28. NZW Hamburg: DAK zu Lieferengpässen

„Wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“

Hamburg - 27.01.2020, 16:35 Uhr

Wer glaubt, Lieferengpässe kämen durch Rabattverträge, glaube auch, der Schwanz wedele mit dem Hund. Das erklärte DAK-Funktionär Dr. Detlev Parow beim 28. NZW am Wochenende in Hamburg. (Foto: picture alliance / Arco Images GmbH)

Wer glaubt, Lieferengpässe kämen durch Rabattverträge, glaube auch, der Schwanz wedele mit dem Hund. Das erklärte DAK-Funktionär Dr. Detlev Parow beim 28. NZW am Wochenende in Hamburg. (Foto: picture alliance / Arco Images GmbH)


Wer glaubt, Rabattverträge seien schuld an Lieferengpässen, der glaube auch, der Schwanz wedele mit dem Hund. Unter anderem mit dieser Aussage irritierte Detlev Parow von der DAK am Wochenende beim NZW in Hamburg. So erweckte er anfangs den Eindruck, Lieferengpässe in Deutschland führten nicht zu Mangelversorgung und seien damit halb so wild. Zwar rückte der Arzt dieses Bild wieder zurecht. Haften blieb, dass Engpässe der Preis der Globalisierung sind, die auch vor der „grünen Wiese der Arzneimittel“ keinen Halt machten und folglich auch nicht durch geänderte deutsche Rahmenbedingungen gelöst würden.

„Ich spreche nicht von Mangelversorgung, ich spreche von Lieferengpässen – ich habe in Afrika gearbeitet, von Mangelversorgung sind wir hier meilenweit entfernt“, erklärt Dr. Detlev Parow. Der Mediziner ist Bereichsleiter Hilfsmittel, Arzneimittel und Selektivverträge bei der DAK und war Gast beim 28. NZW am Wochenende in Hamburg. Er wolle Lieferengpässe nicht wegdiskutieren: „Wir haben Lieferengpässe“, einige seien auch versorgungsrelevant, manche durchaus, insbesondere in der Onkologie, „patientenkritisch“. Doch: „Nicht jeder Engpass ist ein Versorgungsengpass“. Und Rabattverträge seien sicherlich nicht die Ursache dafür, gibt er sich überzeugt, eher der Sündenbock.

Denn die gegenwärtige Diskussion um Lieferengpässe wird Parows Ansicht nach zu „pauschal und eindimensional geführt“, es werde mit „Ladenhütern oder ollen Kamellen gehandelt“, und man nutze schlicht die gegenwärtige Situation, um endlich einmal „all die Dinge zu sagen, die man schon immer einmal sagen wollte und die einen immer schon gestört haben“, so sein Eindruck.

Rabattverträge und Produktionsort: So einfach ist es nicht!

Gemeinhin werde medial vermittelt, ein „simples Rezept“ – Rückverlagerung der Arzneimittel-Produktion nach Europa und Umstrukturierung der Rabattverträge – beseitige alle Lieferengpässe, man müsse nur an diesen beiden Stellschrauben drehen und die Welt sei wieder in Ordnung. „Wir, die Krankenkassen, sind die bösen Buben, doch so einfach ist es nicht“, konstatiert der DAK-Funktionär.

Rabattverträge können nicht schuld an den Engpässen sein

Bei Rabattverträgen liege der „Ultrafokus“ auf Vereinbarungen, bei denen nur ein Hersteller den Zuschlag erhalten habe. Man hört die Forderung, dass es mindestens drei Hersteller und zwei Wirkstoffanbieter sein müssten, um Engpässe zu vermeiden. Nach Ansicht von Parow kann in den Rabattverträgen der Hund jedoch gar nicht begraben liegen, schließlich seien auch Arzneimittel nicht verfügbar, für die keine Rabattverträge bestehen: „Rabattverträge für Arzneimittel zur parenteralen Anwendung, insbesondere in der Onkologie, da müssen Sie schon lange suchen, bis Sie überhaupt etwas finden“, folglich seien Rabattverträge „mit Sicherheit nicht der Treiber" für Engpässe, ist Parow überzeugt.

Parenterale Zytostatika: keine Rabattverträge, aber Hilfstaxe

Hier könnte man jedoch entgegenhalten, dass bei Parenteralia in der Onkologie zwar keine Rabattverträge anhängig sind, allerdings die Hilfstaxe vielleicht als vergleichbar enges Korsett die Preisbildung dieser Arzneimittel regelt.

Rabattarzneimittel machen den Kohl nicht fett

Bestätigt sieht er seine These außerdem dadurch, dass auch vorwiegend krankenhausrelevante Arzneimittel – wie Piperacillin/Tazobactam – von Engpässen nicht verschont blieben. Und „im Krankenhaus gelten keine Rabattverträge, Krankenhäuser verhandeln ihre Preise mit den Herstellern selbst“, sieht er sich bestätigt.

Zudem machten Rabattarzneimittel – auf den weltweiten Arzneimittelumsatz bezogen – nur einen wohl vernachlässigbaren Anteil aus. Die weltweiten Arzneimittel-Umsätze belaufen sich laut Parow auf 948 Milliarden Euro pro Jahr, in Deutschland auf 41,5 Milliarden Euro. Die Arzneimittelausgaben der GKV liegen nach Zahlen des DAK-Funktionärs bei 38,7 Milliarden Euro mit einem Generika-Umsatzanteil von 29,4 Prozent, was absolut 11,4 Milliarden Euro entspricht. 
Das Rabattvertragsvolumen liege bei 10,2 Milliarden (1 Prozent des weltweiten Umsatzes), wobei 31,1 Prozent hier Ein-Partnermodelle seien, also rund drei Milliarden Euro.

„Wer jetzt ernsthaft der Meinung ist, drei Milliarden würden die Welt verrückt machen, der glaubt auch, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt.“ Das sei allenfalls „Grundrauschen, aber bestimmt nicht die Musik“, ist Parow überzeugt.

Der DAK-Funktionär erklärt:


Wir sehen überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Rabattverträgen und Lieferengpässen, irgendwelche Veränderungen in diesem Bereich lehnen wir ab“.

Dr. Detlev Parow, Bereichsleiter Hilfsmittel, Arzneimittel und Selektivverträge bei der DAK


Auch die Wirkstoffproduktion in Fernost könne nicht schuld an der angespannten Liefersituationen sein, so habe Pfizer jüngst einen Engpass bei Daunorubicin eingeräumt – und Pfizer produziere in Italien. 

Arzneimittelengpässe als lästiges Beiwerk der Globalisierung?

Das eigentliche Thema, das hinter den Engpässen stehe, sei die Globalisierung, die man in allen Bereichen  beobachte – bei Laufschuhen genauso wie bei Waschmaschinen – und die auch vor dem Arzneimittelmarkt keinen Halt mache. „Alles in unserem täglichen Leben kommt aus Fernost – wir nutzen es, wir leben damit, und natürlich macht das auch bei Arzneimitteln keinen keinen Unterschied“, der Markt funktioniere doch nicht anders „auf der grünen Wiese der Arzneimittel“, ist Parow überzeugt. Belege für seine Einschätzung sieht er in einer Aussage des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI): „Der Hauptgrund für mögliche Lieferschwierigkeiten ist die weltweite Konzentration der Wirkstoffproduktion und diese ist dem globalen Kostendruck im Gesundheitswesen geschuldet“, zitiert Parow. Die Frage, ob die globale Tatsache davon entbindet, national zumindest Lösungsansätze zu suchen, ließ er unbeantwortet. 

Arzneimittelversorgung gut in Deutschland

Grundsätzlich sei die Arzneimittelversorgung in Deutschland gut, „sie ist eine der fortschrittlichsten und führenden in Europa“, ist der DAK-Vertreter vom hiesigen Gesundheitssystem überzeugt.

Wie gut die Arzneimittelversorgung klappt, sieht der DAK-Vertreter unter anderem darin bestätigt, wie schnell Arzneimittel verfügbar sind. „93 Prozent aller Orphan Drugs sind innerhalb eines Monat nach Zulassung auf dem Markt“, 95 Prozent aller Nicht-Orphans nach zwei Monaten. So seien Kymriah und Yescarta bereits nach 19 Tagen und 65 Tagen im Markt verfügbar gewesen, konnten angewendet werden und wurden erstattet. „Alle Arzneimittel, die von der EMA geprüft und von der Europäischen Kommission zugelassen wurden, erstattet die GKV.“

Deutschland stehe an vierter Stelle weltweit, was die Pro-Kopf-Ausgaben bei Arzneimitteln betreffe, in Europa lägen alle Länder – außer der Schweiz – hinter Deutschland. An absolut erster Stelle weltweit liegt Deutschland nach Auskunft von Parow bei dem Anteil der Arzneimittelausgaben, der von der Krankenversicherung getragen werde. Das bedeute Umsatzsicherheit für Pharmahersteller und mache Deutschland zu einem attraktiven Markt.

Inwiefern vielleicht auch asiatische Märkte an Attraktivität gewinnen, wenn Menschen dort zunehmend das Potenzial westlicher Arzneimittel erfahren und in den Krankenhäusern sodann unter Umständen höhere Gewinne erzielt werden können als in Deutschland oder Europa, diese Überlegung kam zwar auf, wurde jedoch nicht weiter diskutiert 

Komplexes Problem

Abschließend gibt sich der DAK-Funktionär versöhnlich und betont: „Meine Botschaft ist nicht, es ist alles halb so schlimm, stellt euch nicht so an“, aber Lieferengpässe seien komplex und bedürften daher einer vernünftigen Diskussion und einer vernünftigen Lösung. Vielleicht ist man beim 29. NZW in Hamburg da dann weiter.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

meilenweit entfernt

von Pille62 am 28.01.2020 um 9:12 Uhr

..... soso den Krankenkassen reicht es also etwas besser zu sein, als Schwarzafrika!!!
Naja dann verwundert es ja nicht , das wir in vielen Bereichen der Gesundheit auf dem Zahnfleisch kriechen. Ausser im Bereich der Krankenkassen, da sind wir Spitze, die meisten Kassen zur Auswahl, die vermutlich die meisten Mitarbeiter, die höchsten Verwaltungskosten und teuersten Immobilien in EU- Europa.
Denn ein schöner Ausblick, pompöse Büros, billiges hochwertiges Essen in der Kantine, sorglose Rente sind natürlich für deutsche Krankenkassenmirarbeiter ein muss.
Ich weiß, Augen auf bei der Berufswahl, kein Populismus u.s.w.
All
Vermutlich das meiste

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Schuldig sind die ... die nicht wissen was sie tun und es dann noch erklären wollen ...

von Christian Timme am 28.01.2020 um 7:55 Uhr

Wenn ein Doktor der Medizin, der es schon mal nach Afrika geschafft hat, dem Rest der Welt die Globalisierung anhand der DAK-Rabattverträge nicht erklären kann ... liegt das nicht an diesem armen Mann ... führende Ökonomen ... könnten es auch nicht.

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Wes Geld ich nehm

von ratatosk am 27.01.2020 um 18:41 Uhr

Erstaunlich, wie man sich verbiegen kann ! Erstaunlich auch, daß die deutschen Arzneimittelumsätze so gering seien, sonst sind die an allem Schuld. Billige Phrasen um die Verantwortung an den Problemen zu verschleiern. Aber die Umtriebe der DAK sind ja auch im Bereich Retax legendär. Seriös geht anders
Oder der Herr hat keine Ahnung, dann sollte er sich an der Diskussion um so wichtige Probleme nicht beteiligen. Toll auch der Vergleich mit Afrika - klar dort gibt es weit schlimmere Probleme, aber es ist schon erstaunlich welche Meßlatte DAK Apparatschicks anlegen.

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