Verunreinigtes Valsartan

Kein Schmerzensgeld wegen Furcht vor Krebs

Berlin - 17.05.2023, 13:15 Uhr

Als das potenzielle Risiko durch die Verunreinigung bekannt worden war, hatte die Klägerin bereits viele Blister geleert. (Foto: IMAGO / blickwinkel)

Als das potenzielle Risiko durch die Verunreinigung bekannt worden war, hatte die Klägerin bereits viele Blister geleert. (Foto: IMAGO / blickwinkel)


Die Valsartan-Krise erschütterte 2018 viele Patient:innen. Wer ein (potenziell) verunreinigtes Arzneimittel eingenommen hatte, musste fürchten, ein höheres Krebsrisiko zu haben. Aber reicht eine solche psychisch bedrückende Angst, um vom Hersteller des Arzneimittels Schmerzensgeld zu verlangen? Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main entschied nun: Nein, ein solcher Anspruch besteht nicht.

Als 2018 bekannt wurde, dass das laut der Internationalen Agentur für Krebsforschung der WHO und der EU „wahrscheinlich krebserregendes“ N-Nitrosodimethylamin (NDMA) in Blutdrucksenker mit dem Wirkstoff Valsartan gelangt war – und zwar in einen Großteil der verfügbaren Präparate – sorgte dies verständlicherweise für große Verunsicherung. Abgesehen von den ganz praktischen Widrigkeiten, die die Krise in den Apotheken auslöste sowie den politischen Folgen, wollten viele betroffene Patientinnen und Patienten nicht einfach hinnehmen, was ihnen widerfahren ist. Doch Arzneimittelhaftungsprozesse sind keine einfache Angelegenheit. Bislang gibt es erst wenige Gerichtsentscheidungen zu diesem Komplex. Nun hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Urteil gesprochen.

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In diesem Fall hatte die Klägerin seit vielen Jahren blutdrucksenkende Arzneimittel mit dem Wirkstoff Valsartan erhalten. Sie ging gegen den Hersteller „ihres“ Präparates vor, der 2018 alle Chargen mit diesem Wirkstoff wegen der produktionsbedingten Verunreinigung zurückgerufen hatte. Die Frau wollte ein Schmerzensgeld von mindestens 21.500 Euro zugesprochen bekommen. Der Grund: Seit Kenntnis des Rückrufs leide sie unter der psychischen Belastung, an Krebs zu erkranken. Bereits das Wort „krebserregend“ beunruhige sie, argumentierte sie. Tagsüber denke sie oft an die ungewisse gesundheitliche Zukunft; nachts plagten sie Albträume.

Schon das Landgericht Darmstadt hatte die Klage abgewiesen. Die Berufungsinstanz sah den Fall nicht anders. Die Klägerin habe keine „erhebliche“ Verletzung ihrer Gesundheit nachgewiesen, heißt es in einer Pressemitteilung des Gerichts. Ihre Schilderungen seien ungenau, pauschal und belegten keine behandlungsbedürftige Gesundheitsverletzung.

Das Gericht verweist auf einen Beurteilungsbericht der Europäischen Arzneimittelagentur, wonach das theoretisch erhöhte Lebenszeit-Krebsrisiko aufgrund möglicher Verunreinigungen mit NDMA bei täglicher Einnahme der Höchstdosis über einen Zeitraum von sechs Jahren um 0,02 Prozent erhöht sei. Demgegenüber werde das allgemeine Lebenszeitrisiko für Frauen, an Krebs zu erkranken, für Deutschland mit 43,5 Prozent angegeben. Vor diesem Hintergrund sei ein um 0,02 Prozent erhöhtes Risiko „nicht generell geeignet, psychische Belastungen in Form von Ängsten und Albträumen zu verursachen“.

Nur minimal höheres Krebsrisiko ist noch kein Schaden

Die Haftung des beklagten Unternehmens scheide auch aus, da die Gesundheitsbeeinträchtigung nicht „infolge“ der Arzneimitteleinnahme aufgetreten sei. Das Arzneimittel selbst sei nicht geeignet, die angeführten Gesundheitsbeeinträchtigungen in Form der Ängste und Albträume zu verursachen – das hatte auch die Klägerin eingeräumt. Auslöser der psychischen Folgen sei vielmehr die Kenntnis von der Verunreinigung gewesen. Tatsächlich konnte die Frau mit einem geringfügig erhöhten Krebsrisiko rechnen. Dieses verbleibe aber in einem Rahmen, „der nicht in relevanter Weise über dem allgemeinen Lebensrisiko liegt und damit generell bei objektiver Betrachtung nicht geeignet ist, die behaupteten psychischen und physischen Folgen auszulösen“, begründet das Oberlandesgericht. Die nur geringfügige Erhöhung des Krebsrisikos durch die Verunreinigung des Arzneimittels gegenüber dem allgemeinen Risiko, an Krebs zu erkranken, sei nicht per se als Schaden zu werten. 

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Darüber hinaus sah das Gericht auch keine anderen schadensverursachenden Umstände vorliegen. Die Klägerin habe selbst vorgetragen, dass ihre Ängste, an Krebs zu erkranken, dadurch verursacht seien, dass ihre Mutter, ihr Bruder und die Cousine an Krebs verstorben seien. „Überzogene Reaktionen auf die Nachricht, dass ein eingenommenes Medikament möglicherweise Verunreinigungen enthält, die möglicherweise krebserregend sind, können (...) der Beklagten nicht zugerechnet werden“, so die Richter..

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Frau kann noch Nichtzulassungsbeschwerde einlegen, um eine Revision zu erreichen.

Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.04.2023, Az. 13 U 69/22


Kirsten Sucker-Sket
redaktion@daz.online


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