Juckreiz, Ikterus und Abgeschlagenheit

Kombinierte orale Kontrazeptiva – auf Zeichen einer Leberschädigung achten

Stuttgart - 06.10.2022, 13:45 Uhr

Östrogene und insbesondere Kombinationen von Östrogenen und Gestagenen wurden mit Episoden ausgeprägter Erhöhungen der Serum-Aminotranferasen (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) in Verbindung gebracht. (s / Foto: Seventyfour / AdobeStock)

Östrogene und insbesondere Kombinationen von Östrogenen und Gestagenen wurden mit Episoden ausgeprägter Erhöhungen der Serum-Aminotranferasen (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) in Verbindung gebracht. (s / Foto: Seventyfour / AdobeStock)


Manche Nebenwirkungen kennen auch Ärztinnen und Apotheker nur aus der Fachinformation. Leberschäden im Zusammenhang mit niedrig dosierten Verhütungspillen könnten dazugehören: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft berichtet aktuell über einen schweren Fall einer solchen Nebenwirkung, der dafür sensibilisieren sollte, diese frühzeitig zu erkennen. Denn die Symptome zeigen sich nur schleichend und das Absetzen der „Pille“ hilft. 

Teils wirken sie abstrakt, und mancher könnte sich fragen, ob sie wirklich jemals auftreten – die seltenen Nebenwirkungen in den Beipackzetteln von Arzneimitteln. Eine solche ist der Cholestatische Ikterus bei der „Pille“ mit dem Handelsnamen Evaluna® 20. Das kombinierte hormonale orale Kontrazeptivum (KOK) enthält 0,1 mg Levonorgestrel und 0,02 mg Ethinylestradiol. Das Präparat gehört damit zu den „Pillen“ mit dem geringsten Risiko für venöse Thromboembolien (VTE), und doch ist natürlich kein Arzneimittel frei von möglichen Nebenwirkungen. 

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Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) berichtet in ihrer Zeitschrift „Arzneiverordnung in der Praxis“ über den Fall einer 18-Jährigen, die über sechs Monate Evaluna® 20 eingenommen hat. Sie hatte keinerlei Vorerkrankungen und nahm keine anderen Arzneimittel ein. 

Neben dem Verweis auf die seltene Nebenwirkung (≥ 0,01% und < 0,1%) eines Cholestatischen Ikterus wird in der Fachinformation auch darauf hingewiesen, dass weiterhin unter der Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva Leberschäden wie Hepatitis oder Leberfunktionsstörungen berichtet wurden, deren Häufigkeit sich aus den Berichten jedoch nicht berechnen lasse. Die 18-Jährige Patientin musste jene Nebenwirkungen aber leider am eigenen Leib erfahren. Wie die AkdÄ berichtet, entwickelte sie eine schwere hepatitische Reaktion mit Dominanz der Cholestase – Übelkeit, Erbrechen, Ikterus – und eine Panzytopenie. „Konsekutiv zu akuter Hepatitis kam es zu einer schweren aplastischen Anämie, die wiederum eine allogene Knochenmarktransplantation notwendig machte“, heißt es zudem. Panzytopenie und aplastische Anämie seien dabei keine bekannten Nebenwirkungen von Evaluna®. Unter dem Begriff „aplastischer Anämie“ werden verschiedene, pathogenetisch uneinheitliche Knochenmarkinsuffizienzen zusammengefasst. 

Welche Bedeutung hat dieser Fallbericht nun für die Allgemeinheit?

Östrogene und Kontrazeptiva können Bilirubinausscheidung reduzieren

Wie die AkdÄ weiter erläutert, können Östrogene grundsätzlich cholestatische Leberschäden bedingen. Zur Cholestase komme es „durch Hemmung der Bilirubin- und Gallensäuresekretion“. Die Östrogene interagierten vermutlich mit Kernrezeptoren, die den Gallensäure- und Bilirubinstoffwechsel modulieren. Frauen mit Cholestase durch KOK hätten oft eine Vorgeschichte mit Cholestase in der Schwangerschaft (mit Gelbsucht und/oder Pruritus); zudem seien genetische Variationen in den Gallensäuretransportergenen häufig. „Östrogene und KOK können daher eine leichte Hemmung der Bilirubinausscheidung verursachen, was bei Patienten mit Störungen des Bilirubinstoffwechsels zu Gelbsucht führt“, heißt es.

Leberschädigung zeigt sich nur schleichend

Östrogene und KOK könnten auch eine symptomatische cholestatische Leberschädigung verursachen, „die typischerweise während der ersten paar Therapiezyklen und selten nach sechs Monaten“ auftreten soll. Der Beginn ist schleichend, mit 

  • Müdigkeit und Juckreiz, gefolgt von
  • Übelkeit,
  • dunklem Urin und
  • Gelbsucht.

Die Erhöhungen der Serumenzyme sind in der Regel gemischt oder cholestatisch, obwohl die Alanin-Aminotransferase (ALT) sehr früh deutlich erhöht sein kann (5- bis 20-fach).

Bekanntlich sprechen beobachtete (vermeintliche) Nebenwirkungen nicht immer für einen kausalen Zusammenhang. Doch wie die AkdÄ weiter erläutert, wurden Östrogene und insbesondere Kombinationen von Östrogenen und Gestagenen mit Episoden ausgeprägter Erhöhungen der Serum-Aminotranferasen (ALT) und Aspartat-Aminotransferase (AST) ohne Symptome, Gelbsucht oder Cholestase in Verbindung gebracht – wobei diese Anomalien schnell verschwinden sollen, wenn die Hormonbehandlung abgesetzt wird.

In den Zulassungsstudien von niedrig dosierten KOK wie Evaluna® 20 ist zudem zwar „keine statistisch signifikant erhöhte Rate an toxischen/akuten Leberschädigungen im Vergleich zu Placebo dokumentiert“. Die früheren, höher dosierten KOK sollen jedoch häufig zu Erhöhungen der Leberenzyme im Serum geführt haben.

Cholestatischer Ikterus erst seit 2016 in der Fachinformation

Tatsächlich sollen die Fachinformationen von KOK bis 2016 nur darauf hingewiesen haben, „dass akute oder chronische Leberfunktionsstörungen eine Unterbrechung der KOK-Einnahme erforderlich machen können, bis sich die Leberfunktionswerte wieder normalisiert haben“. Erst Ende 2016 sei der cholestatische Ikterus als seltene Nebenwirkung in die Fachinformation von KOK aufgenommen worden. Die Autoren des Artikels in „Arzneiverordnung in der Praxis“, Dr. med. Ulrich Rosien und Dr. med. Michael Zieschang kommen zu dem Schluss: 


Somit können auch neuere KOK mit niedrigeren Hormondosierungen eine Leberschädigung mit intrahepatischer Cholestase, aber in der Regel nur geringer Entzündung und Nekrose der Hepatozyten verursachen. Eine Kausalität zwischen den hepatischen Beschwerden und der Einnahme des KOK erscheint mindestens als möglich.“

„Arzneiverordnung in der Praxis“, vorab online am 13. September 2022


Dennoch sei der geschilderte Fallbericht außergewöhnlich schwer und nicht als „Kausalität im Sinne einer Nebenwirkung des KOK anzusehen“, erklären sie weiter. Es sei eine „seltene Komplikation der Medikation mit einer sehr seltenen Komplikation der induzierten Hepatitis“ zusammengekommen. Die berichtete schwere aplastische Anämie sei als eine sehr seltene Komplikation der Hepatitis anzusehen, auch wenn eine aplastische Anämie durch eine akute Hepatitis jedweder Genese induziert werden könne und vor allem bei jüngeren Menschen beschrieben worden sein soll.

Die AkdÄ weist deshalb nun darauf hin, dass Anwenderinnen von KOK auf mögliche klinische Zeichen einer Leberschädigung wie Juckreiz, Ikterus und Abgeschlagenheit achten und sich beim Auftreten ärztlich vorstellen sollten.


Deutsche Apotheker Zeitung / dm
redaktion@daz.online


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