Neue Corona-Variante noch nicht in Deutschland

Impfungen wohl weniger effektiv gegen neue Variante B.1.1.529

Stuttgart - 26.11.2021, 11:45 Uhr

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, Ziel müsse es sein, den Eintrag dieser Variante so weit wie möglich zu vermeiden. (x / Foto: Yingyaipumi / AdobeStock)

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, Ziel müsse es sein, den Eintrag dieser Variante so weit wie möglich zu vermeiden. (x / Foto: Yingyaipumi / AdobeStock)


Die derzeit in Europa vorherrschende Delta-Variante des Coronavirus bringt die Gesundheitssysteme und Impfkampagnen einiger Staaten bereits an ihre Grenzen. Jetzt spricht die Welt über eine neue Variante aus Südafrika: B.1.1.529. Was weiß man bereits über sie, und warum bereitet sie so große Sorge?

Die in Südafrika festgestellte neue Corona-Variante B.1.1.529 ist nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) bisher noch nicht in Deutschland entdeckt worden. „Bis halb 10 ist mir nicht bekannt, dass in Europa oder in Deutschland diese Variante bislang gefunden wurde“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler am Freitag in der Bundespressekonferenz in Berlin. Zugleich betonte er: „Wir sind tatsächlich in sehr großer Sorge.“

Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, Ziel müsse es sein, den Eintrag dieser Variante so weit wie möglich zu vermeiden. „Das ist das Letzte, was wir jetzt in unserer momentanen Lage noch brauchen können, dass in die Welle hinein noch eine zusätzliche Variante kommt.“ Spahn rief alle Menschen, die in den vergangenen Tagen aus Südafrika nach Deutschland gekommen sind, dazu auf, sich mit einem PCR-Test auf das Virus testen zu lassen. Deutschland wird Südafrika wegen der neu auftretenden Coronavirus-Variante B.1.1.529 zum Virusvariantengebiet erklären. Die Regelung trete in der Nacht zum Samstag in Kraft, Fluggesellschaften dürften dann nur noch deutsche Staatsbürger nach Deutschland befördern. 

Gegebenenfalls seien auch Nachbarländer Südafrikas betroffen. Wegen der Ausbreitung der neuen möglicherweise gefährlicheren Variante des Coronavirus will die EU-Kommission Reisen aus dem südlichen Afrika in die EU auf ein absolutes Minimum beschränken. Die Brüsseler Behörde werde den EU-Staaten vorschlagen, die dafür vorgesehene Notbremse auszulösen, um den Luftverkehr auszusetzen, teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Twitter mit. Die Echtheit des Tweets wurde der Deutschen Presse-Agentur bestätigt. Die EU-Staaten müssen darüber jetzt noch beraten und entscheiden. Rechtlich bindend wäre die Notbremse nicht, doch es wäre eine wichtige Richtungsentscheidung. Großbritannien und Israel hatten bereits vorsorglich den Flugverkehr in die Staaten der Region eingeschränkt.

Experten befürchten, dass die Variante B.1.1.529 wegen ungewöhnlich vieler Mutationen hoch ansteckend sein könnte und zudem den Schutzschild der Impfstoffe leichter durchdringen könnte. Das südafrikanische Institut für ansteckende Krankheiten NICD teilte am Donnerstag mit, es seien in Südafrika 22 Fälle der neuen Variante B.1.1.529 nachgewiesen worden. Mit mehr Fällen sei im Zuge der laufenden Genomanalysen zu rechnen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO untersucht bereits, ob B.1.1.529 als besorgniserregend eingestuft werden muss. Das sagte WHO-Expertin Maria van Kerkhove in einem Briefing. Es werde dabei auch untersucht, inwieweit die Variante Folgen für die Diagnostik, Therapien und die Impfkampagnen habe. „Es wird ein paar Wochen dauern, bis wir verstehen, welchen Einfluss diese Variante hat“, sagte Kerkhove.

Nach Ansicht eines britischen Experten sind die derzeit verfügbaren Corona-Impfstoffe „fast sicher“ weniger effektiv gegen die im südlichen Afrika entdeckte neue Variante B.1.1.529. Das sagte James Naismith, Professor für Strukturbiologie an der Universität Oxford, in der Radiosendung BBC 4 Today am Freitag. Ob die Variante auch leichter übertragbar sei, könne anhand der vorliegenden Daten bislang noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. „Wir vermuten das und es gibt einige frühe Daten“, fuhr Naismith fort. Sollte sich eine leichtere Übertragbarkeit bestätigen, sei es unvermeidlich, dass die Variante auch nach Großbritannien gelange, so der Experte weiter.

Besorgniserregendste Variante, die wir je gesehen haben?

Die Wissenschaftlerin Susan Hopkins vom Imperial College in London bezeichnete die neue Variante als „die besorgniserregendste, die wir je gesehen haben“. Die in Südafrika bislang festgestellte Übertragungsrate (R-Wert) liege bei 2. Das ähnele den Werten zu Beginn der Pandemie, so Hopkins im BBC-Radio. Noch seien mehr Daten notwendig, um zu einer abschließenden Bewertung zu kommen. Ein erneuter Anstieg von Infektionen in einem stark durchseuchten Land wie Südafrika lege jedoch nahe, dass dafür zumindest teilweise neue Variationen verantwortlich zu machen seien, fuhr Hopkins fort. Sollte sich eine höhere Übertragbarkeit bewahrheiten, würde die Variante „ein massives Problem“, da sie den in der Bevölkerung bestehenden Immunschutz umgehen könne.

Auch aus Sicht des südafrikanischen Virologen Shabir Madhi schützen herkömmliche Impfstoffe gegen die neue Corona-Variante B.1.1.529 nur bedingt. Dem TV-Sender eNCA in Johannesburg sagte er am Freitag: „Wir gehen davon aus, dass es noch einiges an Schutz gibt.“ Es sei aber wahrscheinlich, dass bisherige Impfstoffe weniger wirksam sein dürften.

Wir stehen an einer Kreuzung

RKI-Präsident Lothar Wieler hat die Politik eindringlich aufgefordert, gegen die immer drastischer um sich greifende Corona-Welle Maßnahmen zur sofortigen Kontaktreduzierung zu beschließen. „Wir brauchen eine massive Reduktion der Kontakte – jetzt sofort“, sagte der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) am Freitag in Berlin. „Ich erwarte jetzt von den Entscheidern, dass sie alle Maßnahmen einleiten, um gemeinsam die Fallzahlen herunterzubringen“, sagte Wieler. „Der kommende Winter hängt von unserem Verhalten ab und von der Entscheidung der Verantwortungsträger, kontaktreduzierende Maßnahmen zu erlassen.“

Wieler sagte: „Wir stehen an einer Kreuzung, wir haben eine Wahl. Wir können den Weg wählen, der ins Chaos führt und zu einem schlechten Ende.“ Der Tanker fahre dann gegen die Kaimauer. „Oder den, der das Gesundheitssystem entlastet und vielleicht ein friedliches Weihnachtsfest ermöglicht und auch noch viel mehr Menschen am Weihnachtstisch sitzen lässt.“

Angesichts von mehr als 100.000 Toten insgesamt und derzeit täglich mehr als 70.000 Neuinfektionen fragte Wieler: „Was muss denn noch geschehen, damit wir davon überzeugt sind, dass wir alle verfügbaren Maßnahmen einleiten müssen, um diese vierte Welle zu brechen?“

Derzeit würden die noch freien Intensivbetten in den Kliniken dadurch erkauft, dass planbare Operationen verschoben oder ausgesetzt werden. „Wenn die Infektionen nicht endlich massiv gebremst werden, dann wird natürlich die Versorgung in ganz Deutschland eingeschränkt sein.“



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