„Hohe Nachfrage trifft auf ein begrenztes Angebot“

Antibiotikasäfte: Kurzfristig wohl keine Besserung in Sicht

Stuttgart - 06.04.2023, 17:50 Uhr

Die Schubladen für Antibiotikasäfte werden wohl weiterhin nur sporadisch gefüllt werden. (Foto: Schelbert)

Die Schubladen für Antibiotikasäfte werden wohl weiterhin nur sporadisch gefüllt werden. (Foto: Schelbert)


Die Kolleg:innen, die über die Ostertage Notdienst haben, sind wahrlich nicht zu beneiden. Der Markt für Antibiotikasäfte ist offenbar wie leergefegt. Entweder gibt es gar nichts oder nur kleine Mengen. Signifikante Besserung scheint zumindest den Großhändlern zufolge kurzfristig nicht in Sicht. Und auch die Einschätzung des Herstellers Infectopharm stimmt nicht unbedingt hoffnungsfroh. 

„Wir haben Notdienst, haben keine Antibiotikasäfte und bekommen auch keine. Wer kann helfen?“ Hilferufe dieser Art las und hörte man in den vergangenen Tagen öfter. Während sich die Lage bei den Fiebersäften wieder etwas gebessert zu haben scheint, fehlen die in der Pädiatrie am häufigsten verordneten Wirkstoffe in kindgerechten Darreichungsformen an allen Ecken und Enden. Es gibt immer mal wieder ein bisschen was, mehr aber auch nicht. Prognose unmöglich. 

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Eine baldige signifikante Besserung zeichnet sich zumindest bei den Großhändlern nicht ab. So erklärt beispielsweise ein Sprecher der Sanacorp: „Wie bekannt, gibt es seitens der Hersteller seit mehreren Monaten massive Lieferschwierigkeiten bei pädiatrischen Antibiotika-Kindersäften, mehrheitlich leider auch völlige Ausfälle. Eine außergewöhnlich hohe Nachfrage trifft auf ein sehr begrenztes Angebot, bzw. Produktionsoutput der Industrie. Diese Situation wird sich bedauerlicherweise auch über die kommenden Feiertage fortsetzen. Sanacorp ist hier jederzeit bemüht, im Sinne der Mitglieder und Kunden eine möglichst optimale, jedoch auf sehr niedrigem Niveau, Ver- und Zuteilung umzusetzen. Die Bestände ändern sich allerdings im Minutentakt, daher können wir eine genauere Aussage für die kommenden Feiertage bei diesen hoch-kritischen Arzneimitteln aktuell nicht treffen.“

„Entweder gar nicht verfügbar oder nur noch einzelne Packungen“

Auch bei der Noweda klingt die Einschätzung der Lage nicht besser: „Die Situation im Großhandel ist in der Tat sehr angespannt, der Absatz ist in diesem Winter etwa 400 bis 500 Prozent höher als in den Vorjahren. Die Ware ist entweder gar nicht verfügbar oder es sind nur noch einzelne Packungen da. Was uns erreicht, ist direkt wieder abverkauft. Auch bei der Nachlieferung geben viele Hersteller an, dass ein verbindlicher Liefertermin aktuell nicht genannt werden kann“, erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage der DAZ.

Seitens der Gehe heißt es: „Generell hat sich die Lage zwar etwas verbessert, unsere Versorgung durch die Hersteller mit Antibiotikasäften ist jedoch immer noch nicht ausreichend, um die Apothekennachfragen komplett abzudecken. Wir sind aber selbstverständlich im regelmäßigen Austausch mit den Herstellern, um die Apotheken bestmöglich zu versorgen.“

„Situation entspannt sich nicht“

Laut Hersteller Infectopharm kamen diese Saison zwei Faktoren zusammen. „Zum einen erleben wir eine außergewöhnlich hohe Zahl an Infektionen und Atemwegsproblemen. In dem halben Jahr von Oktober 2022 bis März 2023 verließen 750.000 Packungen unser Haus, das ist weit mehr als sonst in einem ganzen Jahr! Die Situation entspannt sich auch nicht: In den ersten drei Monaten 2023 haben wir bereits mehr als den durchschnittlichen Halbjahresbedarf an Penicillin-Säften verkauft“, heißt es in einem Statement.

Mit Schuld an der aktuellen Situation ist in den Augen von Infectopharm auch, dass sich kontinuierlich Produzenten aus dem Antibiotika-Markt zurückzögen. Im Jahr 2003 habe es beispielsweise noch elf Anbieter für Penicillin-Säfte gegeben, inzwischen seien es nur noch zwei, wovon InfectoPharm als Familienunternehmen das einzige verbliebene deutsche Unternehmen sei. „Von allen abgegebenen Penicillin-Säften in diesem Winter haben wir als Mittelständler 97 Prozent des Marktes bedient. Die ganze Last liegt auf der Schulter eines Anbieters – und der verdient damit nicht einmal Geld“, so Infectopharm.

Die Firma verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass man in den Corona-Wintern immense Mengen verwerfen und Verluste im hohen sechsstelligen Bereich realisieren musste. Der Verbrauch war nämlich von 600.000 bis 800.000 Packungen im Jahr, wovon etwa 80 Prozent von dem Mittelständler mit Sitz im hessischen Heppenheim stammten, auf etwa 250.000 Packungen eingebrochen. Dennoch habe man sich im Jahr 2022 erneut mit einem jährlichen Durchschnittsbedarf bevorratet. Eine kurzfristige Steigerung der Produktion ist laut Infectopharm nicht möglich, die Vorlaufzeiten in der Produktion betragen üblicherweise mehrere Monate – aktuell gute acht bis zwölf, heißt es. 

Schuld an der Marktverdichtung ist in den Augen von Infectopharm der Festbetrag: Für den meistverordneten Penicillin-Trockensaft (Penicillin 0,4 Mega / 5ml in 100ml) liege dieser bei weniger als zwei Euro netto. Der Festbetrag sei seit Einführung vor ca. 30 Jahren noch nie erhöht worden. „War dieser Preis von knapp zwei Euro vor 30 Jahren noch wirtschaftlich, ist er es heute längst nicht mehr“, so Infectopharm.  Aus gutem Grund hätten sich in den letzten 15 Jahren neun Hersteller aus dem Markt zurückgezogen. „Aus rein wirtschaftlicher Perspektive wäre es auch für uns die einzig richtige Entscheidung, den Verkauf von Penicillin-Trockensäften zu stoppen. Einzig die ethische Verantwortung spricht dagegen“, erklärt das Unternehmen. Ein weiteres Beispiel sei InfectoMox Trockensaft für Kinder. Der Erstattungsbetrag für das Arzneimittel mit dem Wirkstoff Amoxicillin liege seit dem Jahr 2010 unverändert bei einem Nettopreis von 1,65 Euro. Die Inflation und gestiegene Lohn- und Gehaltskosten hätten im letzten Jahr komplett die Margen aufgefressen.

„Aussetzung der Festbeträge bringt nur den Eltern was“ 

Die Aussetzung der Festbeträge für drei Monate bringt nach Ansicht des Herstellers nur den Eltern etwas, die keine Mehrkosten leisten müssen, habe aber keinerlei Auswirkungen auf die Versorgungslage.

Um die Situation langfristig zu entspannen und den Markt für andere Pharmaunternehmen attraktiv zu machen, erwartet Infectopharm in dem Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln (ALBVVG) mehr als nur kosmetische Eingriffe. Wichtig sei die beherzte Therapie eines komplett kranken Systems.

Auch die Herstellerseite schürt also wenig Optimismus auf eine Besserung der Lage.


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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3 Kommentare

Trifft ja nicht nur Hersteller

von Stefan Haydn am 11.04.2023 um 10:03 Uhr

Das Problem trifft ja nicht nur die Hersteller.

Berücksichtigt man den Aufwand für Apotheken die Säfte zu besorgen, müßte der Preis gemäß marktwirtschaftlichen Gesetzen deutlich höher ausfallen.

Durch die Festlegung des Abgabepreises ist dies den Apotheken ja nicht möglich. Ergo wäre eine Honorarerhöhung als Ausgleich gefordert, die aber wie immer unterschlagen wird.

Der Witz ist ja im Moment, daß auch die Privatversicherten, die ja eventuell höhere Preise in Kauf nehmen würden, durch die Preisbindung mit den GKV-Versicherten in einem Boot sitzen. Dank lächerlicher Preise gibt es eben auch für diese Patienten nichts.
Ja, ich weiß die haben von den Festbeträgen bisher auch profitiert, aber eben aktuell auch selbst keine Möglichkeit aus dem System auszubrechen.

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Infectopharm

von Rolf Lachenmaier am 06.04.2023 um 19:26 Uhr

Lieber Hersteller, solange Ihr Euch nicht auf die Hinzerbeine stellt und vernünftige, faire Preise vonseiten der kranken Kassen fordert und realisiert, wird sich nichts ändern. Welcher Hersteller/ Händler ist so doof und lässt sich über Jahre hinweg unter Wert verkaufen?! (Mir fallen da sonst nur Apotheken ein)
Die kranken Kassen "lernen" von alleine NICHTS! Man muss Ihnen auf die Füße treten. 12 Mrd. Euro Nettoverwaltungskosten weisen diese Geldverwalter im Jahr aus. Wofür eigentlich?

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