Neue Produktgruppe 30

Hilfsmittel zum Glukosemanagement: Chaos in den Apotheken

Berlin - 04.09.2023, 16:45 Uhr

Die Abgabe von Lanzetten und anderen Hilfsmitteln zur Glukoseüberwachung stellt die Apotheken in Deutschland derzeit vor massive Probleme. (Foto: imago images / imagebroker)

Die Abgabe von Lanzetten und anderen Hilfsmitteln zur Glukoseüberwachung stellt die Apotheken in Deutschland derzeit vor massive Probleme. (Foto: imago images / imagebroker)


Seit dem 1. September ist in der Warenwirtschaft die neue Produktgruppe PG30 (Hilfsmittel zum Glukosemanagement) hinterlegt. Da es jedoch viele Kassen versäumt haben, die Verträge anzupassen, ist die Abgabe zum Beispiel von Lanzetten an Diabetiker derzeit in vielen Fällen ungeregelt. Das führt aktuell zu Problemen in den Apotheken.

Eigentlich ist die Hilfsmittelversorgung hierzulande bereits kompliziert genug – doch nun kommt eine weitere Hürde hinzu, die die Apothekenteams vorerst auf Trab halten dürfte. Bereits zum 1. Juni 2023 hat der GKV-Spitzenverband eine neue Produktgruppe (PG) in das Hilfsmittelverzeichnis eingeführt: PG 30 umfasst jetzt Hilfsmittel zum Glukosemanagement. Darunter fallen auch Hilfsmittel, die zuvor den Produktgruppen 03 (Applikationshilfen) oder 21 (Messgeräte für Körperzustände/-funktionen) zugeordnet waren – diese Umgruppierung bringt nun einige Schwierigkeiten für die Apothekenteams und Versicherten mit sich.

Beispiel Lanzetten: Auf das Einsatzgebiet kommt es an

Wie der Apothekerverband Schleswig-Holstein (AVSH) in einem Rundschreiben mitteilt, habe die ABDATA den Deutschen Apothekerverband darüber informiert, dass zum 1. September insgesamt rund 2.900 Pharmazentralnummern eine neue Abrechnungsnummer erhalten, da sie jetzt der Produktgruppe 30 zuzuordnen seien. „Das bedeutet beispielsweise für die Versorgung mit Lanzetten zur Insulintherapie: Die Lanzetten werden nun je nach Einsatzgebiet unterschieden“, schreibt der AVSH – je nachdem, ob sie für die Überwachung der Blutgerinnung oder für die Insulintherapie zum Einsatz kommen sollen.

Die Neuordnung hat gravierende Folgen: „Da es sich hierbei – anders als bei bisherigen Umgruppierungen – teilweise um eine Umwidmung und parallel dazu Neuschaffung handelt, ergibt sich daraus das Erfordernis zur Anpassung aller Hilfsmittelverträge“, erläutert der Verband. Während etwa die Betriebskrankenkassen und die Knappschaft die neue Produktgruppe bereits in ihre Hilfsmittelverträge aufgenommen hätten, sollen andere Kassen wie DAK, IKK classic, IKK Innovationskasse und die AOK Nordost das Fortgelten der aktuellen Regelungen der PG 03 und 21 auch für die neue PG 30 akzeptiert haben.

TK, Barmer, KKH und andere: Genehmigungen nötig

Die Antworten vieler Kostenträger stünden allerdings noch aus – darunter Schwergewichte wie die Techniker Krankenkasse, Barmer, KKH und andere. Für diese Krankenkassen sind offenbar seit dem 1. September 2023 keine Preisberechnungen für zum Beispiel Penkanülen und Lanzetten zur Insulintherapie in der Warenwirtschaft hinterlegt. „Wir empfehlen Ihnen, bis zur Klärung einen Kostenvoranschlag bei der jeweiligen Krankenkasse einzureichen“, rät der AVSH.

In den Apotheken sorgt dieser Zustand für Unruhe, insbesondere in Betrieben, die viele Menschen mit Diabetes betreuen. „Bei den Lanzetten zum Beispiel müssen wir jetzt immer überprüfen, für welche Indikation sie gedacht sind, falls der Arzt die Diagnose nicht im Klartext auf das Rezept geschrieben hat“, sagt eine Kollegin aus Hamburg der DAZ. Denn die Probleme betreffen derzeit nur Lanzetten, die im Zuge der Insulintherapie bei Menschen mit Diabetes mellitus zum Einsatz kommen sollen, nicht aber zur Überwachung der Blutgerinnung.

Wie gehen die Apothekenteams mit der Situation um?

Erschwerend komme hinzu, dass viele Kassen Kostenvoranschläge nur noch digital entgegennehmen. „Da benötigt man für jede Kasse ein eigenes kostenpflichtiges Modul“, erklärt die Apothekerin. „Diese zusätzlichen Ausgaben fressen die ohnehin mageren Erträge aus dem Hilfsmittelgeschäft vollends auf.“ Einige Kolleginnen und Kollegen haben bereits angekündigt, die betroffenen Hilfsmittel von den Patientinnen und Patienten selbst zahlen zu lassen und diese zu bitten, sich das Geld von ihrer Kasse zurückzuholen. Andere überlegen, den Versicherten die Kostenvoranschläge zu übergeben, damit sie diese bei ihrem Kostenträger genehmigen lassen. So oder so: Die ungeklärte Situation rund um die neue PG 30 dürfte an den HV-Tischen bundesweit für unangenehme Diskussionen sorgen. 


Christina Grünberg (gbg), Apothekerin, Betriebswirtin (IWW), DAZ-Redakteurin
cgruenberg@daz.online


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