Eine Kolumne von #DerApotheker

Naturwissenschaftler statt Verkäufer: Über Evidenz am HV

11.12.2020, 17:50 Uhr

Setzen Apotheker, die aktiv Placebos anbieten, ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit aufs Spiel? Mit dieser Frage beschäftigt sich #DerApotheker in seiner aktuellen Kolumne. (Foto: besjunior / stock.adobe.com)

Setzen Apotheker, die aktiv Placebos anbieten, ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit aufs Spiel? Mit dieser Frage beschäftigt sich #DerApotheker in seiner aktuellen Kolumne. (Foto: besjunior / stock.adobe.com)


Keiner von uns mag es, für einen besser bezahlten Verkäufer gehalten zu werden. Wenn wir als das gesehen werden wollen, was wir sind – nämlich Fachleute für Arzneimittel –, sollten wir unser Wissen im Handverkauf nutzen, und zwar ohne Wenn und Aber. 

Guten Tag, ich leide unter XY, können Sie mir etwas empfehlen?” 

Guten Tag, kein Problem! Nehmen Sie einfach dieses Präparat hier!”

Dieses? Warum empfehlen Sie mir das? Das hat keine nachgewiesene Wirkung, das sollten doch gerade Sie als Apotheker wissen!”

Es hat vielleicht keine nachgewiesene Wirkung, aber mir hat es immer gut geholfen!”

Meine Follower auf Twitter berichten immer wieder, dass sie genau solche Dialoge in der Apotheke geführt haben und dass sie schwer enttäuscht davon waren: Offenbar nahm die Apothekerin oder der Apotheker ihr Anliegen nicht ernst und wollte sie nur mit einem Placebo abspeisen. Ich bin gerne Apotheker und deshalb kann ich es nicht leiden, wenn jemand ein schlechtes Bild von uns hat. Noch weniger kann ich es allerdings leiden, wenn das schlechte Bild gerechtfertigt ist. 

Keiner von uns mag es, für einen besser bezahlten Verkäufer gehalten zu werden. Nichts gegen Verkäufer, aber wir haben schließlich Pharmazie studiert, ein Studium, das wir ohne Verständnis für die Naturwissenschaften kaum bestehen könnten. Sicher, man könnte sich irgendwie durchmogeln und den Stoff hauptsächlich auswendig lernen, ohne ihn überhaupt verstanden zu haben. Die meisten von uns dürften aber nach dem Studium ein breitgefächertes naturwissenschaftliches Verständnis besitzen. Und genau das macht eine Apotheke zu einem Ort der Naturwissenschaften. Könnte man zumindest meinen.

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Leider ist das aber ganz und gar nicht so, denn die Apotheken sind voll mit Produkten, die höchstens auf dem Papier Arzneimittel sind und leider keine Wirkung aufweisen können, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Dass es solche Produkte überhaupt gibt, ist kein Wunder, denn schließlich lässt sich damit jede Menge Geld verdienen. Aber warum haben wir sie dann in der Apotheke? Weil wir damit auch jede Menge Geld verdienen wollen? Oder nur, weil die Kunden sie haben wollen? Sollten wir nicht eher von diesen Produkten abraten, statt sie aktiv zu empfehlen?

Mit Evidenz gegen die Onlineapotheken

Wenn wir als das gesehen werden wollen, was wir sind – nämlich Fachleute für Arzneimittel –, sollten wir unser Fachwissen im Handverkauf nutzen, und zwar ohne Wenn und Aber. Es liegt in unserem Interesse, dass sich Kunden hundertprozentig auf unsere Empfehlung verlassen können. Auf diese Weise können wir uns von den gefürchteten Arzneimittelversendern abgrenzen, denen das herzlich egal ist.

Wenn ein Kunde durch unsere evidenzbasierte Beratung ein Präparat nicht kauft und somit sein Geld nicht unnötig verschwendet, wird er uns dankbar sein und eher zurückkommen, als ein Kunde, dem wir etwas empfohlen haben, was sich später als teures Placebo-Präparat herausgestellt hat.

Ich hatte eine Kollegin, die sich immer extrem viel Zeit für ihre Kunden genommen hat, aber ein Großteil ihrer Beratungsgespräche endeten damit, dass der Kunde mit etwas nach Hause ging, das sie zwar als Arzneimittel bezeichnen würde, die Wissenschaft aber nicht. Qualität sollte immer über Quantität gehen. Nur so werden wir respektiert und als die Fachleute angesehen, die wir sind. Allerdings scheinen das nicht alle meiner Kolleginnen und Kollegen so zu sehen, da ich mich mit dieser Einstellung bei einigen von ihnen äußerst unbeliebt mache. Warum das so ist, konnte ich noch nie wirklich nachvollziehen.

In Liebe, #DerApotheker


#DerApotheker
redaktion@daz.online


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4 Kommentare

Genau das ist mein Anspruch aber...

von Christina Schuhen am 12.12.2020 um 19:44 Uhr

wie der Autor schon selbst sagt, die Apotheken sind voll mit Pflegeprodukten und NEMs, dass der eigentliche Grund für die Existenz von Apotheken für viele nicht mehr ist, als in ein besseres Verkaufshaus zu gehen, wo es so nebenbei auch Arzneimittel gibt. Ein grundlegendes Problem sehe ich darin, dass es existentiell für Apotheken ist, eine große Bandbreite von „Arzneimitteln“ anzubieten, da dies durch große Werbekampagnen der großen Player im Pharmabereich geradezu gefordert wird. Und das überträgt sich natürlich auf die Kundschaft, die dann in die Apotheke kommt und das beworbene Produkt kaufen will. Wie sähe denn der Verkaufsraum aus, wenn man alle Produkte ohne ausreichend Evidenz aus der Apotheke verbannen würde? Ich denke, da wäre nicht mehr so viel übrig. Ein wichtiger Schritt wäre es, aus diesem „Ich-muss-verkaufen-Zwang“ herauszukommen. Und da wären wir an dem Punkt, dass eine (evidenzbasierte) Beratung selbst als pharmazeutische Dienstleistung honoriert werden müsste. Kein wirklich neuer Ansatz aber solange der überwiegende Anteil an Einnahmen vieler Apotheken an eine Abgabe von Packungen gekoppelt ist, wird sich da nur schwer etwas ändern, schätze ich. Es müsste auch eine bundesweite, strenge Kontrolle der Fortbildungspflicht geben, denn da unterscheiden wir uns leider enorm von unseren ärztlichen Kollegen. Und dabei meine ich keine von Firmen beeinflusste Fortbildung. Ich hoffe, dass sich das Berufsfeld der Apotheke in meinem bald beginnenden Arbeitsleben weiterentwickelt und wir von Seiten der Politik Chancen bekommen - wie in anderen Ländern schon in manchen Bereichen Realität - zu zeigen, was Apotheker und PTA imstande sind, zu leisten, um die Bevölkerung gesund zu erhalten.

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Ja, Sie haben es ausgesprochen!

von Joachim Sievers am 12.12.2020 um 9:57 Uhr

Lieber Kollege,
ein Blick in die Offizinen, ein Blick in die Fortbildungsprogramme von Verbänden und Herstellern, in die Online-Angebote der Apotheken auf Twitter // Facebook // Instagram weist in die gleiche Richtung. Fragen Sie gute, hochmotivierte Auszubildende der pharmazeutischen Berufe nach physikalischen, chemischen, biologischen oder komplexeren Wissenschaften nach "basics", schauen Sie in irritierte Augen; hören Sie in Beratungsempfehlungen erfahrener Kollegen, wird das "Immunsystem gestärkt", eine "Mangelsituation ausgeglichen" oder "sanft "behandelt. Nicht wenige unseres Berufsstandes und auch der Ärzteschaft hängen pseudowissenschaftlichen oder esoterischen Überzeugungen unbedingt an,
Nicht das wir uns falsch verstehen: der Kunde // Patient // Ratsuchende ist durch eigene Meinungsbildung naturwissenschaftlich deratig deformiert, dass wir ihn und natürlich sie dort abholen dürfen und auch einen angepasste Sprechcode brauchen....aber am Ende des Gesprächs dürften keine Empfehlungen zur Entsäuerung, der Stoffwechselreinigung oder sonstigem Gedöns stehen..tun sie aber.

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hört hört!

von C.Lutsch am 12.12.2020 um 9:32 Uhr

Ein Kommentar, der mir aus der Seele spricht. Zwar will man (gewissen) Kollegen ungern auf den Schlips treten, schließlich sollten wir als Berufsgruppe zusammenhalten (und uns nicht "verstreiten" wie bspw. gewisse Nicht-/Anhänger einer gewissen alternativ-med. Methode innerhalb der Ärzteschaft); ich muss mich aber dafür bedanken, dass dieser Aspekt zumindest in diesem internen Medium angesprochen und hoffentlich auch diskutiert wird.

Ich bin überrascht, wie positiv das Feedback ist, wenn man Kunden aktiv von Ihrem selbst-recherchierten oder empfohlenen Wunsch ("der Oma, der Nachbarin meiner Tante hat es geholfen") abrät und aufklärt.

Sätze wie folgt, sind keine Seltenheit (zb wenn es du die vermeintlichen Vorteile von Ibu-Lysin bei Einnahme zu einer Mahlzeit geht = kein schnellerer Effekt, aber unnötige Kosten)
-Danke für die Ehrlichkeit
-Sie sind auf Zack
-Das hat mir noch keiner gesagt

Gerade Letzteres bringt mich und meine Apotheke dann in Verlegenheit. Warum hat man das dem (Stamm-)Kunden noch nie gesagt? Nach nur ein paar Jahren Berufserfahrung kann ich noch mit dem Punkt kommen, dass ich frisch aus der Ausbildung auf dem aktuellen Stand bin. Das wird aber nicht ewig meine Ausrede dafür sein können, dass Kunden jahrelang nicht optimal/evidenz-basiert beraten wurden und werden. Solche Dinge spreche ich in der Betriebsversammlung dann auch an, um eine einheitliche Linie innerhalb der Apotheke zu fahren.

Auch den Aspekt, dass sich eben jene selbst-informierte Kunden jeden Mist im Netz bestellen können, predige ich unentwegt. DAS ist unsere Chance, die wir tatsächlich ausspielen MÜSSEN.
Wenn wir nicht Lösungs-orientiert UND evidenzbasiert beraten, sondern ohne zu zögern Kunden-Wünsche herausgeben, unterscheidet sich die Vor-Ort-Apotheke nur in dem Punkt, dass es bei uns keine Versand-Wartezeit gibt.

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Gut umschifft

von Eckstein am 11.12.2020 um 19:08 Uhr

Ohne es explizit zu nennen, wissen wir doch alles um welchen Quatsch es hier geht. Das hat der Apotheker wirklich galant gelöst, ohne dabei bei den Quatschfirmen vor den Kopf zu stoßen. Er schreibt mir gerade bei diesem Thema wirklich aus der Seele, denn genau die Auffassung von Apotheke habe ich auch. Wir sind ein Ort der Naturwissenschaft und nicht des Glaubens an die "Placebo"-Produkte. Wir sollten mehr Wirksamkeit und weniger Versprechen an eine Wirkung verkaufen.

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