Arzneimittelentwicklung

Wirkstoffe einfach grüner designen?

Stuttgart - 15.12.2023, 16:45 Uhr

Ein buntes Coating hilft in Sachen Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln nicht weiter – wohl aber ein bedachtes Wirkstoffdesign. (Foto: Liami  / AdobeStock)

Ein buntes Coating hilft in Sachen Umweltverträglichkeit von Arzneimitteln nicht weiter – wohl aber ein bedachtes Wirkstoffdesign. (Foto: Liami  / AdobeStock)


Arzneimittelrückstände in Böden und Gewässern sind ein Umwelt- und Gesundheitsproblem von zunehmender Relevanz. Als eine Strategie zur Eindämmung wird diskutiert, ob bereits bei der Wirkstofffindung auf einen möglichst geringen Umwelteinfluss geachtet werden kann. Ob das umsetzbar ist, haben drei deutsche Wissenschaftler:innen nicht nur sich, sondern auch 30 Vertreter:innen aus den Forschungsabteilungen größerer Pharmaunternehmen gefragt und ihre Ergebnisse in einer jüngst veröffentlichten Publikation zusammengefasst.

Grundsätzlich ist es möglich, die spätere Umweltverträglichkeit eines Arzneimittels bereits in der Phase der Wirkstofffindung (Drug Discovery) zu berücksichtigen, von der frühen Phase der „Hit Selection“ (Screening nach potenziell geeigneten Molekülen) bis hin zur späteren „Lead Optimization“ (Optimierung der geeignetsten Kandidaten). Zu diesem Schluss kommen Neele Puhlmann, Rodrigo Vidaurre und Klaus Kümmerer, nachdem sie sich mit 30 Experten aus der Wirkstoffentwicklung sowie für Umweltfragen von sieben internationalen Pharmaunternehmen in der Form von strukturierten Interviews ausgetauscht haben. Aber es müssen eben auch einige Voraussetzungen erfüllt sein.

Was macht einen umweltverträglichen Wirkstoff aus?

Als das Ideal umweltverträglicher Wirkstoffe gelten solche, die nach Eintritt in die Umwelt vollständig mineralisiert werden – also in unbedenkliche Komponenten wie anorganische Salze oder H₂O zerfallen oder zersetzt werden. Aber auch beispielsweise eine bessere Bioverfügbarkeit eines Moleküls, eine hohe Wirkpotenz oder eine höhere Target-Spezifität helfen, dass insgesamt weniger Wirkstoff benötigt und damit auch weniger in die Umwelt freigesetzt wird. Zu bedenken ist hierbei, dass gerade hochpotente Wirkstoffe auch schon in kleinen Dosen große Schäden anrichten können, wenn sie nicht spezifisch genug sind. Eine niedrige Lipophilie verbessert nicht nur die Plasmalöslichkeit, sondern senkt auch das Risiko einer Bioakkumulation über die Nahrungskette. Allerdings sind genau diese Stoffe dadurch oft besonders persistent in der aquatischen Umwelt, was ebenfalls nicht wünschenswert ist. Auch mögliche Auswirkungen der Abbauprodukte sollten bedacht und bestimmte (funktionelle) Gruppen, allen voran die umweltpersistenten per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (PFAS), vermieden werden.

Win-Win bei der Parameteroptimierung möglich

Einige der Parameter würden dabei gleichzeitig die Umweltverträglichkeit erhöhen, als auch die Wirkstoffeigenschaften in anderer Hinsicht verbessern. Beispielsweise reduziert eine hohe Target-Spezifität nicht nur unerwünschte Off-Target-Effekte bei den Behandelten, sondern auch in der Umwelt. Eine hohe Bioverfügbarkeit führt zu geringeren erforderlichen Dosierungen bei den Patient:innen und gleichzeitig zu geringeren in die Umwelt ausgeschiedenen Wirkstoffmengen.

Bei anderen Parametern gab es hingegen Bedenken, dass eine Optimierung zugunsten von Umweltaspekten möglicherweise an anderer Stelle von Nachteil sein könnte. So sollte trotz Optimierung der Bioabbaubarkeit eines Wirkstoffes in der Umwelt eine ausreichende Stabilität für Lagerung und Anwendung gewährleistet sein.

Off-Target-Effekte auch am Fischmodell untersuchen

Damit entsprechende Parameter im Entwicklungsprozess berücksichtigt werden, heben die Befragten immer wieder die Relevanz von geeigneten computerbasierten (in silico) Modellen und In-vitro-Testverfahren hervor, mit denen sich die Umweltverträglichkeit von Wirkstoffkandidaten in erster Näherung abschätzen lässt. Das Auftreten von Off-Target-Effekten würde derzeit in der Regel an murinen oder humanen Enzymen getestet. Denkbar wäre beispielsweise eine Erweiterung solcher Test-Panele um Enzyme aus Fischen, um abschätzen zu können, welche unerwünschten Wirkungen bei diesen zu erwarten sind. Ob solche Modelle und Testverfahren vorhanden sind, welchen Durchsatz sie haben und welche Kosten bei der Anwendung anfallen, spielen hierbei eine große Rolle für den tatsächlichen Einsatz.

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Hilfreich wären des Weiteren ein früherer Einbezug von Fachleuchten für Umweltfragen in die Arzneistoffentwicklung. Diese Expert:innen würden derzeit oft erst in der Phase der Präklinik konsultiert – einer Entwicklungsphase, in der am Wirkstoffmolekül nichts mehr verändert wird. Auch Anreize finanzieller, sozialer oder regulatorischer Natur betrachteten die interviewten Experten als sinnvoll, um die Entwicklung möglichst grüner Wirkstoffe zu fördern.

Literatur

Puhlmann N., et al. Designing greener active pharmaceutical ingredients: Insights from pharmaceutical industry into drug discovery and development. European Journal of Pharmaceutical Sciences. 2024;192:106614. https://doi.org/10.1016/j.ejps.2023.106614


Dr. Gesa Gnegel, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (gg)
redaktion@daz.online


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