Was weiß man, was weiß man nicht?

Die möglichen Hintergründe des Hamburger Zyto-Skandals

Traunstein - 19.12.2019, 11:30 Uhr

Die Hamburger Staatsanwaltschaft untersucht derzeit das Geschäftsmodell des Zyto-Herstellbetriebes ZytoService. Was ist bis jetzt bekannt? Worum drehen sich die Vorwürfe? (s / Foto/Screenshot: ARD/Tagesschau)

Die Hamburger Staatsanwaltschaft untersucht derzeit das Geschäftsmodell des Zyto-Herstellbetriebes ZytoService. Was ist bis jetzt bekannt? Worum drehen sich die Vorwürfe? (s / Foto/Screenshot: ARD/Tagesschau)


Seit Tagen geistert der Hamburger Zyto-Skandal durch die Medien. Der Vorwurf lautet, dass das Hamburger Unternehmen ZytoService im Gegenzug zu Zahlungen an Onkologen lukrative Zytostatikarezepte erhalten haben soll. Anders als im Bottroper Fall, wo Patienten vermutlich auch gesundheitlich geschädigt wurden, geht die Staatsanwaltschaft nicht davon aus, dass Menschen zu Schaden gekommen sind. Den Gesamtschaden beziffert sie auf mindestens 8,6 Millionen Euro. Wie dieser Schaden für die Kassen zustande kam und wie hoch er ist, muss aber hinterfragt werden. In jedem Fall wurden offenbar Zytostatika-herstellende Apotheken geschädigt.

Deutschland hat einen neuen Zyto-Skandal. Am vergangenen Dienstag wurde eine riesige Ermittlungsaktion der Hamburger Staatsanwaltschaft bekannt. Doch die in den Medien bislang berichteten Geschäftsmodelle, die im Fokus der Ermittlungen stehen, sind teils undurchsichtig. Was weiß man also bislang über den neuen Zyto-Skandal?

Die Ermittlungen und Durchsuchungen: Am vergangenen Dienstag erfolgte laut Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, „eine der größten Durchsuchungsmaßnahmen, die die Korruptionsabteilung der Staatsanwaltschaft Hamburg jemals durchgeführt hat“. 58 Durchsuchungsbeschlüsse wurden von ca. 480 Polizeibeamten und sechs Staatsanwälten vollstreckt, die Durchsuchungen betrafen 58 Objekte in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die in annähernd 1.000 Kartons sichergestellten Unterlagen und rund 100 Datenträger (Mobiltelefone, PC, Speicherkarten etc.) werden nun ausgewertet.

Was wird wem vorgeworfen? Im Zentrum der Vorwürfe steht das 2002 gegründete Hamburger Unternehmen ZytoService, ein Platzhirsch unter den Herstellerbetrieben von Zytostatikazubereitungen. Nach Recherchen des ARD-Magazins Panorama“ und von „Zeit Online“ sollen einzelne Ärzte seit Januar 2017 neben sogenannten Kickback-Zahlungen in Höhe von mehr als 500.000 Euro auch „rückzahlungsfreie Darlehen, Nutzung luxuriöser Fahrzeuge oder anderweitige geldwerte Zuwendungen“ wie Praxiseinrichtungen erhalten haben. Im Gegenzug erhielt ZytoService über eine konzernnahe Apotheke von den Ärzten den Berichten zufolge die lukrativen Rezepte für die Zytostatikazubereitungen. Eine Anfrage der Apotheker Zeitung zu den Vorwürfen hat ZytoService bislang nicht beantwortet.

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Der „Trick“ mit den MVZ: Im großen Stil konnte ZytoService dieses Geschäft mutmaßlich betreiben, indem die Firma mit dem Geld internationaler Investmentfonds in ganz Deutschland offenbar Onkologen ihre Praxen abkaufte und daraus Medizinische Versorgungszentren (MVZ) machte. Da Apotheker oder pharmazeutische Herstellbetriebe eigentlich keine MVZ betreiben dürfen, nutzte ZytoService ein Schlupfloch im Gesetz. Denn Krankenhäuser dürfen MVZ betreiben, und so erwarb ZytoService die finanziell klamme SKH Stadtteilklinik in Mümmelmannsberg im Osten von Hamburg.

Dort soll dann begonnen haben, was „Zeit Online“ als „Revolution des Onkologiemarkts“ bezeichnet: Die kleine Hamburger Klinik gründete den Recherchen zufolge in ganz Deutschland insgesamt 15 MVZ. Dazu sollen Onkologen ihre Praxen an eine MVZ GmbH übertragen haben, die zum Konzerngeflecht um ZytoService gehört, und arbeiteten als Angestellte weiter. Bedingung für die Übernahme soll gewesen sein, dass die Ärzte ihre Medikamentenbestellungen an den Konzern geben. Im Gegenzug sollen sie neben einem guten Kaufpreis noch weitere Vergünstigungen – siehe oben – erhalten haben. Abgewickelt wurden die Rezepte laut „Zeit Online“ über die Hamburger Antares-Apotheke, die sie direkt an ZytoService weiterleitete.

Wie sind die finanziellen Schäden überhaupt entstanden?

Die möglichen finanziellen Schäden: Doch wie groß ist der entstandene Schaden tatsächlich? Laut Medienberichten soll der Techniker Krankenkasse seit Januar 2017 ein Schaden von 8,6 Millionen Euro entstanden sein. Aber diese Zahl stammt nicht von der Techniker Krankenkasse, wie eine TK-Sprecherin der Apotheker Zeitung versichert. Auch die Hamburger Staatsanwaltschaft nennt eine Schadenshöhe von mindestens 8,6 Millionen Euro, wobei die Pressesprecherin Liddy Oechtering gegenüber der Apotheker Zeitung betont, dass die Ermittlung der Schadenshöhe andauere und es sich bei der genannten Summe um eine grobe Schätzung handle. Entstanden sei dieser Schaden durch Abrechnungsbetrug. Denn Rezepte, die durch „kollusives Zusammenwirken“ zustande gekommen sind, seien „bemakelt“ und daher nicht abrechenbar. Das heißt, wenn bei einem Rezept, auch wenn es korrekt beliefert und korrekt abgerechnet wurde, im Hintergrund eine Bestechung ablief, so fällt dies grundsätzlich unter die Schadenssumme.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist also zumindest zu hinterfragen, wie groß der finanzielle Schaden bei den Krankenkassen wirklich ist. Ein möglicher finanzieller Schaden könnte für die Kassen natürlich auch resultieren, indem Ärzte mehr und teurer verordnen als eigentlich nötig. Davor hatte Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig, Chef der AkdÄ, in den vergangenen Tagen des Öfteren hingewiesen.

Die Auswirkungen für Zytostatika-herstellende Apotheken: Massiv geschädigt wurden allerdings diejenigen Apotheker, denen durch die Bestechung der Onkologen Rezepte für Zytostatikazubereitungen entgangen sind. „Zeit Online“ berichtet von einer Apothekerin, die ihr für mehrere Hunderttausend Euro eingerichtetes Zytolabor schließen musste, nachdem die Onkologen, deren Rezepte sie seit mehr als 20 Jahren beliefert hatte, ihre Praxis an ein MVZ veräußert hatten. Die Zytostatikazubereitungen seien dann, wie ihr von Kunden berichtet wurde, von der Antares-Apotheke in Hamburg gekommen.

Aber auch auf andere Art werden die Zytostatika-herstellenden Apotheken geschädigt. So soll Enno S., Gesellschafter und Geschäftsführer der ZytoService-Mutter altana health group, bei der Politik für strengere Regeln bezüglich der Ausstattung der Zytostatikalabore geworben haben. Und das offenbar mit Erfolg: Sowohl Zytostatika-herstellende öffentliche Apotheken als auch Krankenhausapotheken leiden unter den immer größer werdenden Auflagen der zuständigen Behörden, die immer größere Investitionen notwendig machen. Die Konsequenz: Ab einem gewissen Punkt rechnet sich das eigene Zytostatikalabor nicht mehr und die Rezepte wandern an die Herstellerbetriebe, die sich diese Investitionen leisten können. 

Die Qualität der Arzneimittel: Beruhigend ist zumindest eines: Anders als im Bottroper Zytoskandal, bei dem viele Menschen durch unterdosierte Krebsmedikamente massive gesundheitliche Schäden erlitten haben dürften, geht es im Hamburger Fall anscheinend „nur“ um die Vorwürfe Bestechung, Bestechlichkeit und unerlaubten Betrieb von MVZ. Die von ZytoService hergestellten Medikamente entsprachen offenbar den fachlichen Anforderungen. „Hinweise auf Gesundheitsschäden durch die verfahrensgegenständlichen Arzneimittel haben wir nicht“, teilte die Hamburger Staatsanwaltschaft dazu auf Nachfrage der Apotheker Zeitung mit.



Dr. Christine Ahlheim (cha), Chefredakteurin AZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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2 Kommentare

Da sieht man

von Stefan Haydn am 19.12.2019 um 18:19 Uhr

wohin Fremdinvestoren führen, bei Gewinnmaximierung!

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Zytoskandal

von Michael Zeimke am 19.12.2019 um 14:39 Uhr

Auch dort war Spahn zu Besuch.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

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