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DAZ-Schwerpunkt Arzneimittel-Lieferdienste
Der Wettbewerb um die letzte Meile
Nur ein flüchtiges Großstadtphänomen oder der Beginn eines neuen Markts und Wettbewerbs? Finanzkräftige Start-ups haben die letzte Meile zwischen Apotheken und Kunden für sich entdeckt und versuchen derzeit Arzneimittel-Lieferdienste zu etablieren. Die aktuelle DAZ widmet sich der Frage, inwiefern das eine Gefahr für das Apothekenwesen darstellt und warum es trotz aller Bedenken Kolleginnen und Kollegen gibt, die mit den Anbietern kooperieren.
„Hier in Prenzlauer Berg leben und arbeiten viele junge Menschen. Die haben ein ganz anderes Konsumverhalten als ältere Generationen oder die Bevölkerung auf dem Land.“ Nico Daniel Reinold stammt aus Baden-Baden und kam vor rund 15 Jahren nach Berlin. Nach einer Tätigkeit als Filialapothekenleiter machte er sich im vergangenen Sommer mit seiner Schönhauser Apotheke selbständig. Direkt bei der Übernahme stand für Reinold fest, dass er das Botendienstangebot ausbauen muss: „Es gab praktisch kein Konzept. Arzneimittel und andere Bestellungen wurden, wenn Zeit war, zu den Arztpraxen und Kunden gebracht.“ Mit Kurando fand er ein Start-up, das für ihn genau diese Dienstleistung seitdem umsetzt. „Und das ist eben kein Fahrdienst mit einer rüstigen Rentnerin, sondern ein flexibler und schneller Kurierdienst“, erklärt der Apotheker gegenüber der DAZ.
Juristische Bedenken
Kurierdienst statt Botendienst – anders als in Berlin beobachtet man zwischen Düsseldorf und Köln diese Entwicklung mit Sorge. Bettina Mecking, stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin der Apothekerkammer Nordrhein, bezeichnet die Aktivitäten der Kurierunternehmen sogar als einen „Angriff auf das Apothekenwesen“. Mecking listet einige Argumente auf, die darstellen, weshalb ihres Erachtens das Geschäftsmodell von Kurando und Co. als rechtswidrig angesehen werden muss. „Da wäre zunächst ein möglicher irreführender werblicher Auftritt zu nennen. Die Lieferdienst-Apps stellen ein Arzneimittel-Angebot bereit, das durch Partner-Apotheken bedient wird“, so Mecking.
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Gegen den Kurando-Wettbewerber First A wurde jüngst vor dem Landgericht Berlin sogar eine einstweilige Verfügung erwirkt (Az: 91 O 98/21 vom 11. November 2021). Das Gericht argumentierte, dass ein solches Start-up nicht den Eindruck erwecken dürfe, es betreibe selbst eine Apotheke. Die Kurierdienste müssten vielmehr früh im Bestellprozess deutlich machen, von welchem Partner die Lieferung kommt. „Hier haben die Anbieter offenbar bereits gewisse Lehren gezogen“, stellt Justiziarin Mecking fest. Doch darüber hinaus existieren in ihren Augen weitere fragwürdige Konstellationen: Inwiefern ist ein Botendienst durch Logistiker mit der Apothekenbetriebsordnung zu vereinbaren? Wird den Kunden bei jedem Bestellprozess ein adäquates Beratungsangebot unterbreitet? Wie steht es um das freie Apothekenwahlrecht? Verstößt die prozentuale Umsatzbeteiligung der Kurierdienste gegen das Apothekenrecht?
„Wir müssen gewissermaßen mithalten“
Als im Oktober 2019 Botendienste als Regelangebot und telepharmazeutische Beratungen zugelassen wurden, sagten manche voraus, dies werde weitreichende Folgen haben. Start-ups wie Kurando, First A oder Mayd, die sich derzeit in den Metropolen versuchen zu etablieren, scheinen die deutlichsten Auswüchse dieser Liberalisierung zu sein. „Deine Medikamente in 30 Minuten geliefert“ – mit diesem Versprechen wirbt beispielsweise Mayd. Zudem verspricht der neue Kurierdienst „mehr als 2000 Produkte für alle Bedürfnisse.“
Im September 2021 hatte First A sein Debüt bekannt gegeben. Jüngstes Kind der Branche ist Kurando, die mit dem Slogan „Deine Apotheke kommt jetzt zu Dir“ wirbt. Nicht nur das Geschäftsmodell scheint eine Gemeinsamkeit aller drei Unternehmen zu sein, sondern auch ihr hauptsächliches Einsatzgebiet – in den Berliner Bezirken.
Ein Großstadtphänomen also, mit einer bestimmten Kundenklientel im Fokus? „Sicher. Hier bestellt nicht die 70-jährige Diabetikerin ihr Metformin. Doch jede Apotheke muss sich auch ihrem unmittelbaren Umfeld anpassen“, meint Apotheker Nico Daniel Reinold aus Prenzlauer Berg. „Auch wir selbst hier in der Apotheke gehören ja zu dieser Klientel.“ Es sei inzwischen ganz normal, Getränke via „Flaschenpost“ und Lebensmittel via „Gorillas“ zu bestellen und geliefert zu bekommen. „Wir müssen als Apotheke also gewissermaßen mithalten.“ Reinold ist sicher, dass sich solche Konzepte auch auf das Land übertragen lassen, „wenn es denn überhaupt notwendig erscheint“. Aktuell hält er Arzneimittel-Lieferdienste nicht für ein Must-have, aber auf jeden Fall für ein Nice-to-have.
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