Zuckersüßes Beratungswissen – Teil 2

Glucose-Fructose-Gemische – das Spiel mit Unbekannten

Stuttgart - 22.01.2020, 07:00 Uhr

Glucose-Fructose-Sirup ist in vielen Lebensmitteln zur Süßung enthalten. Wie viel der jeweiligen Komponenten Glucose und Fructose dann jedoch drin ist, weiß man meist nicht. Dabei gibt es durchaus Risiken bei zu hohem Fructose-Konsum. (Foto: privat)

Glucose-Fructose-Sirup ist in vielen Lebensmitteln zur Süßung enthalten. Wie viel der jeweiligen Komponenten Glucose und Fructose dann jedoch drin ist, weiß man meist nicht. Dabei gibt es durchaus Risiken bei zu hohem Fructose-Konsum. (Foto: privat)


Aus Zuckerrüben gewonnener Haushaltszucker, die Saccharose, ist chemisch gesehen ein Zweifachzucker – zusammengesetzt aus Glucose und Fructose. Die industriell hergestellte Isoglucose, ein Glucose-Fructose-Gemisch, enthält ebenfalls Glucose und Fructose. Wo ist der Unterschied? 

Unser Haushaltszucker wird auch Rübenzucker oder Rohrzucker genannt, je nachdem, ob er aus Zuckerrüben oder aus Zuckerrohr gewonnen wird. In Europa kommt mehrheitlich Rübenzucker in den Handel. Wenn von Raffinadezucker oder raffiniertem Zucker die Rede ist, bedeutet das: Der aus der Zuckerrübe gewonnene Zucker ist befreit und gereinigt von sonstigen in der Rübe vorhandenen Stoffen, es handelt sich um den reinen Zucker. „Raffination“ ist ganz allgemein die Bezeichnung für ein technisches Verfahren, das einen Rohstoff reinigt und konzentriert.

Saccharose – ein Zweifachzucker

Haushaltszucker besteht aus Saccharose. Das Saccharose-Molekül ist ein Dissacharid (= Zweifachzucker), in dem je ein Glucose- und ein Fructose-Molekül chemisch miteinander verbunden sind. Die beiden Anteile Glucose und Fructose liegen im Haushaltszucker in kristalliner Form vor, und zwar im verlässlichen Mengenverhältnis 1:1.

Isoglucose ist variabel

Die industriell aus zucker- und stärkehaltigen pflanzlichem Material hergestellte Isoglucose enthält ein Gemisch aus den Monosacchariden (= Einfachzuckern) Glucose und Fructose, die isoliert vorliegen, also nicht wie im Saccharose-Molekül miteinander verbunden sind. In den USA trägt Isoglucose den Namen High Fructose Corn Syrup, abgekürzt HFCS, weil er aus (meist gentechnisch verändertem) Mais hergestellt wird. HFCS ist in den USA das mengenmäßig wichtigste Süßungsmittel in der menschlichen Ernährung. In Europa ist für die Isoglucose auch die Bezeichnung Glucose-Fructose-Sirup beziehungseise Fructose-Glucose-Sirup gebräuchlich, je nachdem, welcher Zucker in größerer Menge vorliegt.

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Und damit sind wir schon bei einem ganz wichtigen Unterschied zum Haushaltszucker angekommen: In den industriell hergestellten Glucose-Fructose-Gemischen liegen Glucose und Fructose nicht im Verhältnis 1:1 vor, sondern in variablen Mengen. Charakteristisch für Isoglucose ist ein erhöhter Fructose-Anteil, der sich zwischen 55 und sogar bis hin zu über 90 Prozent bewegen kann. In manchen Zutatenlisten von Lebensmitteln findet man auch die Angabe „Invertzucker“ oder „Invertzuckersirup“. Dieser unterscheidet sich von Isoglucose durch das Herstellungsverfahren. Es handelt sich aber ebenso um ein Glucose-Fructose-Gemisch mit unterschiedlichen Anteilen beider Komponenten.

Saccharose und Isoglucose – wo liegen Risiken?

Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat im Jahr 2018 eine Bewertung veröffentlicht, die das Gefährdungspotenzial von Isoglucose und Saccharose für die menschliche Gesundheit beurteilt. Anlass waren gesetzliche Änderungen innerhalb der EU, die eine höhere Einfuhr von (überwiegend aus Maisabfällen) in den USA gewonnenen Fructose-Glucose-Sirup erlaubt. Bis Oktober 2017 gab es eine Quotenregelung auf dem EU-Zuckermarkt, der den US-Import begrenzte, um die europäischen Zuckerrübenbauern zu schützen. Die berechtigte Sorge vor einer Schwemme des amerikanischen, stark fructosefhaltigem Maissirup auf den europäischen Lebensmittelmarkt und das zunehmende Wissen über die Gesundheitsgefahren durch überhöhten Fructose-Verzehr ließ das Bundesinstitut für Risikobewertung aktiv werden. Doch die Warnung fällt moderat aus. Amtlicherseits vertritt man folgende Meinung: Solange in den industriell hergestellten Glucose-Fructose-Mischungen die einzelnen Bestandteile Glucose und Fructose in gleicher Menge vorliegen wie im Haushaltszucker, seien auch die Auswirkungen auf die Gesundheit vergleichbar. Voraussetzung allerdings sei – und jetzt sollte man genau lesen –, dass sich die Verzehrmenge an zugesetztem Zucker in der Ernährung nicht nennenswert erhöht. Dazu sollte man wissen, dass der Pro-Kopf-Zuckerkonsum in Deutschland bereits jetzt deutlich über der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Menge liegt.

Tägliches Zuckerlimit: 250 ml Apfelsaft und 50 g Schokolade

Der ursächliche Zusammenhang zwischen der Aufnahme von zugesetztem Zucker in verarbeiteten Lebensmitteln und das Entstehen von Übergewicht und Adipositas, kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes gilt bei der WHO als gesichert. Um das Risiko einer ungesunden Gewichtszunahme und auch von Karies zu verringern, empfiehlt die WHO, in jedem Lebensalter die Aufnahme an „freiem Zucker“ auf unter 10 Prozent der benötigten Energiemenge zu begrenzen. Für einen Erwachsenen mit einem Kalorienbedarf von 2000 kcal entspricht das nicht mehr als 50 Gramm Zucker = 10 Teelöffel pro Tag. Mit „freiem Zucker“ sind alle Zuckerarten gemeint, die Speisen und Getränken zugefügt werden, eingeschlossen dem Zucker, der in Honig, Sirup, Fruchtsäften vorliegt. Praktisches Beispiel: 100 ml Apfelsaft enthalten 11 g Zucker. Wer 250 ml Apfelsaft trinkt (= ca. 27 Gramm Zucker) und dann noch 50 g Schokolade (= ca. 27 Gramm Zucker) isst, hat das WHO-Tageslimit für Zucker bereits überschritten.

Isoglucose: Fructose-Anteil variabel

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt: „Mit Zucker gesüßte Lebensmittel und Getränke sind nicht empfehlenswert. Vermeiden Sie diese möglichst und setzen Sie Zucker sparsam ein.“ Dass wir von diesen Empfehlungen in unserem Alltag weit entfernt sind und viel zu viel Zucker aufnehmen, ist die eine Sache. Der entscheidende Knackpunkt im Zusammenhang mit den Glucose-Fructose-Gemischen ist allerdings noch ein anderer: Es geht darum, dass das Verhältnis der Glucose-Fructose-Anteile in Isoglucose variabel ist und nicht (!) deklariert werden muss. Sollte die Lebensmittelindustrie ihren Produkten ein Zuckergemisch mit deutlich höherem Anteil an Fructose zusetzen, hat auch das Bundesinstitut für Risikobewertung seine Bedenken. In seiner offiziellen Bewertung zu Isoglucose weist das Amt darauf hin, dass der Verzehr hoher Mengen an Fructose ungünstige Auswirkungen auf den menschlichen Stoffwechsel haben kann: „Konkret geht es um eine mögliche Begünstigung des metabolischen Syndroms sowie von Fettstoffwechselstörungen, Fettleber, Adipositas und Diabetes mellitus Typ 2.“

Die Risiken und Nebenwirkungen eines zu hohen Fructose-Verzehrs finden Sie im ersten Kapitel unserer Serie Zuckersüßes Beratungswissen – Fructose: süße Gefahr beschrieben.

Berechtigte Sorgen der Apotheker

Auf dem Deutschen Apothekertag in Düsseldorf im September 2019 wurde ein Antrag verabschiedet, der sich mit der Problematik von Isoglucose in Lebensmitteln beschäftigt. Die Apothekerschaft fordert den Gesetz- beziehungsweise Verordnungsgeber auf, den Einsatz von Isoglucose in Lebensmitteln zu beschränken sowie den Gehalt an Fructose deutlich zu kennzeichnen. Damit bekennen sich die Apotheker zu ihrer heilberuflichen Aufgabe im Bereich Verbraucherschutz und Prävention von Krankheiten. In ihrer Antragsbegründung greifen die Apotheker die Einschätzung des Bundesinstituts für Risikobewertung auf. Sie weisen aber eindringlicher als die Behörde auf das bisher ungelöste Problem hin: Der Anteil von Fructose in der Isoglucose kann deutlich höher als 50 Prozent liegen, bis hin zu 90 Prozent – und muss nicht extra deklariert werden. Für die Gesundheit ist das ein Spiel mit vielen Unbekannten. Aufgabe der Politik wäre es, hier für Transparenz zu sorgen.

Auf einen Blick

  • Haushaltszucker (= Saccharose) enthält Glucose und Fructose in verbundener Form im Verhältnis 1:1.
  • Isoglucose enthält ein Gemisch aus unverbundener Glucose und Fructose in variablen Mengen. Je höher der Fructose-Anteil, umso kritischer ist ein zu hoher Verzehr. Der Fructose-Anteil muss nicht deklariert werden, er kann bis zu 90 Prozent betragen.
  • Glucose-Fructose-Sirup, Fructose-Glucose-Sirup, Invertzuckersirup sind ebenfalls Gemische aus Glucose und Fructose in variablen Mengen.
  • Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sollte ein durchschnittlicher Erwachsener bei einer Kalorienzufuhr von 2000 kcal nicht mehr als 10 Prozent seiner Kalorien durch Zucker aufnehmen. Das entspricht ca. 50 g Zucker pro Tag = 10 Teelöffel. Anzustreben sind maximal 25 g pro Tag.

Glucose-Fructose-Sirup – überall drin

Die Lebensmittelindustrie verwendet gerne Glucose-Fructose-Mischungen, weil sie kostengünstig sind. Je höher der Fructose-Anteil, umso höher ist die Süßkraft. Isoglucose-Sirupe und Fructose haben rein technologisch gesehen viele Vorteile: Sie lassen sich in Rezepturen gut verarbeiten, geben Backwaren ein ansprechendes Volumen, verhindern unerwünschte Kristallbildung, schmecken gut, ja wirken sogar angenehm als Geschmacksverstärker. Wer sich aufmerksam die Zutatenlisten auf Lebensmitteln anschaut, macht immer wieder große Augen. Produkte mit Glucose-Fructose-Sirup (Isoglucose, Invertzuckersirup, Maissirup) finden sich im Supermarkt wie Sand am Meer.

Versteckter Zucker

Zusätzlich versteckt sich Zucker, insbesondere auch Fructose, in vielen anderen Bezeichnungen, die auf den Zutatenlisten stehen. Auch alternative und oft als gesund gepriesene Süßungsmittel wie Honig oder Dicksäfte verschiedener Früchte enthalten einen hohen Fructose-Anteil. Seriöse Aufklärung zur Lebensmittelkennzeichnung bietet die Internetseite www.lebensmittelklarheit.de vom Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände.

Vorsicht bei Müslimischungen und Salatsoßen

Hier einige Beispiele für Fertigprodukte, bei denen Sie genau auf die Zutatenliste und insbesondere auf den (zusätzlichen) Zucker schauen sollten, auch wenn einige davon herkömmlich als „gesund“ gelten:

Müsli-Mischungen, Cornflakes, Müsli-Riegel, Fruchtjoghurt, Fruchtquarkzubereitungen, fertige Obstzubereitungen für Kinder, Salatsoßen und Dips aller Art, Obst und Gemüse (!) aus der Dose, Tomatenketchup, zubereitete Salate aus dem Kühlregal, Fertiggerichte wie zum Beispiel Tiefkühl-Pizza, Milchpuddingspeisen, alle Arten von süßem Gebäck (auch dann, wenn „Vollkornhafergebäck“ draufsteht), Säfte und Fruchtnektare, Energy- und Sportlerdrinks, Softdrinks, Wellness-Drinks, Smoothies.


Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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