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Forschungsprojekt im Landkreis Groß-Gerau
Absichtserklärung für Konsumcannabis aus Apotheken unterzeichnet
Schon zu Beginn der Debatte um die Legalisierung von Cannabis wurden Apotheken als mögliche Abgabestellen für Cannabis als Genussmittel ins Gespräch gebracht. Daraus wurde zunächst nichts. Doch ein geplantes Forschungsprojekt im südhessischen Groß-Gerau könnte das bald ändern. Anfang 2025 wird die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft entscheiden, ob es in diesem Rahmen Freizeitcannabis aus der Apotheke geben wird.
Apotheken im südhessischen Landkreis Groß-Gerau könnten schon bald Cannabis zu Genusszwecken abgeben. Das sieht ein Forschungsprojekt vor, das der Cannabis-Großhändler Cansativa Group gemeinsam mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf entwickelt. Im Januar 2025 soll ein Antrag bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) eingereicht und dort darüber entschieden werden. Sollte der Bescheid positiv ausfallen, wird das Projekt über fünf Jahre hinweg die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Auswirkungen der legalen Cannabisabgabe in Apotheken untersuchen.
Als symbolischen Startschuss für die Projektplanung unterzeichneten der Erste Kreisbeigeordnete Adil Oyan (Grüne) und die Cansativa-Geschäftsführer Jakob und Benedikt Sons am Vormittag des 19. Dezember 2024 im Rahmen einer Pressekonferenz im Landratsamt Groß-Gerau eine Absichtserklärung.
Forschungsverordnung ermöglicht Pilotversuche
Ursprünglich sah die Bundesregierung vor, in regionalen Modellprojekten die Abgabe von kommerziellem Freizeitcannabis an registrierte Konsument*innen in einer sogenannten „zweiten Säule“ der Cannabislegalisierung zu ermöglichen.
Laut Branchenverband Cannabiswirtschaft e.V. bekundeten bundesweit 27 Kommunen ihr Interesse, sich an Modellregionen zur kommerziellen Abgabe von Cannabis zu beteiligen. Auch der Kreistag Groß-Gerau erklärte sich im Sommer 2024 dazu bereit. Die SPD stoppte jedoch die weiteren Abstimmungen zur zweiten Säule – das Vorhaben liegt damit auf Eis.
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Eine Alternative brachte nun die Verordnung zu Cannabis-Forschungsprojekten, die das Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) am 11. Dezember erließ. Sie erlaubt die Forschung mit Konsum-Cannabis, wenn zuvor eine Genehmigung bei der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft eingeholt wurde. Das BMEL weist darauf hin, dass es sich bei dieser Verordnung nicht um die „zweite Säule“ der Cannabislegalisierung handelt, für die das Bundesministerium für Gesundheit zuständig sei.
Einige der 27 Kommunen arbeiten seit dem 11. Dezember gemeinsam mit Cannabisunternehmen an Anträgen, die unter die Maßgabe der nun erlassenen BMEL-Verordnung fallen sollen. Im neuen Jahr wird die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft über Modellvorhaben entscheiden, die neben Groß-Gerau in Berlin, Frankfurt und Hannover geplant sind.
Apotheken liefern Infrastruktur
In dem geplanten Forschungsprojekt in Groß-Gerau werden Apotheken explizit als Abgabestellen genannt. Den Anstoß für diese Konstellation gab die Cannabis-Firma Cansativa Group, die federführend am Antrag beteiligt ist. Sie hat ihren Sitz im zehn Kilometer südlich des Flughafens Frankfurt am Main gelegenen Mörfelden-Walldorf in Groß-Gerau. Kerngeschäft von Cansativa ist der Import und Vertrieb von medizinischem Cannabis über Apotheken.
„Ziel ist es, aus Effizienzgründen auf bestehende Lieferketten und Sortimente zurückzugreifen“, sagte Cansativa-Geschäftsführer Benedikt Sons anlässlich der Pressekonferenz. „Wir brauchen qualitätsgesicherte Produkte, wir brauchen eine verlässliche Lieferkette und Abgabestellen, die mit dieser Forschungssituation nicht überfordert sind.“
Die Abstimmung mit den Apotheken ist derzeit lose: Nach dem 11. Dezember habe Cansativa bei den Apotheken, die der Großhändler beliefert, angefragt, ob Interesse an solchen Modellen bestehe – niemand habe sich ablehnend geäußert. Das Unternehmen berät sich derzeit mit den Behörden, wie Medizinalcannabis zu Konsumcannabis für Forschungszwecke umgewidmet werden kann.
Vorbild aus der Schweiz
Auch wenn viele Details noch offen sind, könnte das Projekt in etwa so ablaufen: Volljährige Personen, deren Wohnsitz im Landkreis Groß-Gerau liegt, sollen sich nach dem möglichen Start über eine App als Konsument*innen registrieren können. Die registrierten Konsument*innen erhalten einen Ausweis, mit dem sie in teilnehmenden Apotheken Cannabis bis zu einer Höchstmenge kaufen können.
Parallel finden Befragungen zu Abgabemengen, Konsumverhalten und ökonomischen Aspekten statt, die online erfasst und anonymisiert an die zuständige Forschungsgruppe der Universität Düsseldorf übermittelt werden sollen. Vorbild für dieses Vorgehen sind vier regionale Modellversuche zur Abgabe von Cannabis zu Konsumzwecken über Apotheken, die derzeit in der Schweiz durchgeführt werden.
Der Wettbewerbsökonom Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf erläuterte auf der Pressekonferenz in Groß-Gerau die Forschungsfragen. Unter anderem soll geklärt werden, welche Bezugsquellen die Verbraucher langfristig bevorzugen und wie sich das Modellprojekt auf den Schwarzmarkt auswirkt. Außerdem interessiert die Forschergruppe, ob das Projekt Auswirkungen auf Arbeitsplätze oder Unternehmensgründungen in der Region hat.
Bewilligung schon vor der Wahl?
Ob das Forschungsprojekt tatsächlich starten kann, ist allerdings noch ungewiss. Zum einen lässt die BMEL-Verordnung viele Fragen offen, die für eine Genehmigung entscheidend sein werden. „Es bleibt das Restrisiko, dass es mangels klarer Vorgaben und Regeln so komplex wird, dass es nicht klappt“, sagte Cansativa-Geschäftsführer Jakob Sons.
Zudem stehen am 23. Februar 2025 Bundestagswahlen an. Die CDU, die gute Chancen hat, Teil einer neuen Bundesregierung zu werden, sieht in ihrem Wahlprogramm die Abschaffung des Cannabisgesetzes der Ampelregierung vor.
Sons zeigte sich dennoch zuversichtlich. „Wir deuten die Zeichen so, dass der politische Wille da ist, das ernsthaft anzugehen – sonst hätte man die Verordnung, die die BLE als zuständige Stelle benennt, weiter verzögert.“ Dem stimmte auch der Erste Kreisbeigeordnete Adil Oyan zu: „Ich kann mir vorstellen, dass wir, wenn wir Mitte Januar den Antrag stellen, eventuell noch vor der Wahl den Bescheid bekommen.“
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