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Das Virus als Heilmittel

LONDON (nk). Die zunehmende Antibiotikaresistenz ist auch in England in Fachkreisen ein viel diskutiertes Thema. "Antimikrobielle Resistenz ist ein bleibendes Phänomen", stellte ein vom Wissenschafts- und Technologieausschuß des britischen Oberhauses (House of Lords) veröffentlichter Bericht fest.


Die Suche nach Alternativen zur Antibiotikatherapie hat jedoch begonnen. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die Phagentherapie.
Bei der Phagentherapie nimmt man ein Virus zu Hilfe, das Bakterien infiziert (Bakteriophagen), um damit eine bakterielle Infektion zu behandeln.
Einer der Experten, die vor dem Ausschuß berichteten, war Dr. James Soothill vom Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität von Manchester. Dr, Soothills Forschungsgebiet ist der Einsatz von Bakteriophagen bei der Behandlung von Infektionen von Patienten mit Brandwunden. Bakterien können u. a. zur Zerstörung eines Hauttransplantats und zur Bakteriämie führen. Die DAZ traf Dr. Soothill in Eastsbourne, wo er im Rahmen des Britischen Apothekertages einen Vortrag über seine Forschungsergebnisse hielt.

Erfolg bei Hauttransplantaten


Dr. Soothill beobachtete 14 Meerschweinchen, denen ein Hauttransplantat in Gegenwart des Bakteriums Pseudomonas aeruginosa eingepflanzt worden war. Sieben der Meerschweinchen wurden anschließend mit einem Pseudomonas-Phagen behandelt, während der Kontrollgruppe eine einfache Suspension verabreicht wurde. Während das Transplantat in der Kontrollgruppe ohne Ausnahme zerstört wurde, war die Bahndlung bei der mit Phagen behandelten Gruppe in sechs Fällen erfolgreich. Die Idealdosis für den Phagen war zuvor in einem eigenen Experiment bestimmt worden.
Ein erster Therapieversuch am Menschen stellte sich ebenfalls als vielversprechend heraus. Dr. Soothill behandelte einen kritisch erkrankten Brandwundenpatienten, bei dem jede mögliche Antibiotikatherapie fehlgeschlagen war. Es handelte sich hierbei ebenfalls um eine Pseudomonas-Infektion. Die Phagendosis wurde zunächst auf eine Filterpapierscheibe aufgetragen und anschließend auf die Brandwunden gelegt. Nach 48 Stunden besserte sich der Zustand des Patienten deutlich. "Diese Ergebnisse zeigen, daß unter den richtigen Bedingungen die Phagentherapie erfolgreich sein kann", sagte Dr. Soothill.

Phagentherapie schon lange bekannt


Die Idee, ein Virus als Heilmittel einzusetzen, ist durchaus nicht neu. Bakteriophagen wurden schon 1915 entdeckt und u. a. zur Behandlung von Infektionskrankheiten eingesetzt. Erste klinische, jedoch schlecht kontrollierte Studien in den 30er Jahren deuteten zwar auf eine gewisse Wirksamkeit der Bakteriophagen hin, die Entdeckung der Sulfonamide und Antibiotika führten jedoch dazu, daß die Erforschung der Phagentherapie größtenteils eingestellt wurde - mit Ausnahme in der ehemaligen UdSSR und in Osteuropa. Das Interesse stieg erst wieder in den 80er Jahren. William Smith et al. konnten imponierende Ergebnisse ihrer Studien vorweisen, die im Gegensatz zu den in den 30er Jahren diesmal in streng kontrollierten Experimenten durchgeführt worden waren. Smith konnte zeigen daß sowohl Prophylaxe als auch Therapie mit Hilfe der Phagen möglich war. Mit E. coli infizierte Mäuse reagierten - wenn auch weniger effektiv - sogar dann noch auf die Bakteriophagentherapie, wenn diese vorher gegen den Phagen immunisiert worden waren.

Fähigkeit zur Replikation


Bakteriophagen haben gegenüber Antibiotika zahlreiche Vorteile - der bedeutungsreichste ist ohne Frage die Fähigkeit zur Replikation. Eine einzige schwache Dosis kann schon genügen, um eine Infektion zu behandeln. Im Falle des zuvor genannten von Dr. Soothill behandelten Brandwundpatienten stieg die Zahl der Phagen in 48 Stunden von 1000 auf 1,2*106 bzw. 4,3*104. Außerdem vermehren sich Phagen fast ausschließlich am Infektionsort, was die Gefahr von Nebenwirkungen reduziert. Schließlich sind Phagen im Gegensatz zu Antibiotika nur gegen eine sehr eingeschränkte Zahl von Bakterienstämmen wirksam, wodurch die normale Bakterienflora nicht angegriffen wird und meist keine Selektion für eine Resistenz stattfindet.
Doch in dem letzten Punkt liegt zugleich ein Nachteil. Weiß man nicht genau, um welche Infektion oder welches Bakterium es sich handelt (blind treatment), ist der Einsatz von Phagen anstelle von Antibiotika häufig wenig erfolgreich. Zudem sind Phagen relativ groß, weshalb sie manche Wirkorte nicht einfach erreichen können -die hohe Replikationsrate gleicht diesen Nachteil jedoch aus.
Phagenresistenz und Immunogenität sind weitere Probleme. Bakterien entwickeln eine Resistenz gegen den Phagen noch schneller als gegen Antibiotika, und der Phage selbst wird vom menschlichen Immunsystem angegriffen, d. h. er wird eventuell eliminiert, bevor er seine Wirkung ausüben kann. Der Phage selbst könnten zudem Gene für eine Antibiotikaresistenz oder andere unliebsame Eigenschaften tragen. Bedenken bezüglich etwaiger allergischer oder sogar toxischer Reaktionen konnten bisher in Versuchen mit Freiwilligen weitaus zerstreut werden.
"Der Phage ist sicherlich nicht die Antwort auf Antibiotikaresistenzen, aber es gibt mit Sicherheit ein paar Kerngebiete in denen er nützlich sein kann. Es muß für Phagen eine Rolle in diesen Bereichen geben", sagte Dr. Soothill. Er denkt dabei zum Beispiel an die Behandlung einer antibiotikaresistenten Tuberkulose oder bestimmter Darminfektionen.l

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