Entwurf zu „Apotheken ohne Apotheker“

Kleinteilige Rechnung statt Diskussion über Systemfolgen

Süsel - 18.07.2024, 07:00 Uhr

Wie viel Geld ließe sich mit den geplanten Light-Apotheken beim Personal sparen? Das hat das BMG ausgerechnet – unter ziemlich künstlichen Annahmen. (Foto: DAZ/Schelbert)

Wie viel Geld ließe sich mit den geplanten Light-Apotheken beim Personal sparen? Das hat das BMG ausgerechnet – unter ziemlich künstlichen Annahmen. (Foto: DAZ/Schelbert)


Die Neufassung des Entwurfs für eine Apotheken-Reform enthält weiterhin den Plan für „Apotheken ohne Apotheker“. Die Begründung zum Entwurf gibt einen Einblick, welche Folgen das Gesundheitsministerium daraufhin in den Apotheken erwartet. Unter ziemlich künstlichen Annahmen werden 77,4 Millionen Einsparungen errechnet. Doch von den drohenden Folgen für das System ist dort keine Rede.

Die Hoffnung auf grundlegende Verbesserungen der geplanten Apotheken-Reform hat sich zunächst nicht erfüllt. Die Änderungen, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Zuge der Ressortabstimmung vorgenommen hat, liegen eher in Details. Doch auch das Kleingedruckte liefert mitunter interessante Einblicke. Dies betrifft beispielsweise das aus Apothekensicht herausragende Thema der „Apotheken ohne Apotheker“. Aus Apothekerperspektive geht es dabei um das berufliche Selbstverständnis und letztlich um die Grundlage für das bewährte Konzept der inhabergeführten Apotheken. Damit steht hier das ganze System auf dem Spiel. Davon ist allerdings in der Gesetzesbegründung keine Rede. Wer sich dort informieren will, findet Überlegungen zu den unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen. Der Rechenweg offenbart, dass das BMG wohl selbst recht unsicher ist, wie sich der Einsatz von PTA mit Videounterstützung anstelle von Apothekern vor Ort auswirken würde.

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Im Abschnitt über den Erfüllungsaufwand geht es zunächst um die technischen Voraussetzungen für die Unterstützung von PTA über Videoschalten. Demnach würde die nötige Hard- und Software einmalig 3.500 Euro Kosten pro Apotheke verursachen, wobei Bedarf an zusätzlichen Computern und Bildschirmen angenommen wird. Das Ministerium schätzt, dass sich etwa ein Zehntel der Apotheken für ein solches Konzept ausrüsten würde, also etwa 1.750 Apotheken. Damit entstünden einmalige Kosten von 6,125 Millionen Euro. Dieser Ansatz erstaunt, denn die angedachte Arbeitsweise käme nur für Apotheken in Filialverbünden in Betracht. Hier wäre also zu fragen, welcher Anteil der Filialen so arbeiten würde. Die angenommenen 1.750 Apotheken wären immerhin etwa 38 Prozent der 4.621 Filialen (Stand Ende 2023).

Mit unsicheren Annahmen zu 77 Millionen Euro Einsparung

Nach Einschätzung des Ministeriums soll die geplante Regelung insbesondere der Personalflexibilisierung dienen. Dennoch folgt dann eine Abschätzung der erwarteten Einsparungen. Dabei wird unterstellt, dass in einem Drittel der 1.750 Apotheken kein Personal eingespart wird. Dies wird nicht begründet – möglicherweise würde die neue Vertretungsmöglichkeit dort nur sporadisch genutzt und Arbeitszeiten würden nur verschoben. Für ein weiteres Drittel der betrachteten Apotheken wird angenommen, dass der Einsatz eines Apothekers ersatzlos entfallen würde. Dieser Fall irritiert, denn dann wäre dieser Apotheker bisher komplett mit der Kontrolle von PTA beschäftigt gewesen. Doch dann müsste entsprechende Arbeitszeit bei einem Apotheker gegengerechnet werden, der die Kontrolle per Videoschalte aus der Hauptapotheke übernimmt. Dieser Aspekt fehlt auch bei der dritten angenommenen Gruppe von Apotheken. Für dieses verbleibende Drittel der betrachteten Apotheken nimmt das Ministerium an, dass ein Apotheker durch PTA ersetzt wird, sodass die Personalkosten sinken. Auch hier wird keine zusätzliche Arbeitszeit für die Kontrolle in der Hauptapotheke angesetzt. Offenbar wird unterstellt, dass der überwachende Apotheker in der Hauptapotheke ansonsten unbeschäftigt auf irgendetwas warten würde. Die Annahmen wirken daher insgesamt ziemlich künstlich.

Weiter geht das Ministerium von 200 Arbeitstagen und 8 Stunden pro Tag aus. In den 583 Apotheken, bei denen die Apothekerarbeit ersatzlos entfällt, würden 60 Euro pro Stunde gespart. Beim Ersatz durch PTA würden nur 37 Euro statt 60 Euro Personalkosten anfallen. Damit übergeht das Ministerium den zentralen Aspekt, dass PTA in der neuen viel verantwortungsvolleren Position mehr Gehalt fordern würden und auch erwarten könnten. Auch die geforderte zusätzliche Qualifikation sollte sich auswirken. In Tarifverträgen dürfte bei der geplanten Regelung eine ganz neue Kategorie für PTA in der neuen Funktion entstehen. Dass dies hier unbeachtet bleibt, erstaunt gerade bei einem SPD-geführten Ministerium. Außerdem werden keine zusätzlichen Kosten für Maßnahmen berücksichtigt, die nötig werden, um Betäubungsmittelrezepte schnell zu beliefern, wenn gerade kein Apotheker anwesend ist. Insgesamt kommt das Ministerium auf jährlich eingesparte Personalkosten in Höhe von 77,4 Millionen Euro.

Mögliche Folgen für das System bleiben unbeachtet

Über die Annahmen für eine solche Modellrechnung kann wie immer gestritten werden, aber die ermittelte Größenordnung ist eine weitere Betrachtung wert. Für einen sogar unter günstigen Bedingungen nur zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr soll demnach das System in Frage gestellt und die Leistung für die Patienten reduziert werden. Anstelle einer kleinteiligen Modellrechnung mit vielen fragwürdigen Annahmen würde eher die Frage interessieren, ob die angedachte Konstruktion eine Blaupause für neuartige Abgabestellen schafft, die eher den Charakter eines Drogeriemarkts mit einer „prescription corner“ wie in den USA hätten. Die Frage, ob damit rechtlich, wirtschaftlich oder politisch der Boden für ein ganz neues Apothekensystem geschaffen wird, wirft der Gesetzentwurf jedoch nicht auf.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ist doch alles Koalitionsvertrag... warum argumentieren...

von Tobias Kast am 18.07.2024 um 7:48 Uhr

Im PZ Podcast 2/12/22 hat Andrew Ullman schon das Dispensierrecht für Ärzte im Notdienst für Schnelldreher (Ibu, Amoxi,...) als "Gedanken des Koalitionsvertrags" angerissen.
Siehe Notfallreform.

Die "Fragen sie... oder in ihrer Apotheke" Änderung von Mitte 2023 hat die aktuellen Pläne des ApoRG schon vorweg angekündigt / Weichen dafür gestellt.

Ich gehe ganz klar von "ist bereits Bestandteil des Koalitionsvertrags oder entsprechenden Nebenabreden" aus.

Wer keinen Widerspruch erwartet sondern nur Absprachen umsetzt, braucht weder sauber begründen, noch rechnen - geht ja eh durch.

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