Nachhaltige Apotheken-Praxis

Die (fast) klimaneutrale Offizin aus Holz

Stuttgart - 28.12.2021, 16:00 Uhr

Links die historische, rechts die neue Rhein-Apotheke in Kappel-Grafenhausen. Inzwischen ist auch der linke Gebäudeteil saniert worden und aus Vollholz gebaut. (x / Foto: Johannes Lehmann)

Links die historische, rechts die neue Rhein-Apotheke in Kappel-Grafenhausen. Inzwischen ist auch der linke Gebäudeteil saniert worden und aus Vollholz gebaut. (x / Foto: Johannes Lehmann)


Mit die größten Treiber der Klimakrise sind Stromversorgung und Baubranche. Johannes Lehmann baute seine Rhein-Apotheke so um, dass er seinen Strom selbstständig erwirtschaften kann – und sogar CO2 aus der Atmosphäre speichert. Damit folgt er einem Modell, für das auch Klimaforscher werben. Geht die Rechnung auf?

Johannes Lehmann wollte nicht nur seine Rhein-Apotheke in Kappel-Grafenhausen umbauen. Sein Ziel war es, eine Landapotheke zu errichten, die bereit für die Zukunft ist. Die erneuerte Apotheke, die nur 5 km vom Europapark Rust entfernt steht, ging im Jahr 2019 in Betrieb. „Betriebliche und persönliche Energiewende geschafft“, schrieb Lehmann auf Facebook.

Am Telefon sagt der Apotheker: Die drei Jahre des Umbaus haben Nerven gekostet. Doch es hat sich ausgezahlt. Während unseres Gesprächs ist in der Apotheke viel los. Die vierte Welle der Corona-Pandemie hält jede vollversorgende Apotheke in Atem. Aber diese Minuten nimmt sich Lehmann gern.

Das alte Gebäude, das noch vor fünf Jahren die „Rhein Apotheke“ beherbergte, stand einen Meter über dem Boden. Der Grund: Am Rhein baute man lange Zeit Gebäude mit hochgezogenem Kellergeschoss, um vor dem Hochwasser geschützt zu sein. Dadurch war die Apotheke nicht barrierefrei. Früher oder später musste eine Lösung her. Als Lehmann durch einen Zufall das Nebenhaus kaufen konnte, fasste er die Idee einer „neuen“ Rhein-Apotheke.

Das Nachbarhaus wich einem ebenerdigen Holzhaus, das heute der Offizin Raum gibt. Später vereinnahmten die Sanierungsarbeiten auch die ehemaligen Apothekenbetriebsräume, in denen heute ein Kommissionierer steht. Der Neubau aus Vollholz vereint die Grundstücke beider Häuser.

Unterschätzte CO2-Bilanz im Beton

Aber warum ausgerechnet Holz? Einer der am meisten unterschätzten Klimakiller könnten die Wände sein, die gerade rechts und links von Ihnen stehen, während Sie diesen Artikel lesen. Denn das Mauerwerk ist höchstwahrscheinlich aus Beton. Bei der Betonherstellung muss Zement gebrannt werden, ein Prozess, bei dem große Mengen Treibhausgas entstehen. Die Baubranche ist für etwa 8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Das ist mehr, als der Flugverkehr und Rechenzentren zusammen ausstoßen.

Das Bauen mit Holz gilt als einer der effektivsten Möglichkeiten, CO2 einzusparen, sagt Bundesverdienstkreuz-Träger Hans Joachim Schellnhuber. Er gilt als einer der weltweit renommiertesten Klimaforscher. Denn um Holz zu gewinnen, müssen Bäume wachsen. Und diese Bäume speichern CO2 aus der Luft. Wer das Holz nicht sofort wieder verbrennt, sondern als langlebige Möbelstücke oder als Haus nutzt, hat das Treibhausgas dauerhaft fixiert. Schellnhubers Appell: Zurück zum Holzhaus, zum Haus der Zukunft, das nachhaltig und zugleich ästhetisch ansprechend ist.

Die ökologische Rendite steigt

Apotheker Lehmann krempelte im Zuge des Umbaus seines Betriebs auch die Energieversorgung um. Die Photovoltaik-Anlage auf dem Dach und eine Grundwasserwärmepumpe versorgen das Haus und das Elektro-Auto für den Botendienst mit Energie. Das Grundwasser kümmert sich an warmen Tagen um die Kühlung des Warenlagers, nur bei extremer Hitze muss die Klimaanlage nachhelfen. Das deckt über die meiste Zeit des Jahres den Strombedarf der Offizin. Nur an dunklen Wintertagen reicht die Sonnen-Energie nicht ganz aus und etwas Ökostrom muss nachgekauft werden.

Am Telefon sagt er: „Eine der ersten Fragen, die ich regelmäßig gestellt bekomme, ist: Rechnet es sich denn?“ Seine Antwort: Bei solchen Vorhaben sei zunächst wichtig, die ökologische von der ökonomischen Rendite zu trennen. „Dadurch kann ich erstmal in Ruhe bewerten, was meine Maßnahme für den Klimaschutz leistet.“ Er rechnet vor: „Eine Kilowattstunde (kWh) Kohlestrom entspricht einem Kilogramm CO2. Wenn ich jährlich über das Grundwasser und die Sonne 17.000 kWh Strom erwirtschafte, erspare ich der Umwelt circa 17 Tonnen CO2.“ Somit ist klar: Schon nach wenigen Jahren ist die Ökobilanz der Photovoltaik- Module ausgeglichen, bei deren Herstellung ebenfalls CO2 frei wird.

Auch die neue Offizin der Rhein-Apotheke ist geprägt vom Rohstoff Holz. (Foto: Johannes Lehmann)

Unvorhersehbare Kostenentwicklung

Erst nach der Ökobilanz müsse man sich die Frage stellen, ob man sich so einen Umbau leisten kann – oder will. Hinsichtlich des Stroms ist eine wirtschaftliche Einschätzung schwer. „Niemand weiß, wie sich die Energie- und Benzinpreise in den nächsten Jahren entwickeln werden“, erklärt Lehmann. Jedenfalls fallen nach der Anschaffung der Photovoltaik-Anlage die Kosten für die Energieversorgung kaum noch ins Gewicht. Und gelassen blickt der Apotheker auf die Benzinpreise, die immer weiter steigen. „Zurzeit macht das Tanken unserer Botendienst-Autos über das Dach richtig Freude.“

Wer sein Gebäude klimaverträglich saniert, kann auf staatliche Fördermittel zurückgreifen. Für seine neue Apotheke sei Vollholz als Material nicht teurer gewesen als Beton, sagt Lehmann. Aber teurer als gedacht wurden die Vorkehrungen zum Brandschutz und ein ästhetisches „Update“, also die Holz-Fassade, mit der er seine Apotheke verkleidete. Nach dem Umbau entstanden über der Rhein-Apotheke vier Mietwohnungen, erzählt der Pharmazeut. „Ohne dies wäre das Haus als Landapotheke nicht finanzierbar gewesen.“

Der Apotheker fühlt sich bereit für die Zukunft. Ihm ist wichtig, nicht nur für die Gesundheit der Patienten einzustehen, sondern auch zum Klimaschutz beizutragen. Denn vor Ort heiße, für die Bewohner vor Ort da zu sein. Die Rhein-Apotheke soll damit auch ein Statement gegen die Mentalität des Online-Bestellens setzen.



Marius Penzel, Apotheker
redaktion@daz.online


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