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Arzneimittel und Therapie
Pruritus: Ursachen und Behandlungsoptionen des Juckreizes
Juckreiz (Pruritus) wird definiert als eine durch unterschiedliche Reize ausgelöste hautspezifische Empfindung, die mechanische Abwehrreaktionen wie Reiben, Kratzen oder Kühlen provoziert. Von den Betroffenen wird Pruritus als lästig bis qualvoll empfunden. Er kann zu erheblichen Einbußen der Lebensqualität, zu Schlafstörungen, verminderter Leistungsfähigkeit bis zu physischer und psychischer Erschöpfung führen.
Juckreiz ist keine Schmerzvariante
Während man vor einiger Zeit noch davon ausging, dass Juckreiz eine Unterform des Schmerzgefühls darstellt, weiß man heute, dass es sich dabei um eine eigenständige Empfindung handelt. Dies wird auch anatomisch in Form der spezifischen, epidermal lokalisierten Nozizeptoren und an einem eigenen Leitungssystem aus unmyelinisierten C-Fasern deutlich.
Daher kann z. B. nach Verlust der Epidermis weiterhin Schmerz, aber kein Juckreiz mehr wahrgenommen werden. Auch pharmakologisch lassen sich beide Sinnesempfindungen differenzieren: Mit Opioiden kann zwar das Schmerzempfinden, Juckreiz dagegen nicht unterdrückt werden, im Gegenteil: Nicht selten sind Opioide sogar für eine Juckreiz-Induktion verantwortlich.
Zusammenspiel verschiedener Einflüsse
Der klassische und am besten untersuchte körpereigene Juckreiz-Mediator ist das Histamin. Es spielt vor allem bei der Urtikaria eine zentrale Rolle. Endorphine und Prostaglandine sind in der Lage, die Histamin-Effekte zu potenzieren. Als weiteres wichtiges biogenes Amin im Juckreiz-Geschehen gilt Serotonin. Beim aquagenen Pruritus, also Juckreiz nach Wasserkontakt, scheint Serotonin die Hauptrolle zu spielen. Darüber hinaus sind verschiedene Proteasen, das Proopiomelanocortin-System (POMC) und Neuropeptide wie z. B. die Substanz P – ein potenter Histaminliberator – von pathophysiologischem Interesse.
Die Mannigfaltigkeit der bis heute bekannten pruritogenen Faktoren macht verständlich, dass man nicht von dem Juckreiz sprechen kann. Vielmehr treten bei verschiedenen juckreizassoziierten Erkrankungen je nach Mediator-Muster unterschiedliche Pruritus-Formen auf. Die Chance für eine kausale Pruritus-Therapie ist daher gering. Meistens kann nur eine rein symptomatische Behandlung durchgeführt werden.
Juckreiz und Medikamente
Im Gegensatz zur Schmerztherapie, für die sich inzwischen ein von der WHO empfohlenes Stufenschema etabliert hat, existiert bei der Behandlung des Juckreizes kein vergleichbares Konzept. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Juckreiz nur schwer quantifizieren lässt. Bisher wurden hierzu vorwiegend visuelle Analogskalen herangezogen. Ihre Aussagekraft ist jedoch begrenzt, was auch die Entwicklung evidenzbasierter Therapiekonzepte erschwert.
Einen der wenigen Fälle, in denen dem Juckreiz kausal begegnet werden kann, stellt der Medikamenten-induzierte Pruritus dar: Manche Arzneistoffe wie z. B. Captopril, Codein, Miconazol, Clonidin, Propafenon, Pyritinol, Tramadol, Tilidin, Bleomycin oder Gold-Präparate können als Nebenwirkung Hautjucken verursachen. Nach der intravenösen Gabe von Hydroxyethylstärke (HAES) kommt es bei manchen Patienten erst nach einer Latenzzeit von bis zu 6 Wochen zu einem generalisierten Juckreiz. Welcher Pathomechanismus hinter diesen Phänomenen steht, ist nicht bekannt.
Hautjucken als Beratungsthema
Jede Art von Hautjucken, gleich welcher Genese, kann durch bestimmte Verhaltens- und Pflegemaßnahmen gelindert werden. Dazu gehören:
- das Tragen leichter Kleidung, vorzugsweise aus Baumwolle (keine Wolle!)
- die regelmäßige Hautpflege mit – je nach Hauttyp – rehydratisierenden oder rückfettenden Externa. Bei trockener Haut können auch medizinische Ölbäder mit Sojabohnenöl (z. B. Balneum Hermal®) oder Erdnussöl (Ölbad Cordes®) empfohlen werden. Die Wassertemperatur sollte dabei jedoch 35ľC nicht überschreiten, damit der hauteigene Lipidfilm nicht weiter geschädigt wird.
- keine übertriebene Körperpflege betreiben, nicht zu lange, nicht zu heiß und nicht zu oft duschen oder baden
- in den Räumen Luftbefeuchter aufstellen, damit die Haut nicht austrocknet
- bei nächtlichem Kratzen leichte Baumwollhandschuhe anziehen
Darüber hinaus steht für die Selbstmedikation eine Fülle von Präparaten zur Verfügung:
- rezeptfreie Cortisonsalben (z. B. Ebenol®, Soventol® HC)
- Lokalanästhetika-haltige Topika (z. B. Anaesthesin® Salbe, Labocane®)
- topische Antihistaminika (Fenistil®, Systral®, Tavegil®)
- orale H1-Antagonisten (z. B. Loratadin- oder Cetirizin-haltige Präparate)
- Gerbstoff-Präparate (z. B. Tannosynt®, Tannolact®)
Darüber hinaus finden sich im Rezeptur-Fundus jeder Apotheke z. B. mit Unguentum leniens, Lotio alba aquosa oder Polidocanol-haltigen Anfertigungen (ca. 5%ig, Fertigpräparat z. B. Anaesthesulf®) weitere Möglichkeiten für den Handverkauf. Im Akutfall helfen dem Juckreiz-Geplagten auch kühlende Umschläge aus Baumwolllappen, die zuvor in kaltes Wasser getaucht wurden. Bei trockener Haut sollten jedoch lieber fettfeuchte Verbände bevorzugt werden: Um die Haut vor Austrocknung zu schützen, wird dabei zunächst eine Fettsalbe aufgetragen und der feuchte Verband dann darüber gelegt.
Juckreiz-Klassiker: Urtikaria und Neurodermitis
Am aussichtsreichsten sind Diagnose und Therapie bei der akuten Urtikaria (Nesselsucht). Typische Urtikaria-Auslöser sind Medikamente oder Nahrungsmittel, insbesondere Nahrungszusatzstoffe. Die Urtikaria ist pathophysiologisch durch Histamin-Effekte geprägt. Daher ist hier der Einsatz von oralen H1-Antagonisten in der Regel erfolgreich. Heute werden moderne, nichtsedierende Antihistaminika wie Loratadin und Cetirizin bevorzugt.
Manche Ärzte setzen jedoch gerade bei Kindern vor dem Schlafengehen bewusst noch die älteren sedierenden Substanzen wie Dimetinden (z. B. Fenistil®) oder Clemastin (Tavegil®) ein, um so den nächtlichen Kratzattacken vorzubeugen.
Weit weniger erfolgversprechend sind die derzeitigen Behandlungsmöglichkeiten bei der chronischen Urtikaria. Der eigentliche Pathomechanismus ist hier weitgehend unbekannt, man vermutet jedoch, dass Autoimmunphänomene zugrunde liegen. Daher werden in schweren Fällen das orale Immunsuppressivum Ciclosporin A und auch Immunglobuline gegeben.
Topische Corticoide bei Neurodermitis
Bei der Juckreizbehandlung im Rahmen eines atopischen Ekzems steht die Downregulation der entzündlichen Vorgänge in der Haut im Fokus. Hierzu dienen in erster Linie die modernen topischen Corticoide. Obwohl heute potente Substanzen mit günstigem Nebenwirkungsprofil verfügbar sind, werden diese Pharmaka nach Möglichkeit nur zeitlich limitiert und bei Kindern nicht großflächig eingesetzt.
In schweren Neurodermitis-Fällen müssen auch systemische Corticoide, Ciclosporin A oder der kürzlich zugelassene topische Immunmodulator Tacrolimus (Protopic®-Salbe) eingesetzt werden. Da die oralen Antihistaminika außer ihrem H1-Antagonismus auch antientzündliche Wirkqualitäten besitzen, indem sie z. B. die Leukotrien- und Interleukinfreisetzung hemmen oder die Expression von Adhäsionsmolekülen wie ICAM-1 unterdrücken, sind sie zur adjuvanten Behandlung ebenfalls sinnvoll.
Juckreiz kommt auch bei inneren Erkrankungen vor
In der Regel müssen zur effektiven Juckreizbehandlung mehrere Arzneistoffe kombiniert werden. Dies gilt auch für die Pruritus-Arten, die im Zusammenhang mit inneren Erkrankungen stehen. Bei cholestatischen Lebererkrankungen entsteht der Juckreiz vermutlich beim Kontakt von Gallensalzen mit Makrophagen und epidermalen Proteinen. Da durch die Einnahme von Cholestyramin Gallensäuren gebunden werden, lässt sich auf diese Weise auch der cholestatisch bedingte Juckreiz lindern.
Der urämische Pruritus tritt bei Personen mit Nierenfunktionsstörung, insbesondere bei terminaler Niereninsuffizienz auf. Hier scheinen zum einen die sebostatische Haut dieser Patienten, zum anderen auch ihre stark erhöhten Histamin- und Substanz-P-Werte für den Juckreiz verantwortlich zu sein. Als hilfreich haben sich beim urämischen Pruritus sowohl die UVB-Phototherapie als auch die parenterale Erythropoetin-Gabe erwiesen, wodurch sich die Histaminspiegel im Blut senken lassen.
Eine ursächliche Therapie des urämischen Pruritus ist jedoch nur mittels Nierentransplantation möglich, wonach der Juckreiz dann schlagartig verschwindet. Auch Diabetiker haben häufig mit lästigem Juckreiz zu kämpfen. Als Ursache gelten ihre häufig ausgetrocknete Haut und die bekannte diabetesbedingte Neigung zu bakteriellen oder mykotischen Hautinfektionen, welchen jedoch mit entsprechenden Antiinfektiva effektiv begegnet werden kann.
Erfahrungsgemäß werden nicht selten auch maligne Erkrankungen wie Tumore, Lymphome und Leukämie von Pruritus begleitet. So leidet ein Viertel der Morbus-Hodgkin-Patienten an Hautjucken. Bemerkenswert ist, dass die Hauterscheinungen der malignen Erkrankung oft schon mehrere Jahre vorausgehen. Die pathophysiologischen Zusammenhänge sind unbekannt.
Antipruriginöse Exoten
Neben den bisher genannten Pharmaka werden im klinischen Alltag noch weitere Substanzen gegen Juckreiz eingesetzt, auch wenn für die meisten keine entsprechende Zulassung vorliegt. So hat sich topisches Capsaicin, ein Inhaltsstoff des Cayennepfeffers mit antirheumatischer Wirkung, auch zur Linderung unterschiedlicher Juckreizformen bewährt.
Nach lokaler Applikation entsteht zunächst ein brennendes Gefühl mit Vasodilation; bei wiederholter Anwendung einer Capsaicinsalbe werden die Substanz-P-Speicher der C-Fasern entleert, wodurch der Juckreiz unterdrückt wird. Capsaicin gilt insbesondere bei renalem und cholestatischem Pruritus als gute Alternative.
Antihistaminika zur Juckreizbehandlung
Die Opiatantagonisten Naltrexon und Naloxon lassen juckende Haut ebenfalls zur Ruhe kommen. Diese Substanzen antagonisieren die Wirkung von Endorphinen, welche als Histaminverstärker indirekt am Juckreizgeschehen beteiligt sind. Der breite Einsatz von Opiatantagonisten gegen Juckreiz ist jedoch medizinisch nicht vertretbar.
Das trizyclische Antidepressivum Doxepin (Aponal®) ist gleichzeitig ein wirksamer Histamin-Rezeptor-Antagonist und wird deshalb in höherer Dosierung ebenfalls zur Juckreizbehandlung genutzt. Vor einiger Zeit sind auch antipruriginöse Effekte mit Serotonin-Antagonisten, insbesondere Ondansetron (Zofran®), beobachtet worden. Beim Schwangerschaftspruritus ist laut Literatur der Prostaglandinsynthese-Hemmer Acetylsalicylsäure wirksam und angeblich sogar den Antihistaminika überlegen.
Literatur
Wassiliew, S. W.: Juckreiz: Eine diagnostische und therapeutische Crux; Dtsch. Ärztebl. 16, 1096 – 1102 (2002). www.aerztezeitung.de (Pruritus: Was löst die Kratzwut aus, 07.09.2001) imsdd.meb.uni-bonn.de/cancernet
Kastentext Innere Erkrankungen, die häufig mit Juckreiz einhergehen
- Cholestatische Lebererkrankungen
- Urämie
- Hämatologische Erkrankungen
- Malignome
- Infektionskrankheiten
- Rheumatische Erkrankungen
- Endokrinologische Störungen
Kasten Jucken – ein Teufelskreis
Medizinisch gesehen handelt es sich beim Juckreiz um einen Reflex: Ein Reiz in oder auf der Haut wird üblicherweise mit Kratzen oder Reiben beantwortet. Hierdurch werden entzündliche Reaktionen der Haut stimuliert, wobei Histamin und andere Entzündungsmediatoren ausgeschüttet werden. Diese führen ebenfalls zu einem Reiz an den vermittelnden Nervenendigungen – bestehender Juckreiz wird weiter verstärkt.
Durch das Kratzen kann es zu kleinen Verletzungen der Haut kommen. Fremdstoffe oder Bakterien dringen in die Haut ein und verursachen eine Infektion. Auch hierdurch wird ein Juckreiz ausgelöst, sodass der Teufelskreis Jucken – Kratzen – Entzündungsprozesse – Jucken ... – in Gang kommt, der nur schwer zu unterbrechen ist.
Bei vielen Dermatosen stellt ein anhaltender, "zum aus der Haut fahrender" Juckreiz das schwerwiegendste Symptom für den Patienten dar. Aber auch manche inneren Erkrankungen gehen mit lästigem Pruritus einher. Die pathophysiologischen Abläufe in der juckenden Haut sind bisher erst ansatzweise bekannt und die therapeutischen Anti-Pruritus-Strategien gelten als verbesserungsfähig. Dank zahlreicher Pharmakagruppen mit unterschiedlichen Wirkansätzen können heute dennoch die meisten Patienten – zumindest temporär – von ihrem Juckreiz befreit werden.
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