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- Alternativlos: Das RxVV
Vergangene Woche wurde eine Ausarbeitung des Deutschen Bundestages zur Vereinbarkeit eines deutschen Rx-Versandhandelsverbotes (RxVV) mit dem Unionsrecht bekannt. In einem sehr flapsigen Ton wurde dabei die juristische Auffassung vertreten, dass die Einführung eines Verbotes des Versandhandels mit Rx-Arzneimitteln „wohl als unverhältnismäßig und damit als ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit aus
Art. 34ff. AEUV zu bewerten“ sei. Leider verstehen die Juristen nicht, dass Arzneimittel ein besonderes Gut sind, meint Dr. Franz Stadler, Apotheker und Autor des kürzlich erschienen Buchs „Medikamenten Monopoly“.
Eigentlich gibt es zwei Ausarbeitungen der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages: Die bereits erwähnte des Fachbereichs Europa (PE 6 – 3000 – 068/20) und eine aus dem Fachbereich Gesundheit (WD 9 – 3000 – 067/20), die beide Anfang September erstellt und jetzt bekannt wurden. Fasst man beide gedanklich zusammen, ergibt sich folgendes Bild:
- Es ist unstrittig, dass ein deutsches RxVV einen Eingriff in die europäische Warenverkehrsfreiheit darstellt, was aber auch nie bezweifelt wurde.
- Grundsätzlich hat der EuGH den Mitgliedstaaten die Entscheidung über ein RxVV überlassen.
- Nur nicht-wirtschaftliche, nicht willkürlich diskriminierende, nicht verschleierte und verhältnismäßige Beschränkungen würden ein RxVV ausreichend begründen.
- Eine Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes ist nach Art. 36 AEUV zulässig.
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Rx-Versandverbot
Die Ausarbeitung des Fachbereiches Gesundheit (WD 9) liefert praktischerweise auch gleich die entsprechenden Belege für ein RxVV aus Gründen des Gesundheitsschutzes, werden doch ausführlich die geltenden Rahmenbedingungen gemäß Apothekengesetz (ApoG) und Apothekenbetriebsordnung (ApoBetrO) für den innerdeutschen Versandhandel aufgeführt:
- Es gilt das Gebot einer Präsenzapotheke (nur aus einer öffentlichen Apotheke heraus darf Versandhandel betrieben werden). Damit gelten für den Versandhandel automatisch auch alle für den Betrieb einer öffentlichen Apotheke geltenden Vorschriften (z. B. räumliche und personelle Ausstattung, Fremdbesitzverbot).
- Hinzu kommen einige Spezialvorschriften, die die inhaltlichen Anforderungen an ein Qualitätssicherungssystem regeln: Versendete Arzneimittel müssen so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass die Qualität und Wirksamkeit erhalten bleiben. Die Auslieferung darf nur an die angegebene Person und innerhalb von zwei Tagen erfolgen (ansonsten kostenfrei Zweitlieferung). Es muss eine Transportversicherung abgeschlossen und ein System zur Sendungsverfolgung unterhalten werden. Ggf. muss die Möglichkeit bestehen, bekannt gewordene Risiken auch an den Kunden zu melden. Ebenso muss die Beratung durch pharmazeutisches Personal in deutscher Sprache erfolgen.
- Diese Standards unterliegen nach AMG einer Überwachung durch deutsche Behörden. Es besteht eine Anzeigepflicht vor Aufnahme der Tätigkeit und der Überwachte hat zudem eine umfassende Duldungs- und Mitwirkungspflicht.
- Der Versand durch eine Apotheke eines EU-Mitgliedstaates muss entsprechend den deutschen Vorschriften erfolgen (§ 73 AMG).
Zusammenfassend stellt die Ausarbeitung auf Seite 9 fest, dass ausländische Versandapotheken an das deutsche Arzneimittelrecht, das Heilmittelwerberecht und an das Apothekenrecht vollständig gebunden sind. Diese Regelung dienen alle dem Gesundheitsschutz, sind diskriminierungsfrei, nicht verschleiert und wohl nach Ansicht des deutschen Gesetzgebers auch verhältnismäßig. Nicht zuletzt durch diese Rahmenbedingen sind wir bisher so gut durch die Corona-Pandemie gekommen.
Geht man nun über die beschriebenen rechtlichen Grundlagen hinaus und nähert sich der Realität, so wird schnell klar, wo die eigentlichen Probleme liegen: Niemand vergleicht die tatsächlichen Abläufe grenzüberschreitenden Versandhandels mit den gesetzlichen Anforderungen und niemand kann (und will?) ein Fehlverhalten feststellen und sanktionieren.
Die Lieferungen erfolgen unkontrolliert an den Endverbraucher
Die einzige, allerdings heftig umstrittene Grundlage, die eine Vergleichbarkeit der jeweiligen nationalen Standards mit den deutschen Sicherheitsanforderungen ohne Angabe der zugrundeliegenden Kriterien (!) postuliert, ist die sogenannte Länderliste, die zuletzt am 5. Juli 2011 (!!) vom Bundesministerium für Gesundheit bekannt gemacht wurde. Hier stellen sich allein schon die grundsätzlichen Fragen der Aktualität und der Hintergründe dieser Liste. Selbst die Ausarbeitung des Bundestages (WD 9) legt eine gerichtliche Einzelfallprüfung nahe – eine Empfehlung, die mir als Praktiker ziemlich realitätsfern erscheint und zudem möglicherweise Jahre in Anspruch nehmen dürfte. Bedenkt man ferner, dass in diesen Ländern keinerlei Kontrollen durch deutsche Behörden durchgeführt werden dürfen, hat das alles mit Arzneimittelsicherheit nichts mehr zu tun. Wer, welcher Abgeordnete, welcher Minister, welcher Standesvertreter, will und kann denn hierfür die Verantwortung übernehmen?
Umso hilfloser erscheint in diesem Zusammenhang der Versuch in der wissenschaftlichen Auswertung des Fachbereichs Europa (PE 6) auf ein klares RxVV zu verzichten. Man sucht verzweifelt nach milderen Mitteln, die erwartbare negative wirtschaftliche Auswirkungen auf die deutschen Vor-Ort-Apotheken abmildern sollen [z. B. Überführung der Preisbindung aus dem AMG (binnenmarktrelevant) ins Sozialrecht]. Dabei ist das, wie wir gelernt haben, nicht der Punkt.
Hingegen ist völlig klar, dass die Einhaltung deutscher Regelungen, die eindeutig dem Gesundheitsschutz der deutschen Bevölkerung dienen, in anderen EU-Ländern durch deutsche Behörden weder kontrolliert noch sanktioniert werden kann. Gerade beim Versand aus den Niederlanden werden viele sinnvolle deutsche Rahmenbedingungen seit Jahren eklatant verletzt (z. B. keine Präsenzapothekenpflicht, Fremdbesitz, kein Kontrahierungszwang, keine behördliche Kontrolle).
Was läuft schief bei der Überwachung niederländischer Arzneimittelversender?
Außer Kontrolle
Geradezu lächerlich wird die Argumentation spätestens, sobald der Nichteintritt der bereits im Jahr 2003 befürchteten negativen Folgen des Versandhandels in den vergangenen 16 Jahren postuliert wird. Erstens ist das eine reine Vermutung, da meines Erachtens keinerlei seriöse Studien dazu stattgefunden haben. Die Lieferungen erfolgen unkontrolliert an den Endverbraucher (!), der in aller Regel nicht in der Lage ist, Verletzungen der Arzneimittelsicherheit zu erkennen. Selbst beim Bottroper Zytoskandal blieben die fehlenden Wirkstoffe in den Infusionen jahrelang unentdeckt und erst ein Whistleblower beendete das unsägliche Treiben. Auch der Paketdienstfahrer wird die Folgen einer falschen Lagerung oder eines zu langen Transportes weder erkennen noch melden (wem auch?). Zweitens wird der Umfang grenzüberschreitenden Versandhandels mit der Einführung des E-Rezeptes deutlich an Umfang zunehmen. Es steht also zu befürchten, dass das Fehlen jeder Kontrolle sich künftig wesentlich stärker als bisher auf den Gesundheitsschutz der Bevölkerung auswirken wird.
Als letzter Punkt bleibt festzuhalten, dass grenzüberschreitender Versandhandel auch nicht, wie ebenfalls behauptet, notwendig ist, um die Zugänglichkeit zur Versorgung zu verbessern. Noch gibt es genügend Vor-Ort-Apotheken, die fast alle Botendienste betreiben. Sie unterliegen den deutschen Rahmenbedingungen und können sogar kontrolliert werden.
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Zusammenfassend ist festzustellen, dass es keinen einzigen plausiblen Grund gibt, den grenzüberschreitenden Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln fortzuführen. Hingegen gibt es eine Reihe von guten Gründen des Gesundheitsschutzes, diesen unkontrollierbaren, finanzgetriebenen Handel zu verbieten. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel hat wiederholt die Auffassung geäußert, dass Gesundheitspolitik Sache der Mitgliedstaaten der EU bleiben soll. Der freie Warenverkehr innerhalb Europas steht eben nicht über der Arzneimittelsicherheit.
Deshalb ist das RxVV alternativlos!
Buchtipp
von Franz Stadler
Medikamenten-Monopoly
Die unheilvolle Welt der Arzneimittelgeschäfte
Der sorglose, fast spielerische, von Geldgier getriebene Umgang, also das Medikamenten Monopoly, bedroht zunehmend die Sicherheit unserer Arzneimittelversorgung. Das ist die Kernthese des kürzlich im Murmann-Verlag erschienen gleichnamigen Buches von Dr. Franz Stadler.
2 Kommentare
RxVV jetztr
von Monika Schübel am 21.10.2020 um 22:19 Uhr
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RxVV jetzt
von Dr. Thomas Wellenhofer am 21.10.2020 um 12:30 Uhr
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