Retaxunsicherheit bei Entlassrezepten

Privatliquidation bei unheilbaren Formfehlern empfohlen

Süsel - 12.01.2024, 13:45 Uhr

Entlassrezepte sollten für Erleichterung sorgen – doch sie bringen eine Reihe von Problemen mit sich. (Foto: ABDA)

Entlassrezepte sollten für Erleichterung sorgen – doch sie bringen eine Reihe von Problemen mit sich. (Foto: ABDA)


Entlassrezepte sollen die Versorgung erleichtern. Stattdessen schafft die spezielle Bürokratie zusätzliche Hürden. Widersprüchliche Regelungen zwischen den Beteiligten haben dies so zugespitzt, dass der Deutsche Apothekerverband bei unheilbaren Formfehlern die Privatliquidation empfiehlt.

Die Apotheken sind bei Entlassrezepten Kummer gewohnt. Die speziellen Regeln zur Ausstellung dieser Rezepte sind eine naheliegende Ursache für Formfehler. Im vorigen Jahr wurde alles noch schlimmer – durch neue Vereinbarungen, die nicht für alle Beteiligten gelten.

Widersprüchliche Vereinbarungen

Der Apothekerverband Schleswig-Holstein hatte kurz vor dem Jahreswechsel in einem Rundschreiben die Situation zusammengefasst. Demnach hatten der GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) in der 10. Änderungsvereinbarung zu den „Rezepten im Entlassmanagement“ beschlossen, dass die Betriebsstättennummer für Krankenhäuser mit „77“ und für Reha-Einrichtungen mit „75“ beginnt. 

Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hatte diese Änderungsvereinbarung jedoch im Frühjahr 2023 nach einem einstimmigen Votum der Mitgliedsverbände abgelehnt – wohl wegen anderer Inhalte der Vereinbarung. Der Apothekerverband Schleswig-Holstein folgert, dass durch die Ablehnung der Neufassung der Anlage 8 zum Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V die bisherigen Regelungen weiter Anwendung finden. Diese würden sich oftmals auf frühere Fassungen des Rahmenvertrags zum Entlassmanagement nach § 39 Abs. 1a SGB V beziehen. Eine gesonderte Kündigung der Anlage 8 sei nicht möglich.

Weiter heißt es, der GKV-Spitzenverband, die KBV und die DKG hätten nun im Rahmenvertrag nach § 39 Abs. 1a SGB V vereinbart, welche neuen Kriterien Entlassverordnungen erfüllen müssen, um als ordnungsgemäß ausgestellt zu gelten. Erfahrungsgemäß sei damit zu rechnen, dass Krankenhausärzte „weiterhin und sehr zahlreich“ Entlassverordnungen ausstellen würden, die diesen von der DKG mitunterzeichneten Formvorgaben nicht in vollem Umfang entsprechen.

Bei Standortkennzeichen „77“ sehr hohes Retaxrisiko

Daraufhin empfiehlt der Apothekerverband Schleswig-Holstein: „Für den Fall, dass Sie ab dem 1. Januar 2024 Entlassrezepte erhalten, die in der Codierzeile sowie im Personalienfeld ein Standortkennzeichen beginnend mit der ‚77‘ enthalten, müssen diese Rezepte leider privatliquidiert werden.“ Denn die für Apotheken verbindliche Anlage 8 sehe diese Kennzeichnung nicht vor. Sie seien daher nicht abrechnungsfähig. 

Weiter heißt es, auch Verordnungen, die anderweitig nicht heilbar seien und eine Änderung durch den Arzt vorsehen würden, könnten und sollten privatliquidiert werden. Bei Entlassrezepten mit dem genannten Standortkennzeichen werde das Retaxrisiko solange als sehr hoch eingeschätzt, bis sich die Krankenkassen verpflichten, auf solche Retaxationen zu verzichten. Im Rundschreiben erklärt der Verband weiter, die knappen personellen Ressourcen der Apotheken dürften nicht länger damit beansprucht werden, ohne Honorierung die Einhaltung krankenhausärztlicher Verpflichtungen anhand komplexer Regelwerke zu prüfen – und das „immer verbunden mit dem Damoklesschwert der Retaxation“.

DAV weiter in Gesprächen

In dieser Woche erklärte der DAV auf Anfrage der DAZ, dass sich in den vorigen Wochen keine neuen Entscheidungen zu Entlassrezepten ergeben hätten. Der DAV stehe weiter in Gesprächen mit dem GKV-Spitzenverband, könne aber wegen der Vertraulichkeit keine Details dazu benennen. Zu den Zielen erklärt der DAV-Vorsitzende Dr. Hans-Peter Hubmann: „Wir fordern die Krankenkassen auf, bei fehlerhaft ausgestellten Rezepten keine Beanstandungen und Rechnungskürzungen gegenüber Apotheken auszusprechen.“ 

Außerdem fordere der DAV die Krankenhäuser auf, die Regelungen umsetzen, die sie selbst verhandelt hätten. Zum Vorgehen in den Apotheken erklärt Hubmann: „Der Deutsche Apothekerverband muss derzeit den Apotheken leider weiterhin empfehlen, die Entlassrezepte bei unheilbaren Formfehlern als Privatrezepte mit ihren Patientinnen und Patienten abzurechnen.“

Doch lieber Rezept vom Hausarzt?!

In der Praxis erweist sich eine solche Privatliquidation allerdings erfahrungsgemäß oft als kaum umsetzbar. Einfacher als die Suche nach dem ausstellenden Krankenhausarzt und die Korrektur im Krankenhaus dürfte vielfach die Ausstellung eines neuen Rezeptes durch den Hausarzt sein. Doch dies sollte durch das Entlassmanagement gerade vermieden werden. 


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


6 Kommentare

Hausarzt

von C. Rühlemann am 15.01.2024 um 15:14 Uhr

So etwas kommt ja gerne Freitag Spätnachmittag oder Samstag vor, wenn kein Hausarzt verfügbar ist.
Doch privat kassieren....?!

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Fassungslos, wie patientenfeindlich...

von Henning Kruse am 15.01.2024 um 10:52 Uhr

Wen wundert es noch, dass das eigentlich gut gewollte Entlassmanagement, selbst von den Krankenhäusern nur noch selten genutzt, auf Grund überufernder Bürokartie und monatlichem Änderungsgehabe, nicht dem Wohle des Patienten dient. Noch dramatischer scheint die jetzt gegebene Neigung zur privaten Abrechnung, anstatt den Druck in die Richtung Vereinfachung und Klärung zu richten. Wenn xarelto, jardiance und ozempic in einer N1 verordnet werden, ungeachtet möglicher Versorgungslücken, müßte dem Patienten ein Betrag von rung 210€ im Notdienst abgenommen werden. Viel Spaß beim Klären.
Ich kann die Person oben in den Kommentaren verstehen und es sollten hoffentlich noch viele mehr werden.
Ich wünsche kollegial starke Nerven und einen guten Jahresstart.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Standortkennzeichen 77....

von Michael Hahn am 13.01.2024 um 11:03 Uhr

"Daraufhin empfiehlt der Apothekerverband Schleswig-Holstein: „Für den Fall, dass Sie ab dem 1. Januar 2024 Entlassrezepte erhalten, die in der Codierzeile sowie im Personalienfeld ein Standortkennzeichen beginnend mit der ‚77‘ enthalten, müssen diese Rezepte leider privatliquidiert werden.“ Denn die für Apotheken verbindliche Anlage 8 sehe diese Kennzeichnung nicht vor. Sie seien daher nicht abrechnungsfähig. "

Jetzt verstehe ich nur noch Bahnhof!? Ich dachte, die "77" muss bei Krankenhäuser in der Codierleiste stehen!?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Standortkennzeichen 77

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 15.01.2024 um 18:25 Uhr

Krankenhäuser und Krankenkassen haben beschlossen, dass es die 77 sein soll (siehe Text), aber ohne Mitwirkung und Zustimmung der Apotheker. Mit den Apothekern war vorher vereinbart worden, dass es die 75 sein soll. Darum steht nun in der "Abgabehilfe" des Verbandes, dass es die 75 sein soll. - Mir scheint das ein unauflösbarer Widerspruch zu sein.

Zwei Ziffern

von Ein trauriger Bürger am 13.01.2024 um 6:19 Uhr

In Deutschland im Jahr 2024 sind also zwei (!!) Ziffern wichtiger als die Gesundheit eines Menschen?!
"Was ist nur aus Deuschland geworden?" fragen die Patienten zunehmend.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Entlassrezepte nur privat - ...

von Alfons Neumann am 13.01.2024 um 2:24 Uhr

...Jetzt bekommen die KraKa´s mal ihre eigene Bürokratie zu schmecken ! Guten Appetit !

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.