Kommentar zu Lauterbachs Argumenten für „Apotheken ohne Apotheker“

Auf die Apotheke als Ganzes kommt es an

Süsel - 18.10.2024, 17:50 Uhr

(Foto: DAZ/Schelbert)

(Foto: DAZ/Schelbert)


Die Debatte über „Apotheken ohne Apotheker“ fokussiert sich auf die telepharmazeutische Beratung. Doch das geht am Kern des Problems vorbei. Denn das liegt im gesamten komplexen Betrieb einer Apotheke, der sich nicht aus der Ferne überwachen lässt. Dieser Aspekt fehlt bisher in der Diskussion, ist aber entscheidend, kommentiert DAZ-Redakteur Thomas Müller-Bohn.

Die „Apotheke ohne Apotheker“ bleibt der strittigste Punkt zwischen Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und der ABDA. Dies hat seine Online-Rede beim Deutschen Apothekertag erneut gezeigt. Lauterbach erklärte, die telepharmazeutische Beratung eines Patienten in der Apotheke sei nicht anders zu bewerten als eine solche Beratung beim Patienten zu Hause. Für Lauterbach sei dies auch mit der telemedizinischen Beratung durch Ärzte im Rettungsdienst und bei Patienten zu Hause zu vergleichen. Zum Ende seiner Rede betonte er, es gebe einen Dissens dazu, ob Apothekerinnen und Apotheker ihre Beratung in bestimmten Bereichen auch telepharmazeutisch erbringen können.

Doch natürlich kann die Beratung durch Apotheker in vielen Fällen auch telepharmazeutisch erfolgen. Das bestreitet die ABDA auch nicht und wohl auch sonst kaum jemand im Berufsstand. Wer an einer so verstandenen Telepharmazie zweifeln würde, wäre leicht als von vorgestern abzustempeln. Insofern hat Lauterbach sein Argument geschickt gewählt. 

Natürlich stimmt seine These, dass die Qualität einer telepharmazeutischen Beratung unabhängig davon ist, wo sich der Patient gerade befindet. Doch es stimmt nicht, dass dies der wesentliche Dissens wäre. Der liegt ganz woanders, aber das sieht Lauterbach nicht oder er lenkt davon ab. Es geht nicht um die Qualität einer bestimmten Beratung über eine Online-Verbindung. Es geht stattdessen um die Aufgabe, die Arbeit in einer Apothekenoffizin zu überwachen. Hinzu kommt das Leistungsversprechen der Apotheke als Institution, niedrigschwellig, also ohne irgendeinen abschreckenden Aufwand, apothekerlichen Rat zu bieten. Das alles ist mehr als eine einzelne Beratung, es ist ein komplexes System.

Aufsicht ist komplexer als Eins-zu-eins-Beratung

Bei der Aufsicht über den Apothekenbetrieb hat die Apothekerin oder der Apotheker einen Überblick über alle wesentlichen Arbeiten des zu beaufsichtigenden Personals und greift bei Bedarf aktiv ein. Manchmal ist ein solcher Eingriff nur ein Wort im Vorübergehen, das kein Kunde bemerkt. Die persönliche Anwesenheit ermöglicht umgekehrt auch den PTA, sich in Zweifelsfällen zu vergewissern. Auch das kann mit einem Blickkontakt und einem Kopfnicken geschehen. Diese Aufsicht ermöglicht den aktiven Eingriff, kann sich auf mehrere PTA beziehen und schließt Vorgänge ein, bei denen es gar nicht um einen anwesenden Patienten geht. 

Die Telepharmazie im Sinne von Lauterbach setzt dagegen voraus, dass PTA den Handlungsbedarf selbst sehen und dann erstmal eine technische Verbindung aufbauen. Was dann folgt, ist etwas ganz anderes als die Aufsicht über einen ganzen Betrieb. Lauterbachs Vergleiche mit dem Rettungsdienst und der Beratung von Patienten zu Hause passen dazu nicht. Im Rettungsdienst geht es in einer plötzlichen Notsituation darum, die Zeit zu überbrücken, bis ein Notarzt zum Einsatz kommt. Bei der Beratung zu Hause geht es um eine klassische Eins-zu-eins-Kommunikation, die zudem vorausgeplant ist.

Eine entgegen der Erwartungshaltung des Patienten in der Apotheke durchgeführte Video-Beratung ist aber etwas anderes als geplante Telepharmazie, und vor allem geht es hier um den Betrieb einer Apotheke insgesamt. Dieser Betrieb ist stark reguliert und die Apothekenbetriebsordnung fordert eine Aufsicht, die vielschichtig ist. Diese Regeln zu übersehen, ist eine Geringschätzung der Apotheke und eine Missachtung der bewährten Vorgehensweisen. Diese Regeln zu ändern, wäre ganz sicher eine Leistungseinschränkung für die Patienten, und es würde den regulatorischen Unterbau der Apotheke aushöhlen. Das wird aber erst offensichtlich, wenn die Betrachtung über einzelne Beratungen hinausgeht.

Kritik der ABDA geht am Problem vorbei

Doch leider hat die ABDA-Spitze sich ziemlich auf Lauterbachs falschen Streitpunkt eingelassen, statt das eigentliche Problem anzusprechen. ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening forderte zwar beim Apothekertag, die Narrative des Ministers zu enttarnen. In ihrer Kritik an seiner Form der Telepharmazie bezog sie sich dann aber hauptsächlich auf die Beratung an sich, beispielsweise auf die kommunikativen Grenzen des Bildschirmkontakts und auf das praktische Problem, dass Apotheker in der Hauptapotheke anderes zu tun haben, als auf einen Videoanruf der Filiale zu warten. 

Otto Quintus Russe, Vorstandmitglied der Kammer in Hessen, spitzte die Kritik hingegen auf den treffenden Punkt zu, dass die richtig verstandene Telepharmazie nicht dazu genutzt werden sollte, eine neue Versorgungsform zu schaffen. Genau dies wäre eine Arzneimittel-Abgabestelle ohne Apotheker, aber nicht wegen einer einzelnen Beratung, sondern wegen der Organisation des Betriebs insgesamt. In der künftigen politischen Debatte verdient dieser Aspekt mehr Aufmerksamkeit.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Punkte

von Dehan Lia am 18.10.2024 um 20:19 Uhr

Sehr gute Anhaltspunkte. Sehe ich genau so. In der Offizin greife ich oft ein, auch wenn ich nicht gefragt werde. Das gehört nun mal zu Aufsicht. Es gibt viele Situationen, in denen PTAs entweder nicht einschätzen können, oder wollen, wann ein Apotheker dazu kommen soll/muss. Das ist leider die Wahrheit

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