Keine Förderung eines unzweckmäßigen Arzneimitteleinsatzes

EuGH: Mitgliedstaaten können Arzneimittel-Sonderangebote verbieten

Berlin - 22.12.2022, 17:00 Uhr

Der Europäische Gerichtshof hat sich einmal wieder mit Arzneimittelwerbeverboten befasst. (Foto: IMAGO / Horst Galuschka)

Der Europäische Gerichtshof hat sich einmal wieder mit Arzneimittelwerbeverboten befasst. (Foto: IMAGO / Horst Galuschka)


Der Europäische Gerichtshof hat sich erneut mit der Werbung von Apotheken für Arzneimittel befasst. Diesmal ging es um eine lettische Apotheke, die einen 15-prozentigen Rabatt für den Kauf eines beliebigen Arzneimittels versprach, wenn mindestens drei Artikel gekauft würden. Dies ist nach lettischem Recht unzulässig – zu Recht, wie der EuGH befand. Denn eine derartige Werbung fördere den unzweckmäßigen Einsatz von Arzneimitteln und müsse von den Mitgliedstaaten sogar verboten werden.

Für Arzneimittel darf in Deutschland und in Europa bekanntlich nicht so geworben werden wie für andere Konsumgüter. Schließlich handelt es sich um Waren besonderer Art, die – falsch und/oder übermäßig eingesetzt – erhebliche Risiken für die Gesundheit bergen können. Dennoch testen Unternehmen, auch Apotheken, immer wieder die Grenzen aus. Das kennen wir hierzulande vor allem von den EU-Arzneimittelversendern, die um deutsche Kunden und Kundinnen buhlen. Solche Fälle landen am Ende oft beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), der dann zu entscheiden hat, ob nationale Verbote mit dem EU-Recht, vor allem den Vorgaben des Humanarzneimittelkodex  (EU-Richtlinie  2001/83) vereinbar sind.

So geschehen ist es nun auch bei „Euroaptieka“, einer lettischen Apothekenkette. Diese hatte im März 2016 auf ihrer Website und in ihrer Kundenzeitschrift eine Werbeaktion angekündigt, die einen Preisnachlass von 15 Prozent für den Kauf eines beliebigen Arzneimittels vorsah, wenn mindestens drei Artikel gekauft würden. Die zuständige Aufsichtsbehörde untersagte diese Werbung. Denn in Lettland gibt es eine Vorschrift, die Werbung für Arzneimittel verbietet, die sich auf die Preise, auf Sonderangebote oder auf kombinierte Verkäufe von Arzneimitteln zusammen mit anderen Waren bezieht.

Euroaptieka, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, zog deshalb vor den lettischen Verfassungsgerichtshof. Dort stellt es die Rechtmäßigkeit des nationalen Werbeverbots im Hinblick auf die EU-Richtlinie 2001/83 infrage. Dieses Gericht rief sodann den EuGH an. Es wollte wissen, ob die Werbevorschriften des Humanarzneimittelkodex auch eine Werbung für unbestimmte Arzneimittel umfassen, also eine Werbung, die sich auf Arzneimittel im Allgemeinen oder auf eine Gesamtheit von nicht identifizierten Arzneimitteln bezieht. Zudem fragten die lettischen Richter:innen, ob das besagte nationale Verbot der preisbezogenen Werbung und der Werbung für Sonderangebote oder für kombinierte Verkäufe von Arzneimitteln zusammen mit anderen Waren mit der EU-Richtlinie vereinbar ist.

Produktbezug nicht nötig

Am heutigen Donnerstag hat der EuGH entschieden – das Urteil liegt noch nicht in deutscher Sprache vor, aber es gibt eine Pressemitteilung. Demnach weist der EuGH in seinem Urteil darauf hin, dass der Begriff „Werbung für Arzneimittel“ in der Richtlinie 2001/83 sehr weit definiert sei. Er umfasse alle Maßnahmen zur Information, zur Marktuntersuchung und zur Schaffung von Anreizen mit dem Ziel, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf oder den Verbrauch eines bestimmten Arzneimittels oder unbestimmter Arzneimittel zu fördern. Ein ausdrücklicher Produktbezug ist also nicht nötig. 

Würde die Werbung für unbestimmte Arzneimittel vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 ausgenommen, könnte Werbeverboten und -einschränkungen, die dem Risiko einer übermäßigen oder unvernünftigen Verwendung von Arzneimitteln entgegenwirken sollen, ihre praktische Wirksamkeit genommen werden. Das wesentliche Ziel der Richtlinie, der Schutz der öffentlichen Gesundheit, wäre damit weitgehend beeinträchtigt.

Unzweckmäßiger Arzneimitteleinsatz darf nicht gefördert werden

Kurzum: Im hier vorliegenden Fall ist die Richtlinie anwendbar. Was heißt das nun für die lettische Regelung? Ist sie mit den EU-Vorgaben auch vereinbar? Auch das bejahen die Luxemburger Richter:innen. Dazu stellen sie zunächst fest, dass eine Werbung für nicht verschreibungspflichtige und nicht erstattungsfähige Arzneimittel, auf die die lettische Vorschrift konkret abzielt, nach dieser Richtlinie grundsätzlich zulässig ist. Trotzdem müssten die Mitgliedstaaten, um Gefahren für die öffentliche Gesundheit zu verhindern, Werbeinhalte verbieten, die den unzweckmäßigen Einsatz solcher Arzneimittel fördern könnten.

Werbung für OTC-Arzneimittel könne Verbraucher:innen nämlich besonders in ihrer Entscheidung beeinflussen – und zwar sowohl was die Qualität des Arzneimittels betrifft als auch hinsichtlich der zu kaufenden Menge. Werde etwa mit Sonderangeboten oder für kombinierte Verkäufe geworben, könne dies zu einer Verbraucherentscheidung nach wirtschaftlichen Kriterien führen. Dabei könnten Überlegungen zum Arzneimittel selbst und dem konkreten medizinischen Bedarf auf der Strecke bleiben. Auch würden Arzneimittel so anderen Konsumgütern gleichgestellt, bei denen Preisnachlässe üblich sind. Nach Auffassung des EuGH leistet also eine Werbung, wie sie durch die lettische Vorschrift verboten ist, der unzweckmäßigen und übermäßigen Verwendung von rezeptfreien Arzneimitteln Vorschub – und gehört verboten.

Die Entscheidung wirkt erfreulich akzentuiert und dürfte über den konkreten lettischen Fall hinaus Strahlkraft entfalten.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. Dezember 2022, Rs. C‑530/20


Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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