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Europapolitik: Arzneipolitik wird in Europa gemacht
Bisher wurde bei gesundheitspolitischen Fragestellungen stets unterstellt, dass diese in die Zuständigkeit der nationalen Regierungen fallen. Daraufhin schenken viele Akteure im Gesundheitswesen der europäischen Politik wenig Beachtung. Doch so wie der Apotheker Heilberufler und Kaufmann sein muss, hat auch das Gesundheitswesen rein gesundheitliche Aspekte und betrifft zugleich den Warenverkehr.
Europa ist zuständig für den Arzneimittelmarkt
Ungeachtet ihrer besonderen Funktion stufen die europäischen Institutionen Arzneimittel als Waren ein. So hat das Europäische Parlament am 8. März 1999 seinen Ausschuss für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik als federführenden Ausschuss für die Umsetzung des Binnenmarktes für Arzneimittel benannt. Mitberatend in diesem Verfahren sind die Ausschüsse für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten sowie für Umweltfragen, Volksgesundheit und Verbraucherschutz. Bereits diese Gewichtung mag als politische Aussage verstanden werden.
Demnach sehen sich Europäische Kommission und Europäisches Parlament als zuständig für Fragen des Arzneimittelmarktes an. Wenn diese europäischen Institutionen Einfluss auf den Arzneimittelmarkt nehmen, kann aber die These von der rein nationalen Zuständigkeit für das Gesundheitswesen nicht mehr aufrecht erhalten werden. Künftige Überlegungen über die weitere Entwicklung des Gesundheitswesens werden daher verstärkt Entscheidungen der EU einbeziehen müssen.
Binnenmarkt für Arzneimittel angestrebt
Bisher wurden noch keine EU-Richtlinien hierzu verabschiedet. Doch sind auch Stellungnahmen der alten EU-Kommission noch immer aktuell. Sie werden weiterhin in europäischen Gremien beraten und könnten in künftige EU-Richtlinien eingehen. Gemäß einer Stellungnahme der Europäischen Kommission vom November 1998 sollten mit der Vollendung des Binnenmarktes für Arzneimittel insbesondere zwei Ziele verfolgt werden: Verbraucher sollen zu erschwinglichen Preisen ungehinderten Zugang zu Arzneimitteln erhalten, und es sollen angemessene Anreize für Innovationen und industrielle Entwicklungen gegeben werden. Dies ist zudem mit den Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Eindämmung der Gesundheitsausgaben in Einklang zu bringen. Auch aus dieser Sichtweise wird die Beziehung zwischen der nationalen Gesundheitspolitik und der europäischen Wirtschaftspolitik deutlich.
Die derzeit sehr unterschiedliche Regelung der Arzneimittelmärkte in den Mitgliedsländern ist nach Auffassung der Kommission nicht geeignet, die Integration der Märkte ausreichend zu gewährleisten und für den gewünschten europaweiten Wettbewerb zu sorgen. Die Extremlösung, den gesamten europäischen Arzneimittelmarkt in einem Schritt zu integrieren, wird ebenfalls abgelehnt. Denn hierbei müsste für die gesamte EU ein einheitliches Preisniveau gefunden werden, was praktisch nicht umsetzbar erscheint. Somit bliebe nur ein Mittelweg, der in der schrittweisen Integration der Märkte besteht.
Abschaffung staatlicher Preiskontrollen
Hierzu wird empfohlen, Preiskontrollen zu lockern, damit sich echter Wettbewerb entwickeln könne. Dies zielt in erster Linie auf die staatlichen Preiskontrollen ab, die insbesondere in vielen südlichen EU-Ländern bestehen und den Anlass für Re- und Parallelimporte bilden. Ein Handel, der auf staatlichen Preiskontrollen in einzelnen Mitgliedsländern beruht, wird nicht als sinnvoller Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft angesehen. Die Lockerung oder Abschaffung solcher Preiskontrollen würde in allen Ländern der EU zu einer freien oder zumindest freieren Preisbildung auf der Herstellerebene führen, d.h. tendenziell zu dem in Deutschland üblichen Verfahren.
Bestand der Arzneimittelpreisverordnung unsicher
Allerdings ist in der Stellungnahme ein Trend zur Abschaffung aller Preiskontrollen zu erkennen. Im Vordergrund steht dabei die Herstellerebene, doch werden die nachfolgenden Handelsstufen andererseits auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr wird eine grundsätzliche Liberalisierung der Preisbildung angesprochen, die letztlich auch den Großhandel und die Apotheken beträfe. Dies könnte bei konsequenter Umsetzung das Ende der Arzneimittelpreisverordnung mit allen weiteren Folgen für die deutschen Apotheken bedeuten.
Vertragspolitik gefordert
Anstelle einseitiger Preisfestsetzungen wird eine Vertragspolitik zwischen Behörden und Unternehmen gefordert. Damit sollten die Folgen für die Gesundheitsausgaben der Staaten bzw. ihrer Krankenversicherungssysteme gesteuert werden. Möglicherweise bestünden an dieser Stelle Chancen, ein Instrument wie die Arzneimittelpreisverordnung zu integrieren.
Eine weitere Perspektive für die Apotheken bietet die Empfehlung zum verstärkten Einsatz von Generika. Dies könnte den Weg für eine Substitutionsmöglichkeit in der Apotheke bereiten. Daneben wird empfohlen, bestimmte Produkte aus der Erstattungspflicht herauszunehmen und höhere Zuzahlungen für Arzneimittel gegen geringfügige Erkrankungen einzuführen. Damit würde auch in Entscheidungen der nationalen Gesundheitspolitik eingegriffen, was die engen Beziehungen dieser politischen Teilbereiche besonders verdeutlicht.
Neue Dreiteilung des Marktes
Für die praktische Durchführung sei der Arzneimittelmarkt in drei Teilen zu betrachten. Danach sollten rezeptfreie Arzneimittel von nicht-patentgeschützten und patentgeschützten rezeptpflichtigen Arzneimitteln unterschieden werden. Eine eher langfristig angelegte, moderate Umsetzung des Binnenmarktes wird nur für die letzte Kategorie empfohlen, da bei den patentgeschützten Arzneimitteln kein Wettbewerb im üblichen Sinne möglich ist. Den generisch verfügbaren Arzneimitteln wird dagegen eher der Charakter normaler Handelswaren zugeschrieben, da hier ein funktionierender Wettbewerb organisierbar sei.
Das Parlament hat die Kommission gebeten, Vorschläge für die Umsetzung des Binnenmarktes für Arzneimittel zu machen. Demnach kann erwartet werden, dass die neu formierte Kommission sich in Zukunft stärker dieser Thematik widmen wird. Damit dürfte die europäische Politik für das Gesundheitswesen und ganz besonders für die Arzneimittelversorgung bald eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Über die intensive Diskussion um die geplante Gesundheitsreform in Deutschland sind mögliche Einflüsse der EU-Politik auf das deutsche Gesundheitswesen in der jüngeren Vergangenheit wenig beachtet worden. Doch drohen von europäischer Seite möglicherweise Veränderungen, die sich auf die deutschen Apotheken weit stärker auswirken könnten als die nationale Gesetzgebung. Wir sind den europäischen Strömungen nachgegangen.
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