Bericht des GKV-Spitzenverbandes

DiGA: Hohe Preise, wenig Nutzen

Berlin - 06.01.2023, 12:45 Uhr

Noch haben DiGA die Gesundheitsversorgung nicht revolutioniert. (Foto: nenetus / AdobeStock)

Noch haben DiGA die Gesundheitsversorgung nicht revolutioniert. (Foto: nenetus / AdobeStock)


Wie haben sich die digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) entwickelt, seit sie vor rund zwei Jahren zu einer möglichen Kassenleistung wurden? Das hat sich der GKV-Spitzenverband genauer angeschaut. Sein Fazit: DiGA stecken noch immer in den Kinderschuhen. Sie hätten zwar großes Potenzial – doch was Nutzen und Preise betrifft, sieht der Verband Nachbesserungsbedarf.

Seit rund zwei Jahren können digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA), sofern sie sich im DiGA-Verzeichnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte befinden, von Ärztinnen und Psychotherapeuten verordnet oder von Krankenkassen genehmigt werden. Der GKV-Spitzenverband wurde vom Gesetzgeber mit der Aufgabe beauftragt, jedes Jahr einen Bericht vorzulegen, wie und in welchem Umfang den Versicherten DiGA gewährt werden. Diesen Bericht hat der Verband nun für das zweite Jahr vorgelegt. Unter die Lupe genommen hat er dafür die Daten zur Verordnung und Inanspruchnahme im Zeitraum vom 1.September 2020 bis zum 30. September 2022.

Die zentrale Erkenntnis des GKV-Spitzenverbandes: Die „Apps auf Rezept“ sind noch nicht in der Versorgung angekommen. Seit Anfang 2022 bewege sich die monatliche Menge der eingelösten Freischaltcodes auf einem nahezu unveränderten Niveau zwischen 10.000 und 12.000 DiGA. Insgesamt wurden bis Ende September rund 164.000 DiGA in Anspruch genommen. 

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„Mit viel Vorschusslorbeeren sind DiGA in die Versorgung gestartet. Aber den Erwartungen sind sie bisher nicht gerecht geworden. Die Gesundheits-Apps stecken auch nach über zwei Jahren noch in den Kinderschuhen. Dabei sehen wir durchaus großes Potenzial, wie DiGA die Patientinnen und Patienten beim Erkennen oder Überwachen von Krankheiten unterstützen können“, sagt Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstand beim GKV-Spitzenverband. Doch die weiterhin hohe Quote von DiGA auf Probe zeige, dass oftmals noch offenbleibe, was die Angebote wirklich bringen.

Lediglich neun DiGA wurden mit einem bereits vorliegenden Nutzenbeleg direkt dauerhaft in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen. 27 wurden hingegen zunächst zur Erprobung in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen – das ist zunächst für ein Jahr möglich, in besonderen Fällen auch für bis zu zwei Jahren. Den Nutzen müssen die Hersteller der Apps spätestens bis dahin belegen, sonst fliegen sie aus dem Verzeichnis der verordnungsfähigen DiGA wieder heraus. Doch die Studien zur Evidenz gestalten sich offenbar schwierig. Nur vier der 27 zur Erprobung aufgenommenen DiGA wurden dauerhaft in die Regelversorgung aufgenommen – und davon drei DiGA nicht in ihrem vollen ursprünglichen Indikationsumfang.

Und dazu kommt: „Trotz dieser unklaren Evidenzlage rufen die herstellenden Unternehmen beliebig hohe Preise auf und der gesetzlichen Krankenversicherung sind im ersten Jahr bei dieser Preisspirale nach oben die Hände gebunden“, so Stoff-Ahnis. Das Preisspektrum reicht dabei von 119 Euro für eine Einmallizenz bis zu 952 Euro für 90 Tage.

Kein Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen

Die Auswertung des GKV-Spitzenverbands zeigt, dass die durchschnittliche Preishöhe von DiGA mit fehlendem Nutzennachweis deutlich steigt. Bei Apps, die hingegen konstant aufgenommen sind, sind die Preise leicht sinkend. Im Durchschnitt liegen die Herstellerpreise für eine DiGA bei 500 Euro – in der Regel für ein Quartal. Sie sind damit gegenüber dem Durchschnittswert aus dem ersten Jahr der DiGA nochmals um 20 Prozent gestiegen. Auch die zum 1. Oktober 2022 in Kraft getretenen Höchstbeträge begrenzen das Preisniveau nicht nennenswert, wie der GKV-Spitzenverband konstatiert. „Es gibt augenscheinlich keinen Zusammenhang zwischen Preishöhe und Nutzen“, so Stoff-Ahnis. Wenn man bedenke, dass DiGA derzeit ausschließlich ein Add-on zur bestehenden Versorgung sind, führe die beliebige Preisbildung und die zusätzliche Möglichkeit der Preiserhöhung im Erprobungszeitraum zu großen Verwerfungen bei der Vergütung von GKV-Leistungen mit nachgewiesenem Nutzen. „Wenn es für die Patientinnen und Patienten keinen Mehrwert gibt, dann sollte überlegt werden, ob das Geld der Beitragszahlenden nicht an anderer Stelle besser eingesetzt wäre“, so Stoff-Ahnis. Jedenfalls insofern dürfte der GKV-Spitzenverband die noch überschaubaren Verordnungszahlen nicht allzu kritisch sehen.

Auch dies lässt sich dem DiGA-Bericht entnehmen:

  • 70 Prozent aller eingelösten Freischaltcodes für DiGA entfallen auf Frauen und nur 30 Prozent auf die männlichen Versicherten.
  • Versicherte im Alter zwischen 55 bis unter 65 Jahren, dicht gefolgt von der Altersgruppe 50 bis unter 55 Jahren, nehmen am häufigsten eine DiGA in Anspruch. Das durchschnittliche Alter aller Versicherten mit einer DiGA-Inanspruchnahme liegt bei 45 Jahren.
  • Fast 89 Prozent aller eingelösten DiGA-Freischaltcodes, wurden ärztlich verordnet, elf Prozent wurden von den Krankenkassen genehmigt.
  • DiGA adressieren meist Indikationen mit einer hohen Prävalenz (z. B. Adipositas, Angststörungen, Schlafstörungen, Rückenschmerzen etc.). Mit insgesamt 16 Anwendungen – davon sieben noch in der Erprobung – ist die Mehrheit der DiGA im Indikationsbereich der „psychischen Erkrankungen“ angesiedelt. In dieser Krankheitsgruppe gibt es mit 53.000 die meisten Verordnungen. Es folgen mit je vier DiGA die Indikationsbereiche „Stoffwechselkrankheiten“ und „Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems“, welche jeweils 31.000 Verordnungen aufweisen.
  • Die DiGA zanadio (Adipositas) wurde mit 28.000 freigeschalteten Codes am häufigsten verordnet.
  • Die Leistungsausgaben seit der ersten Aufnahme einer DiGA in das DiGA-Verzeichnis im September 2020 bis 30. September 2022, betragen 55,5 Millionen Euro. Dabei lagen die Ausgaben im ersten Jahr noch bei 13,5 Millionen Euro, im zweiten Jahr hingegen bei 42 Millionen Euro.

Für die Zukunft meldet die Kassenseite aber gesetzgeberischen Nachbesserungsbedarf an: Zum einen dürften ausschließlich DiGA mit einem klaren medizinischen Nutzen für die Patient:innen aufgenommen werden. Zudem müsse das Gebot der Wirtschaftlichkeit gewahrt bleiben, indem die verhandelten Preise vom ersten Tag der Aufnahme in die Regelversorgung gelten. Nicht zuletzt bedürfe es einer Harmonisierung der Rahmenbedingungen für DiGA mit anderen GKV-Leistungsbereichen, indem die Leistungserbringenden und der GKV-Spitzenverband in den Zulassungsprozess mit einbezogen werden.

Hier kommen Sie zum gesamten Bericht des GKV-Spitzenverbandes


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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