Aufklärung über Reformpläne

Apotheker informieren über Gefahren für die Arzneimittelversorgung

Berlin - 02.07.2024, 13:45 Uhr

Apotheker*innen in Hessen sehen in der Aufklärung der Bevölkerung den Schlüssel für eine Kurskorrektur bei Lauterbachs Reformplänen. (IMAGO / onemorepicture)

Apotheker*innen in Hessen sehen in der Aufklärung der Bevölkerung den Schlüssel für eine Kurskorrektur bei Lauterbachs Reformplänen. (IMAGO / onemorepicture)


Ohne Apotheker*innen würde sich die Versorgung in ländlichen Regionen deutlich verschlechtern – mit drastischen Folgen für viele Menschen. Darüber informieren Apotheker*innen in Nordhessen in einer gemeinsamen Zeitungsanzeige. Sie wollen die Deutungshoheit des Bundesgesundheitsministeriums ins Wanken bringen und fordern andere Apothekenteams auf, es ihnen gleichzutun – und zwar möglichst vor der geplanten Kabinettsabstimmung am 17. Juli.

In drei Landkreisen in Nordhessen hat ein Bündnis aus 62 Apotheken am vergangenen Samstag eine gemeinsame Anzeige in regionalen Zeitungen veröffentlicht – außerdem wurde sie über die sozialen Medien und Flugblätter in Apotheken verbreitet. Darin informieren die Unterzeichner*innen über die aktuellen Pläne zur Apothekenreform und darüber, wie diese die Gesundheitsversorgung insbesondere im ländlichen Raum gefährdet. Sie warnen vor der „Etablierung einer zweitklassigen Arzneimittelversorgung für einen Großteil der Bevölkerung“.

Gefährdung der Versorgung durch Apotheken ohne Approbierte

Die Apotheker*innen machen klar, dass der vorgelegte Referentenentwurf aus dem Gesundheitsministerium (BMG) mit dem Grundsatz einer gleichwertigen Gesundheits- und Arzneimittelversorgung breche. Es stärke die angeschlagenen Apotheken nicht, vielmehr seien gravierende Leistungskürzungen zu befürchten.

Sie verweisen auf die Pläne zu verkürzten Öffnungszeiten, sowie die Pläne zu Apotheken ohne Apotheker*innen und stellen klar: Eine Abgabe von Betäubungsmittel wäre dann nur an wenigen Stunden in vielen Apotheken möglich, insbesondere in ländlichen Regionen, wo Lauterbach den Ausbau der Filial- und Zweigapotheken ohne Approbierte vorantreiben will. 

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Für Menschen, die auf Schmerzmittel angewiesen sind, bedeute das einen „massiven Einschnitt in ihre Lebensqualität“ – insbesondere für Patient*innen in der Palliativversorgung sei dies besonders dramatisch. Die Apotheker*innen verweisen auf einen starken Anstieg des Betäubungsmittelbedarfs in Deutschland – seit 2010 sei dieser um 43 Prozent gestiegen. Über die niederländischen Versender könnten auf dem Land auch keine BtM bezogen werden, betonten die Unterzeichner*innen.

Sie stellen klar, dass es ohnehin viel zu wenig PTA gebe, diese seien darüber hinaus „nicht entsprechend ausgebildet“, und wollten die „Verantwortung für eine Apothekenleitung auch gar nicht übernehmen“. Die Apothekerschaft sei sich mit der Gewerkschaft Adexa darüber einig, dass die Apotheken besser honoriert werden müssten, damit auch der PTA-Beruf attraktiv bleibe. Doch Lauterbach interessiere sich offenbar auch nicht für die Lage der Apothekenangestellten.

Förderung des Versandhandels durch das BMG

Auch auf die Konkurrenz der niederländischen Versender machen die Apotheker*innen in ihrer Anzeige aufmerksam: Shop Apotheke und DocMorris hätten 2023 knapp 1,8 Milliarden Euro in Deutschland erwirtschaftet. Der Versandhandelsanteil bei Rx-Arzneimitteln würde sich voraussichtlich auf 10 Prozent erhöhen, was Kosten für die Krankenkassen in Höhe von 5,5 Milliarden Euro entspreche: „Für den Abfluss von Versicherungsgeldern an ausländische Versandkonzerne und ihre Aktionäre scheint, im Gegensatz zum Erhalt der flächendeckend gleichwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung genug Geld im System zu sein.“

Zukunftsvision: Apotheke ohne Menschen

Darüber hinaus äußern die Apotheker*innen aus Nordhessen die Befürchtung, dass der Gesundheitsminister sogar plane, zukünftig eine Arzneimittelversorgung ohne Apotheker*innen und PTA auf den Weg zu bringen. Sie verweisen dafür auf die „skurrile“ Veranstaltung im nordhessischen Gudensberg, bei der am 22. Mai der für die Apothekenreform zuständige Abteilungsleiter im BMG Thomas Müller gesprochen hatte. Die DAZ berichtete. Der Apotheker und Arzt Müller habe dort die Vision entworfen, so die Apotheker*innen aus Nordhessen, dass die Abgabe von Arzneimitteln zukünftig gänzlich ohne pharmazeutisches Personal abgewickelt würde. Stattdessen könnten „künstliche Intelligenz und Avatare“ deren Aufgaben übernehmen.

Deutungshoheit des BMG brechen

In einer Pressemitteilung der nordhessischen Apotheker*innen macht der Apotheker Nils-Steffen Grönig aus Felsberg-Gensungen die Zielsetzung der Anzeige klar: „Das BMG hat momentan die Deutungshoheit in der Berichterstattung, was dazu führt, dass selbst die Verbraucherverbände die geplante Apothekenreform als Segen für die Bevölkerung empfinden.“

Deshalb rufen die Unterzeichner*innen andere Apotheker*innen dazu auf, an der Aufklärung der Bevölkerung mitzuwirken, um die Deutungshoheit des BMG zu brechen. Für den 17. Juli ist derzeit die Kabinettsabstimmung für das Apothekenreformgesetz geplant. Bis dahin sollten sich die Apothekenteams intensiv für die Aufklärung der Bürger*innen einsetzen. Dafür stellen die Nordhessen ihre Anzeige als Vorlage zur Verfügung. Wer diese nutzen möchte oder weitere Fragen zur Aufklärungskampagne hat, kann unter der E-Mail-Adresse karlsbtmdienstag@gmx.de den Kontakt aufnehmen.


Michael Zantke, Redakteur, DAZ
redaktion@daz.online


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