Bundestagsdebatte

Viele Fragezeichen rund um die COVID-19-Impfpflicht

Berlin - 27.01.2022, 16:30 Uhr

Im Bundestag wurde über die Impfpflicht diskutiert, draußen gab es Proteste gegen eine solche. (Foto: IMAGO / A. Friedrichs)

Im Bundestag wurde über die Impfpflicht diskutiert, draußen gab es Proteste gegen eine solche. (Foto: IMAGO / A. Friedrichs)


Ist die Impfpflicht der einzige Weg aus der Coronakrise? Und wenn ja: Soll sie für alle Erwachsenen gelten oder nur für Menschen ab 50 Jahren? Gestern diskutierte der Bundestag in einer offenen Debatte mehr als drei Stunden das Thema. Unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plädierte deutlich für eine allgemeine Impfpflicht. 

Die Einführung einer Impfpflicht im Kampf gegen die seit nunmehr zwei Jahren anhaltende Corona-Pandemie ist im Bundestag hoch umstritten. In einer ersten ausführlichen Debatte über diese gesellschaftlich brisante Frage prallten am gestrigen Mittwochnachmittag die Meinungen von Befürwortern und Gegnern aufeinander. Eine Sternstunde des Parlaments war es sicher nicht – die Argumente sind mittlerweile bekannt.

Im Wesentlichen gibt es drei Haltungen unter den Parlamentariern, die ohne Fraktionszwang über das Thema entscheiden sollen: Es gibt solche, die die Impfpflicht ablehnen (neben der AfD zum Beispiel der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und Gregor Gysi von der Linksfraktion). Andere wollen die Impfpflicht für alle ab 18 Jahren (z. B. Karl Lauterbach (SPD), Janosch Dahmen (Grüne)), andere setzen zunächst auf Aufklärung und eine gegebenenfalls folgende Impfpflicht für Ab-50-Jährige (z. B. Andrew Ullmann (FDP), Kordula Schulz-Asche (Grüne)). Ausnahmen für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können, soll es natürlich geben. Details sind aber noch unklar, zum Beispiel was die Frage nach einem Impfregister betrifft. Und es gibt offensichtlich auch noch Abgeordnete, die noch nicht ganz sicher sind, welchen Weg sie befürworten. 

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dagmar Schmidt, startete die Debatte im Bundestag. Sie plädierte für die Impfpflicht ab 18 Jahren. „Die Impfpflicht ist ein milderes Mittel als die Gefährdung der Gesundheit durch Durchseuchung und auch als weitere Einschränkungen, die vor allem Kinder und Jugendliche, aber viele andere mehr treffen, mit harten Folgen.“ Man könne die Pandemie auch einfach laufen lassen, sagte Schmidt. „Das führt irgendwann zu einer Grundimmunität. Vorher aber führt es zu vielen Toten, Kranken und Long-COVID-Patienten.“

Impfpflicht ab 50: Kontraproduktives Signal für Jüngere

Die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther argumentierte ähnlich. Zudem könnte eine Impfpflicht ab 50 Jahren ein kontraproduktives Signal setzen: Es bestehe nämlich die Gefahr, dass die Impfbereitschaft bei den jüngeren Menschen abnehme. Die Medizinerin betonte zudem, dass eine durchgemachte Infektion nicht so effektiv vor weiteren Infektionen schütze wie eine Impfung. Eine gesellschaftliche Spaltung durch die Impfpflicht befürchtet Kappert-Gonther nicht. Vielmehr geht sie davon aus, dass eine „eindeutige und klare staatliche Regel, die für alle gleichermaßen gilt“, helfen könnte, eine gesellschaftliche Befriedung herbeizuführen. Sie helfe auch „innere Ambivalenzen zu überwinden“.

Union vermisst Richtungsvorgabe der Regierung

Der CDU-Abgeordnete und gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Tino Sorge, vermisst vor allem, dass in der Orientierungsdebatte keine Richtung des Bundeskanzlers oder Bundesgesundheitsministers vorgegeben wurde. Dies erinnere ihn an ein Versteckspiel: Man hoffe, dass irgendjemand ein Konzept vorlegt, wenn man nur lang genug wartet. Sorge selbst hat noch so einige Fragen zur Ausgestaltung einer Impfpflicht: So seien verfassungsrechtliche Voraussetzungen zu klären. Ebenso müsse es eine breitere Datengrundlage geben – über ein Impfregister müsse man daher sprechen. Letztlich, so Sorge, sei ein Kompromiss nötig. Zwar sei das Impfen das beste Instrument, um aus der Pandemie herauszukommen. „Aber so lange kein Instrument mit absolutem Schutz zur Verfügung steht, wäre auch eine absolute Impfpflicht der falsche Weg.“ Sorge plädierte für Pragmatismus statt Panik. Eine Impfpflicht werde nur akzeptiert, wenn sie nachvollziehbar und umsetzbar sei.

Von Aufklärungspflichten und anderen milderen Mitteln

Der Linke-Abgeordnete Gregor Gysi warnte dagegen vor einer Vertiefung der Spaltung der Gesellschaft. „Weil Impfen wichtig ist, müssen wir einen anderen Weg gehen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung!“ Statt einer Impfpflicht benötige man deutlich mehr Vertrauen. „Sonst wird die Demokratie immer mehr Schaden nehmen.“ Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Kathrin Vogler, erklärte hingegen, dass eine Impfpflicht zwar nur Ultima Ratio sein könne – aber als solche sei sie aus ihrer Sicht nicht nur verfassungsgemäß, sondern sogar „zwingend geboten, um andere Rechtsgüter zu schützen“.

Wolfgang Kubicki bekannte sich auch als Gegner der Impfpflicht ausdrücklich zum Impfen. „Es gibt gute Gründe für eine Impfung, die für eine Impfpflicht überzeugen mich nicht“, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende. Weder drohe ein Kollaps des Gesundheitssystems, noch könne eine Impfpflicht etwas zur Bewältigung der Omikron-Welle betragen. Es gehe bei der Debatte im Kern auch um den Minderheitenschutz, der durch eine Impfpflicht berührt werde. „Ich möchte jedenfalls nicht, dass die Mehrheit für die Minderheit festlegt, was man als vernünftig anzusehen hat, und was man nach Mehrheitsmeinung tun muss, um solidarisch zu sein.“

Können Arzneimittel die Diskussion überflüssig machen?

Bundesjustizminister Marco Buschmann plädierte dafür, vor einer Entscheidung über eine allgemeine Impfpflicht zunächst alle milderen Alternativen zu prüfen. „Ich traue mir da heute keine abschließende Meinung zu“, sagte der FDP-Abgeordnete. Es sei auch denkbar, dass sich die Frage durch wirksame Medikamente erledige.

Der FDP-Politiker und Arzt Andrew Ullmann plädierte dagegen für mehr Aufklärung. „Ein verpflichtendes professionelles und persönliches Beratungsgespräch für alle ungeimpften Erwachsenen in Deutschland ist notwendig.“ Sollte das nicht reichen, um die Impfquote zu erhöhen, müsse ein weiterer Schritt kommen: Zum Beispiel die Impfpflicht ab 50 Jahren – dies sei ein milderer Eingriff als eine allgemeine Impfpflicht.

Lauterbach: Jetzt für den Herbst handeln

Minister Lauterbach, der erst zum Ende der dreistündigen Debatte vors Rednerpult trat, warb sodann wieder eindringlich für das Impfen ab 18 Jahren und warnte davor, die Frage einer Impfpflicht jetzt nicht zu klären. Eine Umsetzung dauere mindestens fünf bis sechs Monate. „Wenn wir die Impfpflicht jetzt beschließen und dann umsetzen, dann sind wir im Herbst gerüstet. Wenn wir das Problem vor uns wegschieben, dann wird das Problem in voller Stärke zurückkommen.“ Dies könne man Kindern, Pflegekräften, Ärzten und gefährdeten Menschen nicht weiter zumuten. „Wir müssen handeln.“ Er betonte zudem, dass die Impfung nicht der Freiheit entgegenstehe. Vielmehr werde die Freiheit durch die Impfung zurückgewonnen.

Die AfD lehnte eine Impfpflicht sowohl für einzelne Berufsgruppen wie auch allgemein „vollständig“ ab – dazu hat die Fraktion auch einen Antrag vorgelegt. Fraktionschef Tino Chrupalla sagte, man sei an einem Punkt angelangt, an dem Impfstoffe schon fast eine religiöse Stellung erhielten. „Wer nicht glaubt und von seinem Grundrecht auf Selbstbestimmung Gebrauch macht, ist automatisch ausgeschlossen.“ Alice Weidel warnte: „Wenn der Staat sich anmaßt, über die Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch.“ Es gebe für eine Impfpflicht keine Rechtfertigung: „weder medizinisch, noch ethisch, noch juristisch“. Man müsse mit dem Virus leben.



Kirsten Sucker-Sket / dpa
redaktion@daz.online


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