- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 13/2002
- P. ...
Fortbildung
P. JungmayrArzneimitteltherapie bei Kindern –
Besonderheiten der Pharmakologie bei Kindern
"Kinder sind therapeutische und pharmakologische Waisen" – so charakterisierte Dr. Matthias Schwab vom Dr. MargareteFischer-Bosch Institut für Klinische Pharmakologie in Stuttgart die Pharmakotherapie im Kindesalter. Viele in der Pädiatrie verwendeten Arzneimittel wurden nicht für Kinder entwickelt, und oftmals fehlen klinisch-pharmakologische Daten, die ihren Einsatz rechtfertigen. Um eine sinnvolle Arzneimitteltherapie durchführen zu können, sind die physiologischen und pharmakologischen Besonderheiten im Kindesalter stärker zu berücksichtigen.
Viele Arzneimittel, die für Erwachsene entwickelt wurden, werden in der Pädiatrie eingesetzt, ohne dass hierfür eigene Studien durchgeführt wurden. Man schätzt, dass ein Großteil der im stationären Bereich (vor allem in der Intensivmedizin) verwendeten Pharmaka keine Zulassung für Kinder besitzt, und auch nicht alle im ambulanten Bereich eingesetzten Arzneimittel haben eine diesbezügliche Zulassung.
Warum gibt es relativ wenig speziell für die Pädiatrie entwickelte Arzneimittel? Das sind zum einen rechtliche und ethische Gründe, die Studien mit Kindern generell erschweren, zum andern ein mangelndes wirtschaftliches Interesse der Industrie, aber auch physiologische und pharmakokinetische Besonderheiten im Kindesalter, die bei der Entwicklung eines kindgerechten Arzneimittels berücksichtigt werden müssen.
Physiologische Besonderheiten
Um Kindern eine wirksame und verträgliche Therapie zukommen zu lassen, müssen entwicklungsphysiologische Besonderheiten, die Wirksamkeit des Arzneistoffs sowie pharmakokinetische Aspekte wie Absorption, Transport, Distribution, Metabolisierung und Exkretion berücksichtigt werden. Im Säuglings- und Kindesalter sind zum einen die Größenverhältnisse und die Körperlänge zu beachten, aber auch das Organgewicht. So macht z. B. das Gehirn bei Neugeborenen 13%, beim Erwachsenen nur noch 2% der Organmasse aus.
Hinzu kommen anatomische Veränderungen, die ebenfalls bei der Pharmakotherapie berücksichtigt werden müssen. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Verschluss des Ductus venosus, der ca. 15 Tage nach der Geburt abgeschlossen ist. Erst mit diesem Verschluss kann die Leber vermehrt durchblutet werden.
Pharmakokinetische Aspekte
Die gastrointestinale Absorption ist vor allem in der Neugeborenenperiode durch eine verminderte Säureproduktion im Magen, durch einen reduzierten Gallenfluss, durch eine veränderte bakterielle Darmbesiedlung und Darmdurchblutung, eine noch nicht ausgeprägte Intestinalmukosa und durch eine gesteigerte enterohepatische Reabsorption gekennzeichnet. Die dermale Resorption ist ausgeprägter als beim Erwachsenen, so führt z. B. eine topische Applikation von Theophyllin zu messbaren, therapeutischen Plasmaspiegeln.
Desinfektionsmittel können ebenfalls durch die Haut aufgenommen werden und toxische Wirkungen entfalten. Dies war z. B. bei der Anwendung benzylalkoholhaltiger Spüllösungen der Fall, die zu letal endenden Intoxikationen führte ("Gasping Syndrom").
Unterschiedliches Verteilungsvolumen
Bei der Dosierung und Auswahl eines Arzneistoffs muss ebenfalls das unterschiedliche Verteilungsvolumen bei Säuglingen und Kindern berücksichtigt werden. Das Gesamtkörperwasser nimmt mit zunehmendem Alter ab, der Anteil des Extrazellularraums am Gesamtkörperwasser ebenso. Bei Frühgeborenen kann der Extrazellularraum 80% des Gesamtkörperwassers betragen, bei Neugeborenen liegt der Anteil bei ca. 50%, bei Erwachsenen bei rund 30%.
Arzneistoffe, die sich überwiegend im Extrazellularraum verteilen wie z. B. Aminoglykoside oder Theophyllin, werden deshalb bei Früh- und Neugeborenen höher pro kg Körpergewicht dosiert als bei Erwachsenen. Umgekehrt werden Wirkstoffe, die sich im Fettgewebe verteilen, niedriger dosiert (z. B. Diazepam).
Metabolisierung und Ausscheidung
Bestimmte Metabolisierungsleistungen in Leber und Darm sind altersabhängig. Durch die unreife Enzymausstattung finden oxidative Biotransformationen (Cytochrom P450) und Konjugationen (vor allem Glucuronidierung) in einem geringeren Ausmaß statt. Art und Umfang der Isoenzyme von Cytochrom P450 sind ebenfalls extrem altersabhängig, so gibt es auch Isoenzyme, die nur in den ersten Lebensmonaten aktiv sind. Praktische Konsequenzen hat z. B. die im Säuglingsalter langsame Acetylierung auf die Dosierung von Isoniazid bei einer Tuberkulosetherapie. Die verlangsamte Glucuronidierung war die Ursache für das Grey-Syndrom bei einer Chloramphenicoltherapie.
Eine verminderte renale Ausscheidung vor allem bei Frühgeborenen führt häufig zu einer verzögerten Arzneimittelelimination, was ebenfalls bei der Dosierung von Arzneimitteln berücksichtigt werden muss.
Pharmakodynamik
Pharmakodynamische Parameter wie Rezeptorwirkung oder Signaltransduktionen sind ebenfalls altersabhängig. Daraus resultiert teilweise auch ein anderes Nebenwirkungsspektrum der Arzneistoffe. So führt z. B. Fentanyl bei Kindern zu keiner Atemdepression und wird in der Relation höher dosiert als bei Erwachsenen.
Um die Wirkung eines Arzneistoffs auf den kindlichen Organismus ermitteln zu können, ist die Entwicklung sog. PK/PD-Modelle (Pharmakokinetik/Pharmakodynamik-Modelle) erforderlich. Mit Hilfe dieser Modelle können klinische Studien simuliert werden. Diese Modelle werden eingesetzt, um die Beziehung zwischen Konzentration und Wirkung eines Arzneistoffs zu ermitteln.
Den vollständigen Bericht vom 30. Fortbildungsseminar der LAK Baden-Württemberg in St. Blasien-Menzenschwand finden Sie in unserem Kongressbereich eingestellt.
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Die Arzneitherapie bei Kindern weicht deshalb in vielen Punkten von der Arzneitherapie Erwachsener ab. Diese Erkenntnis zog sich wie ein roter Faden durch die Referate des Fortbildungsseminars der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, das am 16./17. März in St. Blasien-Menzenschwand stattfand.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.