Umsatz ist nicht alles – ein Gastkommentar

Das Ende der ambulanten Zytostatikazubereitung?

12.07.2024, 13:45 Uhr

Haben wohnortnahe Apotheken in der Zyto-Versorgung bald ausgedient? (Foto: Space Priest / AdobeStock)

Haben wohnortnahe Apotheken in der Zyto-Versorgung bald ausgedient? (Foto: Space Priest / AdobeStock)


Zum 1. Juli 2024 sind neue Rabattverträge zwischen der AOK Bayern und einzelnen Zytostatika-Herstellern über proteinhaltige Wirkstoffe in Kraft getreten. Aus der Sicht eines ehemaligen zytostatikaherstellenden Apothekers ist es Zeit, die neue Gesamtsituation zu beleuchten. Dr. Franz Stadler meint: Das Ende der ambulanten Zytostatikazubereitung dürfte unmittelbar bevorstehen.

Die AOK Bayern und verschiedene Hersteller von Zytostatika haben neue Rabattverträge geschlossen, die am 1. Juli in Kraft getreten sind. Dabei ging es erstmals um proteinhaltige Wirkstoffe. Wie immer waren die herstellenden Apotheken an diesen Verhandlungen nicht beteiligt und wie immer ging es um erhebliche, für einzelne Arzneimittelhersteller offensichtlich vertretbare Preissenkungen/Einsparungen zugunsten der Krankenkasse.

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Zunächst sollte man sich das bestehende, etwas seltsame System vergegenwärtigen:

Auch im Zytostatikabereich sind direkte Verhandlungen zwischen den Krankenkassen und den Anbietern der jeweiligen Wirkstoffkonzentrate (Hersteller) üblich. Diese Konzentrate müssen anschließend von den zytostatikaherstellenden Apotheken gekauft und zubereitet (meist entsprechend dem Körpergewicht des Patienten und verdünnt) werden. Am Patienten angewandte Zubereitungen darf die zubereitende Apotheke auf Grundlage der offiziellen Preise abrechnen. Ein weiterer Aufschlag zugunsten der Apotheken ist dabei nicht vorgesehen.

Der tatsächliche Apothekeneinkaufpreis für die jeweiligen Wirkstoffe kann aber im generischen Bereich unterhalb des ausgehandelten Preises der Krankenkassen liegen und hängt von der Zahl der den jeweiligen Wirkstoff anbietenden Pharmabetriebe und den Einkaufsmengen der zubereitenden Apotheke bzw. des Herstellbetriebes ab.

Herstellpauschale reicht nicht aus

Dieser erzielbare Einkaufsrabatt bei einigen pharmazeutischen Ausgangsprodukten hat bisher zum „Erfolg“, das heißt zum Gewinn der zubereitenden Apotheken und der Herstellbetriebe maßgeblich beigetragen und ist nun (vorerst nur in Bayern) endgültig gefährdet. Er war und ist aber (in Teilen) notwendig, weil die Herstellpauschale für den nicht unerheblichen Aufwand eines sterilen und für die Mitarbeiter sicheren Herstellungsverfahrens noch immer nicht ausreichend ist.

Vorfinanzierung in Gefahr

Aber selbst, wenn die Herstellpauschale für den Aufwand einer sterilen Zubereitung ausreichend wäre, gibt es ein grundsätzliches Problem: Ohne Aufschlag oder ohne Einkaufsvorteil ist die Vorfinanzierung hochpreisiger Arzneimittel durch die herstellenden Apotheken nicht möglich, bzw. nicht sinnvoll. Schließlich könnte in Einzelfällen beispielsweise kurzfristig die Applikation (durch Änderung des Gesundheitszustandes des Patienten, Arztwechsel etc.) oder bei Privatpatienten auch die Bezahlung (selbst nach Erstattung durch die jeweilige Privatkrankenkasse) ausfallen.

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Um das finanzielle Dilemma zu verdeutlichen, möchte ich den Leserinnen und Lesern folgende Frage stellen: Welches finanzielle Investitionsrisiko würden Sie persönlich eingehen, um 100 Euro als Herstellpauschale zur ohnehin fraglichen Begleichung ihrer Unkosten und gegebenenfalls Ihres Verdienstes zu erhalten? Wären Sie bereit, ohne jeden weiteren Aufschlag 100 Euro als Materialkosten einzusetzen? 1.000 Euro? 10.000 Euro oder gar 100.000 Euro?

Nun, im Bereich der parenteralen Zubereitungen sind einige Arzneimitteleinkaufspreise sehr hoch und fast immer ohne jedweden Verdienstanteil. Offensichtlich wird die Bereitschaft, dieses enorme Investitionsrisiko einzugehen, seitens der herstellenden Apotheken jetzt ohne den Rest einer ausreichenden Kompensationsmöglichkeit erwartet. Die letzten häufig vorkommenden Ausgangsstoffe, die bisher relevant rabattiert eingekauft werden konnten, sind mit den neuen Rabattverträgen der Krankenkassen praktisch verschwunden. Weitere nennenswerte Rabatte an die herstellenden Apotheken sind kaum mehr erzielbar. Auch wenn das Risiko eines Totalausfalls der Kostenerstattung selten ist, kann dieser Zahlungsausfall im Einzelfall den finanziellen Ruin der gesamten Apotheke (und damit ihres Inhabers) bedeuten.

Was kann oder muss man jetzt tun?

Prinzipiell gibt es drei Möglichkeiten:

  1. Die Versorgung krebskranker Patienten geht komplett in den Krankenhausbereich über. Hier sind die Gesamtkosten aber deutlich höher als im ambulanten Bereich.
  2. Die für eine parenterale Zubereitung notwendigen Ausgangspräparate werden mit einem prozentualen Aufschlag (ca.  6 Prozent) von den herstellenden Apotheken abgerechnet. Damit dürfte das Risiko eines Zahlungsausfalles abgedeckt sein.
  3. Die Krankenkassen bezahlen die notwendigerweise zu verwendenden Fertigarzneimittel direkt an die herstellenden Pharmaunternehmen und stellen den herstellenden Apotheken diese kostenfrei und schnellstmöglich auf Anforderung zur Produktion zur Verfügung. Hier müssen zwar noch einige Details geklärt werden, aber das Verfahren würde das Kostenrisiko doch gerechter als bisher verteilen. Allerdings müsste in diesem Fall der Aufwand für die geleistete Arbeit (Herstellung, Laborunterhalt etc.) entsprechend motivierend vergütet werden.

Die Entscheidung kann man gerne den Krankenkassen überlassen. Allerdings droht im ambulanten Bereich bei unfairen und nicht risikogerechten Rahmenbedingungen der Zusammenbruch der bisherigen qualitativ hochwertigen Versorgung, und zwar in nicht allzu ferner Zukunft.

Apotheker Dr. Franz Stadler hat seine Apotheke längst verkauft, doch unter anderem mit seinen Kommentaren auf DAZ.online kämpft er weiter: gegen die Gier sowie den Sparwahn im Gesundheitswesen – und für die Arzneimittel- und Patientensicherheit. 

Mit seiner Frau hat er die „Stiftung für Arzneimittelsicherheit“ gegründet; zudem hat er das Buch „Medikamenten Monopoly“ geschrieben.


Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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