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Arzneimittel und Therapie
Selektiver COX-2-Hemmer: Rofecoxib gegen Rheumaschmerz
Die Arthrose ist eine der am weitesten verbreiteten Volkskrankheiten. Ab dem 60. Lebensjahr betrifft sie nahezu jeden Menschen, kann aber auch bereits bei jüngeren Menschen auftreten. Hauptursachen sind Fehlbelastungen, Stoffwechselvorgänge und hohes Übergewicht. Auch die Veranlagung spielt eine Rolle.
Mechanische Abnutzung und Entzündung
Bei der Arthrose kommt es zu einer mechanischen Abnutzung des Gelenkknorpels. Die Krankheit verläuft in Schüben. Im Schub wird die Synovialmembran gereizt, und entzündliche Veränderungen entstehen. Die oberflächlichen Schichten des Knorpels schilfern ab, und seine geordnete Arkadenstruktur wird zerstört. Schließlich geht Knorpelmasse verloren, so dass auch die Bereiche unter dem Knorpel in Mitleidenschaft gezogen werden. An diesen Stellen kann sich der Knochen kompensatorisch vermehren, durch Einbruchvorgänge entstehen so genannte Geröllzysten. Dadurch kommt es zu Bewegungseinschränkungen bis hin zu einer Versteifung der Gelenke. Am häufigsten sind Hüftgelenke, Kniegelenke und die kleinen Fingergelenke betroffen. Das Sprunggelenk, die Ellenbogen- und die Handgelenke werden nur selten in Mitleidenschaft gezogen.
Die latente Arthrose ist nur im Röntgenbild sichtbar, und der Patient bemerkt sie kaum. Bei der aktivierten Arthrose treten Bewegungs- und Ruheschmerzen auf. Die Schmerzen können viele Ursachen haben, dazu gehören Muskelüberlastung, eine Entzündung der Gelenkinnenhaut, Belastung der Sehnen und Bänder, eine Reizung des Sehnenansatzes und eine Abhebung der Knochenhaut. Ein wichtiger Schmerzmediator ist Prostaglandin E2, das die Nozizeptoren an der Synovialmembran sensibilisiert und die Wirkung anderer Schmerzmediatoren wie Bradykinin an den Nervenendigungen möglich macht.
Schmerzmittel schaden dem Magen
Symptomatisch wird die Arthrose vor allem mit nichtsteroidalen Antirheumatika behandelt. 26% aller NSAR werden bei Gelenkerkrankungen verordnet. Diese Zahl wird nur noch von Rückenschmerzen mit 37% aller Verordnungen übertroffen. Alle Arzneimittel dieser Stoffgruppe haben jedoch gastrointestinale Nebenwirkungen, die unterschiedliche Schweregrade und Auswirkungen haben können. Eine intensive Therapie mit NSAR führt bei 70% der Patienten zu - teilweise asymptomatischen - Magenschleimhautschäden, 30 bis 50% der Patienten haben gastrointestinale Beschwerden.
Dyspeptische Beschwerden und Magenschleinhautläsionen unterschiedlichen Schweregrades korrelieren nicht miteinander; Ulzera und selbst Magenblutungen können auch ohne Schmerzsymptomatik entstehen. Unter einer NSAR-Therapie entwickeln 13% der Patienten Magengeschwüre, 11% ein Duodenalulkus. Ohne eine derartige Behandlung kommt es bei 0,3% der Bevölkerung zu Magen- und bei 1,4% zu Duodenalulzera.
Um NSAR magenverträglicher zu machen, werden sie in Kombination mit Misoprostol oder Protonenpumpenhemmern eingesetzt. H2-Antihistaminika sind hierzu nicht geeignet. Unter dem Einsatz von Ranitidin stieg die Ulkusrate sogar noch an, weil sich wegen der Linderung der Dyspepsie und des fehlenden Schmerzes mehr Geschwüre asymptomatisch entwickeln konnten.
Hemmung von COX-1 und COX-2
Herkömmliche nichtsteroidale Antirheumatika wirken über eine Hemmung des Enzyms Cycylooxygenase, des Schlüsselenzyms der Prostaglandinsynthese. Von diesem Enzym sind heute zwei Isoformen bekannt: Die COX-1 ist konstitutiv in vielen Geweben vorhanden und spielt bei vielen physiologischen Vorgängen eine wichtige Rolle, unter anderem bei der Bildung der magenschützenden Prostaglandine in der Magenschleimhaut. Hier regulieren Prostaglandine die Schutzmechanismen, wie die Bicarbonataufladung des Mukus und die Mukosadurchblutung.
Die COX-2 wird in wenigen Geweben konstitutiv und in vielen Geweben bei Bedarf adaptations- oder stressinduziert gebildet. Sie dient in verschiedenen Geweben wahrscheinlich der Anpassung an veränderte Bedingungen, beispielsweise in den Ovarien und Eierstöcken, in den Nieren, im Rückenmark und im Gehirn. Erst wenn die Adaptation pathologisch wird, kommt es zu Entzündungs- und Schmerzreaktionen.
"Coxibe" hemmen selektiv COX-2
Die heute üblichen nichtsteroidalen Antirheumatika beeinflussen beide Isoformen der Cyclooxygenase unterschiedlich stark. Von einer Selektivität konnte bis jetzt jedoch keine Rede sein, auch wenn seit der Entdeckung der COX-2 zahlreiche Substanzen daraufhin getestet wurden. Dazu gehört unter anderem das schon länger bekannte Meloxicam, das zu Unrecht als erster selektiver COX-2-Hemmer gefeiert wurde. Alle herkömmlichen NSAR hemmen in therapeutischer Dosierung die COX-1.
Mit den "Coxiben" Celecoxib und Rofecoxib sind nun erstmals Substanzen verfügbar, die tatsächlich in physiologischen Dosen eine sehr hohe Selektivität für die COX-2 aufweisen. Im Tierversuch wirken die "Coxibe" genauso gut antiphlogistisch wie andere NSAR, die Schmerzempfindung wird jedoch besser gehemmt.
Nebenwirkungen an den Nieren
Die gastrointestinalen Nebenwirkungen der "Coxibe" sind nach den heute vorliegenden Studienergebnissen deutlich geringer als bei den herkömmlichen NSAR. Ohne Nebenwirkungen sind allerdings auch die neuen Substanzen nicht: Wie unter der Behandlung mit anderen Prostaglandinsynthese-Hemmern wurden auch unter Rofecoxib Flüssigkeitseinlagerungen und Ödeme beobachtet.
Wahrscheinlich spielen renale Prostaglandine bei der Aufrechterhaltung der Nierendurchblutung eine kompensatorische Rolle, und "Coxibe" können an den Nieren zur Retention von Wasser und Salzen führen. Über Nierenschäden ist heute zwar noch nichts bekannt, aber diese sind auch erst bei der Langzeitanwendung zu erwarten. Ein erhöhtes Risiko für Nierenschäden haben Patienten mit bereits bestehender eingeschränkter Nierenfunktion sowie bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz oder Leberzirrhose. Bei diesen Patienten werden Verlaufskontrollen der Nierenfunktion angeraten. Wegen der Gefahr von Flüssigkeitseinlagerungen ist besondere Vorsicht bei Patienten mit anamnestisch bekannter Herzinsuffizienz, Linksherzdysfunktion oder Hypertonie sowie bei Patienten mit bestehenden Ödemen anderer Ursache angezeigt.
Rofecoxib zur Schmerzlinderung
Rofecoxib ist derzeit nur zur symptomatischen Behandlung von Reizzuständen bei degenerativen Gelenkerkrankungen zugelassen. Wahrscheinlich wirkt die Substanz aber nicht nur analgetisch, sondern auch antiphlogistisch, was in verschiedenen Studien untersucht wird. Für Celecoxib ist in den USA eine antiphlogistische Wirkung belegt und zugelassen.
Oral verabreicht wird Rofecoxib in den empfohlenen Dosierungen von 12,5 mg und 25 mg gut resorbiert. Die orale Bioverfügbarkeit liegt im Mittel bei ca. 93%, Rofecoxib wird zu etwa 85% an Plasmaproteine gebunden. Die hohe Bioverfügbarkeit und lange Halbwertszeit (> 17 Std.) von Rofecoxib ermöglichen eine anhaltende Wirkung über 24 Stunden bei einmal täglicher Applikation.
Die Metabolisierung über die Leber erfolgt weitgehend unabhängig von den Isoenzymen der P450-Gruppe. Interaktionen mit Prednison, oralen Kontrazeptiva, Digoxin, niedrig dosierter Acetylsalicylsäure, Antazida oder Cimetidin wurden nicht beobachtet. Geringfügige Wechselwirkungen traten bei einer Komedikation mit Warfarin oder Methotrexat auf. Diese waren jedoch klinisch nicht von Bedeutung.
Klinische Studien
In klinischen Studien waren Perforationen, Ulzera und/oder Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt bei Patienten unter Rofecoxib-Therapie signifikant geringer als bei Patienten unter einer Therapie mit anderen nichtsteroidalen Antirheumatika, die als Vergleichssubstanzen dienten (Diclofenac 50 mg dreimal pro Tag, Ibuprofen 800 mg dreimal pro Tag, Nabumeton 1500 mg pro Tag). Diese Ergebnisse basieren hauptsächlich auf Erfahrungen mit Ibuprofen 800 mg dreimal pro Tag. Unter Rofecoxib kam es während eines Zeitraums von 12 Monaten auch seltener zu Therapieabbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen im Gastrointestinaltrakt.
Inzwischen wurde Rofecoxib bei 5435 Patienten eingesetzt; davon hatten 3595 eine Arthrose, 1881 waren über 65 Jahre und 406 über 75 Jahre alt. 1385 Osteoarthrose-Patienten erhielten Rofecoxib länger als 6 Monate, 818 länger als ein Jahr. Im therapeutischen Dosisbereich (12,525 mg/Tag) lag die Inzidenz klinischer Nebenwirkungen durchweg im Plazebobereich. Am häufigsten traten Infekte der oberen Atemwege, Durchfall und Kopfschmerzen auf. Keine signifikanten Veränderungen zeigten sich bei den Leberfunktionstests, beim Blutdruck, bei Serumelektrolyten und Serumkreatinin. Obwohl in den Studien auch Patienten mit geringer bis mittelgradiger Niereninsuffizienz eingeschlossen waren, wurden keine gravierenden renalen Komplikationen beobachtet. Einige Patienten entwickelten jedoch eine leichte Natriumretention und geringgradige Beinödeme - in einer Größenordnung, wie sie auch von anderen NSAR bekannt ist. Kardiovaskuläre und Blutungsereignisse traten nicht vermehrt auf, auch nicht bei Komedikation mit Acetylsalicylsäure. Eine Komedikation mit gastrointestinalen Medikamenten war unter Rofecoxib signifikant seltener erforderlich als unter NSAR.
Kastentext: Gute COX-1 - böse COX-2?
Die COX-1 wird in einer Reihe von Geweben konstitutiv exprimiert, beispielsweise im Magen, im Darm, in den Nieren und in den Thrombozyten. Unter anderem spielt die COX-1 bei der Bildung der magenschützenden Prostaglandine in der Magenschleimhaut eine Rolle. Hier regulieren Prostaglandine die Schutzmechanismen wie die Bicarbonataufladung des Mukus und die Mukosadurchblutung.
Die "böse" COX-2 kann durch proinflammatorische Stimuli induziert werden. Diese Isoform scheint in erster Linie für die Synthese prostanerger Mediatoren im Rahmen von Schmerz, Entzündung und Fieber verantwortlich zu sein. Die COX-2 wird jedoch auch in wenigen Geweben konstitutiv exprimiert, zum Beispiel im Gehirn, in den Nieren und in den Fortpflanzungsorganen. Offenbar spielt die COX-2 bei der Ovulation, der Implantation, beim Verschluss des Ductus arteriosus und bei Funktionen des Zentralnervensystems (Fieberinduktion, Schmerzempfindung, kognitive Funktionen) eine Rolle. Wahrscheinlich dient die COX-2 vor allem der Anpassung an veränderte Bedingungen. Unter anderem scheint sie bei der Abheilung von experimentell induzierten Ulzera im Tierversuch wichtig zu sein. Auch beim Menschen wurde die COX-2 in Geweben in der Umgebung von Magenulzera gefunden. Ihre Bedeutung im Rahmen des Heilungsprozesses von Ulzera beim Menschen ist jedoch nicht nachgewiesen. Die COX-2 spielt auch bei der Abwehr prothrombotischer Reaktionen am Endothel der großen Gefäße eine Rolle. Kritiker der neuen Substanzen befürchten, dass bei ihrem breiten Einsatz thrombotische Erkrankungen vermehrt auftreten können.
Dass die COX-2 nicht unwichtig sein kann, zeigen auch Versuche mit so genannten "Knock-out"-Mäusen, die das entsprechende Enzym nicht bilden können. Mäuse, die keine COX-2 bilden können, sind nicht lebensfähig, während ihre Artgenossen ohne COX-1 ganz gut auskommen.
Kastentext: Epidemiologie der rheumatoiden Arthritis
- Prävalenz zwischen 0,5 und 1%
- häufigstes Auftreten zwischen dem 35. und 60. Lebensjahr
- Frauen sind zwei- bis viermal häufiger betroffen als Männer
- etwa 4 bis 7% der Erkrankten sind Kinder oder Jugendliche
Quelle: Prof. Dr. Gerd-R. Burmester, Berlin; Dr. Wolfgang W. Bolten, Wiesbaden; Prof. Dr. Dr. Kay Brune, Erlangen-Nürnberg; Prof. Dr. Henning Zeidler, Hannover; Einführungspressekonferenz "Vioxx gegen Schmerzen und Entzündung bei Arthrose", Frankfurt/M., 15. Dezember 1999, veranstaltet von MSD Sharp & Dohme GmbH, Haar.
Seit mehreren Jahren wird über den Vorteil einer selektiven COX-2-Hemmung bei nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) diskutiert. Jetzt istder erste COX-2-Hemmer mit hoher COX-2-Selektivität auf dem Markt: Rofecoxib (Vioxx) verspricht eine gute analgetische Wirkung bei weniger gastrointestinalen Nebenwirkungen als herkömmliche NSAR. Die bisher vorliegenden klinischen Daten sind vielversprechend; allerdings könnten bei breiter Anwendung über einen längeren Zeitraum neue Nebenwirkungen auftreten, die man heute noch nicht kennt.
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