Lauterbach vs. Kammern

Ringen um die Deutungshoheit – was ist Telepharmazie?

Berlin - 14.06.2024, 13:45 Uhr

Was ist Telepharmazie? Das BMG hat jetzt eine Definition vorgelegt. (Foto: IMAGO / YAY Images)

Was ist Telepharmazie? Das BMG hat jetzt eine Definition vorgelegt. (Foto: IMAGO / YAY Images)


Im Entwurf eines Apotheken-Reformgesetzes, der seit wenigen Tagen vorliegt, definiert Bundesgesundheitsminister Lauterbach auch den Begriff der Telepharmazie. Diese Definition und das Anwendungsziel entsprechen nicht den Vorstellungen des Berufsstands, wie ein Blick in die Positionspapiere der Kammern aus Bayern und Nordrhein zeigt. Welche Parallelen und welche Unterschiede gibt es?

Der Begriff der Telepharmazie ist bisher nicht eindeutig definiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das jetzt ändern: Mit dem Apotheken-Reformgesetz plant er, eine Definition in der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) festzuschreiben. Wörtlich heißt es im kürzlich bekannt gewordenen Referentenentwurf:


„Telepharmazie ist die pharmazeutische Beratung insbesondere von Kunden oder Patienten durch entsprechend befugtes Personal der Apotheke mittels einer synchronen Echtzeit-Videoverbindung.“

Referentenentwurf eines Apotheken-Reformgesetzes; geplanter neuer Absatz 19 in §1a Apothekenbetriebsordnung (Begriffsbestimmungen)


Zudem soll § 20 ApBetrO (Information und Beratung) um einen neuen Absatz 3a ergänzt werden. Eine Beratung kann demnach durch entsprechend befugtes Personal der Apotheke „auch im Wege der Telepharmazie über eine nach dem Stand der Technik Ende-zu-Ende verschlüsselte, synchrone Echtzeit-Videoverbindung ohne Schalten von Werbung erfolgen“. Besteht in einer Apotheke, in der nach den neu zu schaffenden Maßgaben keine Apothekerin anwesend ist, ein Beratungsbedarf, den das Personal vor Ort nicht erfüllen kann, muss dem Entwurf zufolge eine Beratung mittels Telepharmazie durch einen Apotheker einer Apotheke des Filialverbunds erfolgen.

Erstmals Legaldefinition des Begriffs Telepharmazie

Bisher ist die Telepharmazie ein unbestimmter Rechtsbegriff. Mit dem neuen Absatz 19 in § 1a ApBetrO will Lauterbach nun erstmals eine Legaldefinition schaffen. Auf eine konsentierte Vorlage aus dem Berufsstand konnte er dabei nicht zurückgreifen – denn bisher hat es die ABDA versäumt, klar festzulegen, was unter Telepharmazie zu verstehen ist.

Die Geschäftsführerin und Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein (AKNR), Bettina Mecking, hatte die Apothekerschaft bereits beim ApothekenRechtTag online im Jahr 2022 eindringlich aufgefordert, fachliche Standards zu setzen und sich schnellstmöglich für eine Telepharmazie-Verordnung starkzumachen. Der Arbeitsauftrag an die ABDA, die Zukunft der Telepharmazie aktiv zu gestalten, liegt bereits seit September 2021 auf dem Tisch: Damals hatten die Delegierten beim Deutschen Apothekertag in Düsseldorf einen entsprechenden Antrag der AKNR angenommen.

Mehr zum Thema

Regeln für die Digitalisierung

Mecking plädiert für Telepharmazieverordnung

Druck auf dem Kessel ist aber erst seit Dezember 2023, als Lauterbach seine Eckpunkte zur Apothekenreform vorlegte. Darin benutzt er das Wort Telepharmazie im Zusammenhang mit seinem Vorhaben, erfahrene PTA ohne Anwesenheit einer Apothekerin oder eines Apothekers Filialen führen zu lassen und Approbierte nur bei Bedarf per Video zuzuschalten. Aus Sicht des Berufsstands ist das ein Missbrauch des Begriffs – denn Videokonsultationen als Ersatz für die persönliche Anwesenheit einer Apothekerin oder eines Apothekers sind nach dem Verständnis der Kolleginnen und Kollegen keine Telepharmazie.

Was aber meint nun der Berufsstand, wenn er von Telepharmazie spricht? Dazu liegen zwei Positionspapiere auf dem Tisch – eines der AKNR und eines der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK). Die AKNR erklärt den Begriff Telepharmazie wie folgt:


„Telepharmazie ist die Kommunikation des pharmazeutischen Personals von öffentlichen Apotheken und Krankenhausapotheken im Rahmen einer pharmazeutischen Tätigkeit, bei der sich das Apothekenpersonal sowie die Leistungsempfänger nicht am gleichen Ort aufhalten. Dies beinhaltet auch die fachliche interprofessionelle Kommunikation. Sie erfolgt unter Zuhilfenahme von digitalen Telekommunikationsmethoden wie Telefonie, Videotelefonie und weiteren synchronen und asynchronen digitalen Kommunikationsanwendungen und wird insbesondere bei apothekenüblichen und pharmazeutischen Dienstleistungen sowie bei der Information und Beratung zu Arzneimitteln und apothekenüblichen Waren angewendet.“

Positionspapier der AKNR zum Thema Telepharmazie


Die BLAK beschränkt sich in ihrer Definition der Telepharmazie nicht auf die Kommunikation, sondern bezieht sich auf patientenindividuelle, pharmazeutische Leistungen:


„Telepharmazie bezeichnet jede patientenindividuelle, pharmazeutische Leistung von Vor-Ort- und Krankenhaus-Apotheken, die auf räumliche Distanz erbracht wird. Sie umfasst jede Form der Information und Beratung, Versorgung und die Bereitstellung pharmazeutischer Informationen und Dienstleistungen, die den physischen Kontakt zwischen Patient und pharmazeutischem Fachpersonal nicht zwingend erfordern, sowie interprofessionelle Konsile.“

Positionspapier der BLAK zur Telepharmazie


Hierzu bedient sich die Telepharmazie laut BLAK „aller Arten synchroner oder asynchroner Telekommunikation sowie digitaler Anwendungen, digital vernetzter Arzneiformen und therapeutischer Systeme, die zum Zwecke einer Optimierung der Arzneimitteltherapie therapierelevante Parameter ermitteln, monitoren, aufzeichnen, auswerten, speichern oder übertragen“. Darüber hinaus nutzt die Telepharmazie zur Versorgung der Patienten mit physischen Produkten – gemeint sein dürften insbesondere Arzneimittel – demnach verschiedene Möglichkeiten pharmazeutischer Logistik, wobei ausschließlich jene Mittel zum Einsatz kommen, die den hohen pharmazeutischen Standards genügen und die Qualität der gelieferten Waren jederzeit gewährleisten. „Telepharmazeutische Leistungen gehören zu den zu honorierenden pharmazeutischen Tätigkeiten im Sinne der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und werden ausschließlich durch qualifiziertes Fachpersonal für eine öffentliche Apotheke / KH-Apotheke durchgeführt, zu deren Personal sie gehören“, ergänzt die Kammer abschließend.

Lauterbach: Keine asynchrone Kommunikation

Beim Vergleich der Formulierungen aus den Positionspapieren und dem Referentenentwurf fällt unter anderem auf, dass Lauterbach lediglich auf synchrone Echtzeit-Videoverbindungen abstellt, während die Kammern auch asynchrone Kommunikation, also mit zeitlichem Versatz, unter dem Begriff Telepharmazie subsumieren. Darunter fällt nach allgemeinem Verständnis zum Beispiel der Austausch via Messenger-Diensten oder E-Mail. Solche Kommunikationswege umfasst die Formulierung Lauterbachs nicht. „Zum Schutz der Patientinnen und Patienten muss auch im Wege der Telepharmazie eine qualifizierte und fachgerechte Beratung durch entsprechend befugtes pharmazeutisches Personal der Apotheke stattfinden“, heißt es dazu in der Begründung zum Entwurf. „Um direkte Nachfragen zu ermöglichen, die beispielsweise der korrekten Anwendung von Arzneimitteln, aber auch der Vergewisserung, ob gegebene Informationen verstanden wurden, dienen können, ist eine synchrone Echtzeit-Videoverbindung zu verwenden.“

Deutlich wird, dass Lauterbachs Definition von Telepharmazie vor allem auf den Anwendungsfall zugeschnitten ist, dass keine Approbierte und kein Approbierter in der Apotheke präsent ist. Kann das anwesende pharmazeutische Personal den Beratungsbedarf nicht erfüllen, muss also eine Beratung via Telepharmazie stattfinden. „Dadurch wird eine qualitativ hochwertige Beratung der Patientinnen und Patienten vor Ort auch in diesen Ausnahmefällen sichergestellt“, ist in der Begründung zu lesen. Diese Einsatzmöglichkeit, auf die eine entsprechende Regelung hinauslaufen würde, ist der Kern des Konflikts zwischen Minister und Apothekerschaft, wenn es um die Telepharmazie geht.

Ein Konsens muss her

In den kommenden Tagen wird der ABDA-Gesamtvorstand zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenkommen und darüber beraten, wie die Standesvertretung mit dem vorliegenden Entwurf umgehen soll. Zumindest was die PTA-Vertretungsbefugnis angeht, ist die Marschrichtung klar: Dieses Vorhaben soll komplett gestrichen werden. Dennoch sollte sich der Berufsstand nun schnellstmöglich auf eine Formulierung einigen, um gegenüber der Politik mit einer Stimme sprechen zu können.

Telepharmazie: Arbeitshilfe für die Apotheke

Dieses Buch zeigt , wie die Telepharmazie ermöglicht, neue Zielgruppen zu erschließen und somit die Vor-Ort-Apotheke zu stärken. 

Die Autorinnen thematisieren neben den Chancen der Telepharmazie:

  • wie  telepharmazeutische Dienstleistungen in bestehenden Arbeitsabläufe integriert werden können,
  • wie durch Telepharmazie Mitarbeitern das Arbeiten im Homeoffice ermöglicht werden kann,
  • welche technischen und rechtlichen Aspekte vor allem in Hinblick auf den Datenschutz zu beachten sind.

Praxisnahe Beispiele und Checklisten sollen den Einstieg in die Telepharmazie erleichtern.

Weitere Infos finden Sie hier. 


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Die letzte Woche 

Mein liebes Tagebuch

DocMorris-Chef sieht Apothekenreform auf dem richtigen Weg

Die „fetten Jahre“ sind vorbei

Neue Aufgabenfelder und rechtliche Rahmenbedingungen für das pharmazeutische Personal

Weg frei für die Telepharmazie

Eine ökonomische Analyse der Telepharmazie aus Apothekenperspektive

Heilberufliche Chance oder nur Marketing?

Apothekerin Margit Schlenk über ihre Erfahrungen mit Telepharmazie

„Es geht um Empathie“

1 Kommentar

vdeGxqsiHtBKuXJn

von cnYOSTEmPL am 19.06.2024 um 21:26 Uhr

KgQbdFkBcGhZnL

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.