang hangeln, dürften auch als unspezifisch angesehene Komponenten des äußeren Mediums Einflüsse auf die Differenzierung ausüben.
Es wird mittlerweile auch darüber spekuliert, ob die Unterscheidung zwischen totipotenten und unipotenten Stammzellen falsch ist. Möglicherweise bewahren sich die Stammzellen ein viel höheres Maß an Plastizität, sodass die Umwandlung einer Stammzelle aus dem Knochenmark in eine solche des Gehirns oder der Haut nur eines geringen Anstoßes bedarf. Die aktuelle direkte Zellumgebung würde dann eine bedeutend wichtigere Rolle spielen als die Historie der Zelle mit all ihren Differenzierungsschritten.
Gegen diese Auffassung spricht, dass adulte Stammzellen in Kultur nicht so richtig wachsen wollen und dass äußere Einflüsse wie Chemikalien so erheblichen Schaden in der frühen Organbildungsphase der Embryonalzeit anrichten können. In jedem Fall erscheinen die Möglichkeiten beachtlich. Im Kasten "Hoffnung auf Stammzelltherapie" sind einige aktuelle Befunde aufgeführt, welche die Hoffnung begründen, dass eine Stammzelltherapie in absehbarer Zeit Einzug in die Medizin hält.
Kastentext: Hoffnung auf Stammzelltherapie
Bauchspeicheldrüse – Diabetes Schon seit längerem versucht man, Diabetiker durch die Transplantation von Pankreasgewebe unabhängiger von extern zugeführtem Insulin zu machen. Die Erfolge können sich durchaus sehen lassen, jedoch begrenzt schon jetzt die Verfügbarkeit von Spendergewebe den Einsatz der Methode. Außerdem verkürzt der notwendige Einsatz von Immunsuppressiva das Überleben der Transplantate.
Vor kurzem wurde über eine Methode berichtet, mit der man kultivierte ES der Maus dazu brachte, Insulin zu produzieren: Nach Zugabe eines bestimmten Wachstumsfaktors überlebten Vorläuferzellen der Bauchspeicheldrüse. Sie differenzierten anschließend zu Inselzellen des Pankreas, wenn ihnen der Wachstumsfaktor entzogen wurde. Ein Teil der Zellen produzierte auch Insulin, Glucagon und Somatostatin, die von den natürlichen Inseln der Bauchspeicheldrüse sezernierten Proteine. Allerdings reagierten die Zellen nicht (wie natürliche Inselzellen) auf erhöhte Glucosekonzentrationen, und die Menge an produziertem Insulin beträgt nur ein Fünfzigstel der normalen Rate.
Gehirn – Morbus Parkinson Auch hier wurden schon seit Längerem Transplantationsversuche mit Zellen aus menschlichen Feten an Parkinsonkranken durchgeführt. Das neue Gehirngewebe produziert zwar Dopamin, allerdings sterben die Zellen früh ab, oder die Steuerung gelingt nicht. In der Folge müssen die Patienten mit überschießenden Reaktionen rechnen, welche sich klinisch als Dyskinesien äußern.
Im März 2001 wurde deswegen eine entsprechende über drei Jahre laufende Studie als Fehlschlag bezeichnet. Da sich auch im Gehirn teilungsfähige Zellen finden lassen, erscheint die Anregung der Wachstumsrate oder eine Zufuhr von Stammzellen durch Injektion aussichtsreich.
Herz – Myokardinfarkt Als Folge eines Herzinfarkts sterben nicht nur Herzmuskelzellen ab. Einwandernde Bindegewebszellen hinterlassen im Herzmuskel eine die Funktion störende Narbe. Man hofft nun, dass kultivierte Herzzellen statt der Bindegewebszellen in die Infarktbereiche einwandern können und die ursprüngliche Funktion übernehmen können.
Aus murinen ES lassen sich relativ einfach durch die Zugabe von Retinsäure Zellen gewinnen, welche sich spontan kontrahieren und als Vorläufer von Herzmuskelzellen angesehen werden dürfen. Allerdings blieb die Herstellung von stabilen Herzmuskelzelllinien aus fötalen Kardiomyozyten erfolglos. Auch hier gibt es tierexperimentelle Befunde, dass Stammzellen untergegangene Zellen funktionell ersetzen können.
Embryonale oder adulte Stammzellen für die Therapie?
Die zunehmenden Kenntnisse der Oberflächenproteine einer Zelle (und der dafür codierenden Gene) haben, verbunden mit dem Einsatz von Antikörpern, in immer mehr Geweben die Identifizierung von adulten Stammzellen möglich gemacht, welche die klassische Histologie als nicht mehr teilungsfähig angesehen hatte. Zeitlich haben sich die Erfolge der Stammzellkultivierung aus Embryonen und der Entdeckung von Stammzellen in allen möglichen Geweben überschnitten.
Es stellt sich also die Frage, von welcher Quelle Zellen für einen therapeutischen Einsatz am besten geeignet erscheinen. Adulte Stammzellen können theoretisch vom Patienten selbst gewonnen werden. Man müsste sie reinigen, vermehren und dem Patienten wieder infundieren. Dies gestaltet sich derzeit aber noch als äußerst schwierig. Immunologische Probleme tauchen dabei allerdings ebenso wenig auf wie ethische.
Im Gegensatz dazu wachsen ES angeblich erstaunlich schnell. Eine ES-Linie prägt aber bereits Oberflächenantigene aus. Auch wenn die Antigenität der ES möglicherweise geringer ist als bei adulten Zellen, so muss mit ihrem therapeutischen Einsatz dieses Problem ebenso gelöst sein wie die Frage der Steuerung der Differenzierung.
Stammzellen aus Nabelschnurblut
Auch die Nabelschnur wurde als Quelle von Stammzellen entdeckt. Sie enthält jedoch nur recht wenig Blut und noch viel weniger Stammzellen. Deren Entwicklungsstadium ähnelt eher den adulten als den embryonalen Stammzellen. Vor ihrem therapeutischen Einsatz muss die Frage ihrer Vermehrung geklärt werden.
Die Diskussion über die Einlagerung von Nabelschnurblut führen verschiedenste Seiten recht hitzig. Die Einlagerung wird von privaten Unternehmen angeboten und ist damit kostenpflichtig. Nur daraus können ethische Probleme abgeleitet werden, die allerdings von vollkommen anderer Qualität sind als die, welche aus einer möglichen Embryonenforschung erwachsen.
Therapeutisches Klonen
Das so genannte therapeutische Klonen sieht vor, dass eine ES-Linie von ihrem Erbmaterial befreit und mit einem Zellkern des Patienten versehen wird (Abb. 1). Das geklonte Schaf Dolly hat gezeigt, dass prinzipiell die Übertragung eines ausdifferenzierten Zellkerns möglich ist und sogar zu einem lebensfähigen Organismus führen kann, wenn auch nur in einem statistisch geringen Ausmaß.
Im Fall des therapeutischen Klonens will niemand ganze Tiere oder Menschen klonen. Man möchte nur teilungsfähige undifferenzierte Stammzellen gewinnen, welche die Oberflächenantigene des Empfängers ausprägen. Ob und wie eine Reprogrammierung der Zellkerne unter Beibehaltung der Teilungsfähigkeit vor sich gehen könnte, ist derzeit nicht abschätzbar.
Die Risiken
Eine normale teilungsfähige Zelle lebt nur eine begrenzte Zeit in Kultur. Nach etwa 50 Generationen stirbt sie ab. Zu dieser Erkenntnis gelangte man in den 60er-Jahren, und die Bedeutung dieser so genannten Hayflick-Zahl bezüglich des Alterns interessiert noch heute. Unsterbliche Zelllinien stammen vermutlich nur aus Tumor- oder aus Stammzellen. Aus den Vorteilen der ES, nämlich ihrem angeblich fast zügellosen Wachstum in Kultur, muss ein Wissenschaftler gravierende Bedenken für ihren therapeutischen Einsatz ableiten. Man versucht die Entwicklungswege von Stammzellen mit "Faktorencocktails" rein empirisch zu beeinflussen, ohne dass die grundlegenden Prozesse in der Zelle verstanden wären. Gleichzeitig fördert die Krebsforschung immer neue molekulare Zustände zutage, die bei einer Entartung das Wachstum bestimmen. Niemand weiß heute, wie lang diese Liste einmal sein wird. So verlockend eine Zellverjüngung auf der Ebene ihrer Programmierung auch ist, gerade die Sterblichkeit von Zellen schützt uns vor unkontrolliertem Wachstum und Krebs.
IVF und überzählige Blastozysten
Die gesetzlichen Regelungen zur Abtreibung greifen erst ab der Einnistung der Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut. Mithilfe von Nidationshemmern (Intrauterinpessar oder "Pille danach") wird de jure kein Schwangerschaftsabbruch betrieben. Die stürmische Entwicklung der In-vitro-Fertilisation (IVF) nach der Geburt des ersten Retortenbabys im Jahr 1978 führte 1990 zum Embryonenschutzgesetz (EschG), welches zu den strengsten derartigen Regelungen weltweit zählt. Die Befürchtung, dass es mit der ärztlichen oder wissenschaftlichen Selbstbeschränkung im Fall der Fälle nicht weit her sein könnte, ließ den Gesetzgeber fast jede Manipulation am frühen Embryo verbieten.
Als Beginn der menschlichen Entwicklung, der ansonsten heftig umstritten ist (s. u.), gilt hier pragmatischerweise das Zweizellstadium. Im Vorkernstadium ist erkennbar, ob eine entwicklungsfähige Zelle in vitro entstanden ist. Da bei der IVF nur maximal drei befruchtete Eizellen implantiert werden dürfen, muss nach der Befruchtung im Vorkernstadium entschieden werden, ob die überzähligen Keime verworfen oder kryokonserviert werden sollen.
Bei nicht eingetretener Schwangerschaft erübrigt die Verwendung von tiefgefrorenen Keimen eine nochmalige Hormontherapie zur Gewinnung der Eizellen und erleichtert die gesamte Prozedur für die Betroffene. Aufgetaute Keime dürfen allerdings der Frau nur dann transferiert werden, wenn sie immer noch mit dem gleichen Partner bzw. Samenspender zusammenlebt. Im Rahmen von In-vitro-Fertilisationen lässt es sich demnach nicht vermeiden, dass befruchtete, entwicklungsfähige Zellen im Vorkernstadium verworfen werden, selbst wenn sie kryokonserviert worden sind.
Rechtliche Bestimmungen
Die Eizellen werden etwa zwei Tage nach ihrer Gewinnung und Befruchtung im 2-, 3- oder 4-Zell-Stadium in die Gebärmutter eingespült. Am Embryo darf während dieser Zeit im Grunde nichts manipuliert werden. Er darf weder geteilt noch dürfen Zellen z. B. für eine PID entnommen werden.
Nach einer Entscheidung des Bundestages vom Januar 2002 fällt auch der Import von ES unter das EschG und ist nur unter strengen Auflagen erlaubt. Der Absicht, in importierte ES die Erbsubstanz ausdifferenzierter Zellen einzubringen, steht das Klonungsverbot des EschG entgegen, wonach kein menschlicher Embryo mit der identischen Erbmasse wie ein anderer Mensch künstlich erzeugt werden darf. Mit dem im Juni beschlossenen Stammzellengesetz (StZG) hat der Bundestag diese Rechtslage bekräftigt.
Kastentext: Stammzellengesetz
Das Gesetz zur Sicherstellung des Embryonenschutzes im Zusammenhang mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen (Stammzellengesetz – StZG) wurde am 28. Juni 2002 vom Deutschen Bundestag beschlossen und trat am 1. Juli in Kraft. Abgedruckt in: Dtsch. Apoth. Ztg. 142, 3594 – 3596 (2002).
Ethische Bedenken gegen die Verwendung von ES
Die Verwendung adulter Stammzellen oder auch von Stammzellen aus Nabelschnurblut zu therapeutischen Zwecken wird allgemein ohne Diskussion akzeptiert und gerät höchstens durch das Reizwort Stammzelle unreflektiert in die Kritik.
Bei den ES geht es dagegen um sehr schwerwiegende Fragen:
- Wird der Schutz menschlichen Lebens durch ihre Verwendung ausgehöhlt?
- Wird gar in Zukunft eine immer weiter wachsende Zahl von Embryonen getötet oder allein zur Tötung produziert werden?
- Oder steht die Gesellschaft und mit ihr die Wissenschaft den Kranken gegenüber in der Pflicht, sodass die Weigerung, sowieso zum Tode verurteilte, aus der IVF stammende überzählige Embryonen für Forschungs- und spätere Heilungszwecke zu verwenden, an unterlassene Hilfeleistung grenzt?
Auch könnten wir bald vor der Frage stehen, ob die Inanspruchnahme von Therapien, die mithilfe von menschlichen ES entwickelt worden sind, in Zukunft als Trittbrettfahrerei angesehen werden kann, wenn wir uns jetzt als ethische Besserwisser vor der Welt darstellen.
Eine schier unlösbare Frage steht dabei immer im Hintergrund. Wann beginnt das menschliche oder tierische Leben überhaupt? Folgende Zeitpunkte oder Stadien stehen zur Auswahl:
- die Befruchtung, d. h. das Eindringen der Samenzelle in das Ei;
- die Vereinigung der Erbanlagen in einem Zellkern (wie es das EschG und das StZG im Grunde heute vorsehen);
- das Einsetzen der genetischen Aktivität im 4- bis 8-Zell-Stadium;
- die Unmöglichkeit der Embryonenteilung in Zwillinge, Drillinge oder Vierlinge, also das 4-Zell-Stadium;
- das Entstehen der Blastozyste und damit zweier unterscheidbarer Zelltypen nach einer Woche (ungefähr 100-Zell-Stadium);
- die Gastrulation und Bildung der ersten Organanlagen als Beginn einer Individualität (englisches Modell).
Der Vorschlag einiger Prominenter, wonach Menschsein durch eine Art Selbstbewusstsein gekennzeichnet sei, wirft mehr Probleme auf, als er löst. Vermutlich gestalten sich derartig verwinkelte, zwischen Theologie, Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften angesiedelte Fragestellungen als prinzipiell objektiv unlösbar.
Gerade deshalb erscheint eine öffentliche und offene Diskussion der Standpunkte unabdingbar. Der vom Bundeskanzler eingesetzte Nationale Ethikrat hat diese Aufgabe. Er ist weder Wissenschaftlern, noch der DFG, noch Politikern weisungsberechtigt. Sein turnusgemäßes Zusammentreten führt einer interessierten Öffentlichkeit den Stand der Diskussion und die Notwendigkeit einer Meinungsbildung immer wieder vor Augen.
Der (eingeschränkt) erlaubte Import von ES und ihre Kultivierung in Deutschland könnte eine verbrauchende Embryonenforschung überflüssig machen. Sollte sie aber doch für die Entwicklung innovativer Arzneimittel und Therapien erforderlich sein, so stellt sich die Frage der Embryonenforschung in Deutschland aus rein wirtschaftlichen Gründen aufs Neue. Möchte man dann zusehen, wie ausländischen Forschern die Patente erteilt und von unserer Gesellschaft nur die Zahlungen geleistet werden?
Kastentext
"... ist Embryo bereits jede menschliche totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag." StZG § 3 Abs. 4
Kastentext: Mitglieder des Nationalen Ethikrates
Ausblick
Für Aufregung hat im August 2001 die Meldung gesorgt, dass es in Düsseldorf mithilfe einer Infusion von Stammzellen aus dem Knochenmark gelungen sein soll, bei einem Infarktpatienten eine erstaunlich schnelle Rekonstitution von intaktem Herzmuskelgewebe zu erzielen. Die berichtete Besserung des Zustands kann jedoch auch die Folge der parallel durchgeführten medikamentösen Standardtherapie sein.
Eine ebenfalls nicht standardisierte Methode wendet ein Ärzteteam aus Kyiv (Kiew, Ukraine) an, welches durch die Infusion eines "Cocktails" nicht genauer charakterisierter Zellen aus abgetriebenen menschlichen Embryonen AIDS, Multiple Sklerose, Diabetes und eine Reihe anderer Krankheiten gegen einen fünfstelligen Betrag in bar heilen will. Wer denkt dabei nicht an die alte und (leider?) immer noch aktuelle Frischzellentherapie?
Irgendwo zwischen den Zellen aus Jungtieren, dem Zellgemisch aus menschlichen Embryonen, der autologen Knochenmarkzellsuspension und schließlich den kultivierten Stammzellen in reiner Form liegt die Grenze zwischen Scharlatanerie und zukunftweisender Medizin. Diese Grenze gilt es herauszufinden.
Bei einem wissenschaftlich begründeten, breiten therapeutischen Einsatz von in vitro vermehrten, gereinigten oder genetisch veränderten Zellen werden unabhängig von ihrer Quelle viele Fragen auftauchen: Wie ist die Qualität der Produkte zu gewährleisten? Wird ein neuer gesetzlicher Rahmen geschaffen, woran wird er sich orientieren?
Bei gentechnisch hergestellten Arzneimitteln lösen spezialisierte Genetiker und Mikrobiologen diese Fragen. Doch welche Rolle könnten Apotheker beispielsweise in Kliniken übernehmen, wenn dezentral an einer Vielzahl von Standorten Zellen aufgearbeitet werden? Sind Ansätze erkennbar, dass Pharmazeuten bei der Qualitätssicherung mitwirken? Wie wird eine staatliche Überwachung aussehen, die ja derzeit größtenteils mit Apothekern operiert? Sicher ist nur: Die Stammzelltherapie bleibt spannend.
Kastentext: Zeittafel (Forschung)
Zeittafel (Politik)
Weiterführende Literatur
Bücher: Bonner, J.: Evolution und Entwicklung. Vieweg, Braunschweig 1995. Christ, B., F. Wachtler: Medizinische Embryologie. Ullstein, Wiesbaden 1998. Kleinig, H., U. Maier: Zellbiologie. G. Fischer, Stuttgart 1999. Müller, W., M. Hassel: Entwicklungsbiologie der Tiere und des Menschen. Springer, Berlin 1999. Sadler, T.: Medizinische Embryologie. Thieme, Stuttgart 1998. Steinhardt, M.: Altern. Hirzel, Stuttgart 1990. Wilmut, I., et al.: Dolly. Hanser, München 2000.
Übersichtsartikel: Golde, D.: The Stem Cell. Sci. Am. (December), 36 – 43 (1991). Wasielewski, S.: Zelltherapie – was ist neu? Dtsch. Apoth. Ztg. 138, 2811 – 2814 (1998). Pederson, R.: Embryonic Stem Cells for Medicine. Sci. Am. (April), 44 – 49 (1999). Smaglik, P.: Diabetes therapy boosts stem-cell campaign. Nature 406, 224 (2000). Cassidy, R., J. Frisen: Stem cells on the brain. Nature 412, 690 – 691 (2001). Dingermann, T.: Gewaltige Verheißungen für die Therapie. Pharm. Ztg. 146, 2894 – 2899 (2001). Epping, B.: Die Alternative. Bild Wiss. (September), 38 – 41 (2001). Gibbs, W.: Biological Alchemy. Sci. Am. (February), 11 – 12 (2001). Kline, R.: Umbilical Cord Blood. Sci. Am. (April), 32 – 37 (2001). Selbert, S: "Therapeutisches Klonen" als Alternative zur Herztransplantation. Biol. Unserer Zeit 31, 41 – 47 (2001). Vogel, G.: Stem Cells are Coaxed to Produce Insulin. Science 292, 61 – 62 (2001).
Quelle: www.ethikrat.org/ueber_uns/mitglieder.html
Der Autor
Dr. Thomas Wurm studierte Pharmazie in Würzburg und wurde am Lehrstuhl für Physiologie in Regensburg promoviert. Danach folgten einige Jahre Tätigkeit für die pharmazeutische Industrie in den Bereichen Entwicklung und Zulassung. 1992 wandte er sich der Pädagogik zu und unterrichtet seither an der PTA-Schule in Passau.
Seit 1998 werden menschliche embryonale Stammzellen kultiviert. Ihre Verwendung zu Forschungszwecken und die potenzielle Vermarktung dieser Forschungen rief in der Bevölkerung Empörung und erbitterte Diskussionen hervor. Inzwischen hat das vom Deutschen Bundestag verabschiedete Stammzellengesetz, das am 1. Juli 2002 in Kraft getreten ist, die Gemüter etwas beruhigt. Viele große Erwartungen an eine Stammzelltherapie haben sich bisher nicht erfüllt. Andererseits mehren sich die Anzeichen, dass man für verschiedene Zwecke auch adulte Stammzellen an Stelle von embryonalen Stammzellen verwenden kann. Wir geben einen Überblick über die bisherige Entwicklung der Stammzellforschung und -therapie
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