Wie Corona die Apothekenwelt verändert (Teil 1)

Mehr Rezept-Rechte für Apotheker in vielen Ländern

Berlin - 20.05.2020, 14:45 Uhr

Apotheker in ganz Europa (hier ein Beispielfoto aus Frankreich) haben durch die Ausbreitung des Coronavirus mehr Rechte, aber auch teils mehr Pflichten bekommen. DAZ.online bietet einen europäischen Überblick über die Änderungen in den Apothekenmärkten. (Foto: imago images / Lucas)

Apotheker in ganz Europa (hier ein Beispielfoto aus Frankreich) haben durch die Ausbreitung des Coronavirus mehr Rechte, aber auch teils mehr Pflichten bekommen. DAZ.online bietet einen europäischen Überblick über die Änderungen in den Apothekenmärkten. (Foto: imago images / Lucas)


Der Umgang mit dem Coronavirus hat den Apothekenmarkt verändert. Die Botendienst-Vergütung und Flexibilisierung der Rabattverträge sind Beispiele dafür. DAZ.online hat sich mithilfe des EU-Apothekerverbands PGEU in Europa umgeschaut: Inwiefern wurden die Apothekensystem in den vergangenen Wochen angepasst? In einer neuen Mini-Serie wollen wir zeigen, dass sich Erhebliches getan hat: Kompetenzerweiterungen, Zusatz-Vergütungen und neue Abgaberechte. Im ersten Teil geht es um neue Versorgungsmöglichkeiten für Apotheker, etwa Folgerezepte oder Dauerverordnungen.

Die teils rasante Ausbreitung des Coronavirus hat zu vielen Veränderungen in den Gesundheitssystemen auf der ganzen Welt geführt. Allein das Beispiel Deutschland zeigt, wie viel sich in sehr kurzer Zeit getan hat. Die Regelungskompetenzen des Bundesgesundheitsministeriums wurden vom Bundestag zudem massiv ausgeweitet. Derzeit kann das BMG in fast allen Versorgungsbereichen per Verordnung Regelungen umstellen oder neu einführen, die dazu beitragen, dass das Virus eingedämmt wird. So wurden jetzt schon teils Jahrzehnte alte Regelungen über den Haufen geworfen beziehungsweise flexibilisiert. Ärzte können per Telefon krankschreiben, führen mehr Online-Sprechstunden durch, Apotheker dürfen auch nicht-rabattierte Arzneimittel abgeben und bieten vergütete Botendienste an.

Aber nicht nur in Deutschland hat die Regierung mit einer Flexibilisierung des Gesundheitswesens auf das Virus reagiert. DAZ.online hat sich mithilfe von Daten des EU-Apothekerverbands PGEU in anderen europäischen Ländern umgeschaut. Die Recherche zeigt, dass sich viel getan hat in der Arzneimittelversorgung – teils bekommen die Apotheker mehr Geld für neue Dienstleistungen, teils dürfen sie aber auch neue Services anbieten. Ein erstes Beispiel sind neue Rechte für Apotheker in der Versorgung Rx-Patienten. Hier ein Überblick:

Frankreich: Am 15. März ist im Amtsblatt Frankreichs ein Dekret veröffentlicht worden und somit in Kraft getreten, wonach die Pharmazeuten Menschen mit chronischen Krankheiten mit einem Folgemedikament beliefern können, ohne dass ein neuer Arztbesuch nötig ist. Die Regel sieht vor, dass Apotheker dem Patienten auch mehr als nur eine Packung des jeweils verordneten Arzneimittels mitgeben. Die Bevorratung der Patienten soll so bis Ende Mai sichergestellt werden, erst im Juni benötigen die Patienten somit ein neues Rezept. Ausgeschlossen sind lediglich Betäubungsmittel. Der Apotheker muss den Arzt des Patienten über diese außergewöhnliche Versorgung allerdings informieren.

Irland: In Irland hat die Regierung gleich mehrere Umstellungen am Verordnungssystem vorgenommen. Zunächst wurde die maximale Gültigkeit von Arzneimittel-Verordnungen von sechs auf neun Monate hochgestuft. Heißt konkret: Ärzte können Chronikern Dauerrezepte verschreiben, die dann erst nach neun Monaten neu ausgestellt werden müssen. Gleichzeitig hat die Regierung mit den „Medicinal Products Regulations“ kurzum das E-Rezept eingeführt. Die Verordnungen können nun über einen sicheren Server des Gesundheitsdiensts HSE an Apotheken weitergeleitet werden. Außerdem gab es weitere Regelungen, die es Apothekern auch bei Nicht-Chronikern ermöglichen, Folgerezepte ohne einen zusätzlichen Arztbesuch auszustellen.

Folgerezepte und Dauerverordnungen in mehreren Ländern

Polen: In Polen haben die Apotheker kurzerhand die Möglichkeit bekommen, in gewissen Fällen selbst Rezepte auszustellen. Konkret gilt seit dem 31. März die Regelung, dass Apotheker Patienten Rx-Arzneimittel aus bestimmten Medikationslisten selbst verordnen und abgeben können. Ausgeschlossen von dieser Möglichkeit sind beispielsweise Betäubungs- und Schlafmittel und alle Arzneimittel mit Suchtpotenzial, die in bestimmten Listen stehen. Die Apotheker sind auch dazu ermächtigt, direkte Familienmitglieder ihrer Patienten temporär mit Arzneimittel zu versorgen, wenn diese gerade nicht zum Arzt gehen können. Außerdem können Apotheker abweichend von den ärztlichen Verordnungen auch größere Packungsgrößen mitgeben, um unnötige Arzt- und Apothekenbesuche zu vermeiden.

Portugal: Auch in Portugal haben die Apotheker durch eine Ausnahmegenehmigung der Regierung das Recht erhalten, Patienten zur Not ohne Rezept zu versorgen. Konkret sind nur der Apothekenleiter oder ein von ihm beauftragter Apotheker dazu befähigt, einem Patienten sein Rx-Arzneimittel ohne Verordnung mitzugeben. Damit soll die Zahl der Arztbesuche verringert werden. Die mitgegebene Menge darf allerdings einen Versorgungszeitraum von drei Monaten nicht überschreiten, außerdem muss alles genau dokumentiert werden. Der Patient muss dem Apotheker glaubhaft nachweisen, dass er an einer chronischen Krankheit leidet, beispielsweise mit einer Patientenakte oder mit der Kopie eines älteren, schon belieferten Rezepts.

Spanien: Ebenfalls per Dekret hat die spanische Regierung diverse Maßnahmen beschlossen, mit denen das Infektionsrisiko im öffentlichen Leben verringert werden soll. In Spanien gibt es schon seit Jahren mehrere digitale Versorgungskomponenten im Gesundheitswesen. Unter anderem werden schon länger E-Rezepte ausgestellt. Chronisch kranken Patienten wurde es nun ermöglicht, dass sie für ein Folgerezept nicht mehr beim Arzt vorsprechen müssen, sondern ein Besuch in der Apotheke reicht. Mit einem Blick in die E-Patientenakte des Patienten kann der Apotheker dann während der Coronakrise selbst ein Arzneimittel abgeben, ohne dass ein neues E-Rezept eingestellt werden muss. Des Weiteren sollen Apotheker laut einer Anweisung des Gesundheitsministeriums Patienten in Quarantäne oder mit einem bestimmten Risikofaktor per Botendienst versorgen.

Vereinigtes Königreich: Ende April verabschiedete die britische Regierung ein Vorhaben, das es Apothekern ermöglicht, bestimmte Arzneimittel an Patienten abzugeben, ohne dass diese ein Folgerezept vorlegen müssen. Dazu müssen allerdings eine Reihe von Bedingungen erfüllt sein: Im betroffenen Gebiet des Patienten müssen aufgrund der Coronakrise mehrere Arztpraxen geschlossen sein, außerdem muss es sich um eine Medikation handeln, die nicht ausgesetzt werden darf, ohne dass ein gesundheitliches Risiko für den Patienten droht. Des Weiteren haben Apotheker seitdem die Möglichkeit, die Dauer einer Verordnung – nach Rücksprache mit einem Arzt – zu ändern. So soll es gewissen Chronikern ermöglicht werden, dass sie erst zu einem späteren Zeitpunkt für ein Folgerezept zum Arzt müssen.

Das war der erste Teil der Mini-Serie „Wie Corona die Apothekenwelt verändert“. Im zweiten Teil geht es um neue Liefer-Services der Apotheker in Europa sowie Telepharmazie.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Was wir alles dürfen

von Bernd Küsgens am 21.05.2020 um 19:33 Uhr

Da kann man mal sehen, wie in anderen Ländern die Apotheker wertgeschätzt werden. Nur in D. sind die KK der Meinung, das Apotheker eigentlich nur noch Schraubenzieher sind die sowieso zuviel Geld bekommen.

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