Ungarns Kandidat in der Kritik

Várhelyi muss EU-Parlamentarier überzeugen

Berlin - 08.11.2024, 09:54 Uhr

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihn als neuen Gesundheitskommissar nominiert: Olivér Várhelyi. (Foto: IMAGO/Le Pictorium)

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ihn als neuen Gesundheitskommissar nominiert: Olivér Várhelyi. (Foto: IMAGO/Le Pictorium)


Bei der Befragung im EU-Parlament musste sich Olivér Várhelyi kritischen Fragen der Abgeordneten stellen. Die erforderliche Mehrheit des Parlaments konnte er zunächst nicht von der Qualifikation für seine Nominierung überzeugen. Insofern ist unklar, ob er den vorgesehenen Posten des Gesundheitskommissars übernehmen kann.

Der designierte EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi muss darum bangen, vom EU-Parlament nicht die nötige Mehrheit für sein vorgesehenes Amt zu gewinnen. Am Mittwochabend musste er sich bei einer Anhörung im EU-Parlament den Fragen der Abgeordneten stellen. Einige Parlamentarier*innen konnten offenbar nicht von der Eignung für sein Amt überzeugt werden.

Nun ist er aufgefordert, ungeklärte Fragen der Abgeordneten in den kommenden Tagen schriftlich zu beantworten. Dass er die Parlamentarier*innen damit für sich gewinnt, ist jedoch ungewiss. Bereits im Vorfeld hatte sich der Ungar bei den Parlamentarier*innen alles andere als beliebt gemacht: In seiner vorherigen Funktion als Kommissar für Erweiterung und Europäische Nachbarschaftspolitik hatte Várhelyi die Mitglieder des EU-Parlaments vor eingeschaltetem Mikrophon als „Idioten“ beschimpft. Zudem ist der national parteilose Várhelyi dadurch belastet, dass er als Kandidat Viktor Orbans gilt.

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Über die Befragung berichtet das Fachportal „Politico“. Várhelyi machte demnach deutlich, dass die Bekämpfung der Arzneimittelengpässe eines der wichtigsten Themen seines anvisierten Amtes sein soll: „Deshalb möchte ich sehr, sehr schnell mit dem Critical Medicines Act kommen, um die Zugänglichkeit zu verbessern, und ich hoffe, dass dies auch das Preisproblem, das wir haben, beeinflussen wird.“

Die Entwicklung neuer Arzneimittel soll zukünftig durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz in den Phasen I und II von klinischen Studien beschleunigt werden – zudem könnten so Tierversuche reduziert werden, betonte Várhelyi.

Im Kreuzfeuer der Kritik

Bei Nachfragen zum Thema Abtreibung und Frauenrechte sah er sich breiter Kritik ausgesetzt. Der sozialdemokratische Abgeordnete Christophe Clergeau schrieb dazu: „Seine Antworten und sein Schweigen zur Abtreibung sagen viel über seine reaktionäre Ideologie bezüglich der Achtung dieses Grundrechts aus.“

Kritik hagelt es auch aus der liberalen Fraktion Renew Europe. Deren Abgeordneter Pascal Canfin, schrieb dazu auf dem Nachrichtenportal X: „Wie können wir einen Gesundheitskommissar unterstützen, der weder in der Lage ist, einen Mitgliedstaat zu kritisieren, der russische/chinesische Impfstoffe den in der EU zugelassenen vorzieht, noch zu erklären, wie er Frauen ungehinderten Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten garantieren kann?“

Distanzierung zu extremen Positionen

Immerhin gab es auch zeitweise kräftigen Applaus für den Ungar. Die Europaabgeordnete Anja Arndt (AfD) hatte ihn gefragt, wie er beabsichtige, die europäische Bevölkerung vor COVID-19-Impfstoffen zu schützen. Várhely zeigte sich verwundert – er dachte zunächst, ihm sei die Frage falsch übersetzt worden. Seine Reaktion war jedoch eindeutig: „Ich denke, ohne Impfungen wird unser kurzes Leben viel, viel kürzer sein.“ Es lägen „glaubwürdige wissenschaftliche Erkenntnisse“ der Europäischen Arzneimittelagentur vor, die die Sicherheit und Wirksamkeit der Impfstoffe belegten.

Nach Aussage der Abgeordneten Arndt hätten allein in Deutschland elf Millionen Menschen Nebenwirkungen durch die Impfung gegen COVID-19 erlitten. Dazu sagte der designierte Gesundheitskommissar: „Um ehrlich zu sein, bin ich ziemlich überrascht über diese Zahl, dass elf Millionen Menschen in Deutschland unter Nebenwirkungen leiden. Das ist eine erstaunliche Zahl, ich weiß nicht, woher sie stammt, aber ich bin gerne bereit, sie zu überprüfen“, so Várhelyi. „Wenn es eine so hohe Zahl von Nebenwirkungen gäbe, würden wir nicht zum ersten Mal davon hören“, ergänzte er.

Zustimmung ungewiss

Kurz vor dem Ende der Befragung entschuldigte er sich dafür, die EU-Parlamentarier*innen als „Idioten“ bezeichnet zu haben: „Ich freue mich, mich heute hier noch einmal entschuldigen zu können. Ich bedaure, was geschehen ist, aber ich kann mich nur entschuldigen. Ich hoffe, Sie können sie annehmen.“

Dennoch ist es weiterhin sehr fraglich, ob es Várhely nach der ausstehenden schriftlichen Beantwortung der offenen Fragen gelingt, die für seine Beurteilung zuständigen Gremien für sich zu gewinnen. Die Vorsitzenden und Fraktionskoordinatoren des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit und des Ausschusses für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung müssen nun seine Qualifikation für das Amt bewerten. Die darauf folgende Abstimmung über die von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vorgeschlagenen Kommissionskandidat*innen im EU-Parlament ist zwischen dem 25. und 28. November anberaumt. Dabei wird in Gänze über die vorgeschlagene Kommission entschieden.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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