Interview Dr. Christopher Hermann (AOK BW)

„Über eine Zusatzvergütung für die Mehrarbeit der Apotheker kann man nachdenken“

Berlin - 17.12.2019, 07:00 Uhr

Dr. Christopher Hermann gilt als „Vater“ der Rabattverträge. Im Interview mit DAZ.online erklärt er, warum Änderungen am Rabattvertragssystem an der Lieferbarkeit der Arzneimittel nichts ändern würden und dass Apotheker für die Mehrarbeit mit Engpässen vergütet werden könnten. (Foto: imago images / Horst Rudel)

Dr. Christopher Hermann gilt als „Vater“ der Rabattverträge. Im Interview mit DAZ.online erklärt er, warum Änderungen am Rabattvertragssystem an der Lieferbarkeit der Arzneimittel nichts ändern würden und dass Apotheker für die Mehrarbeit mit Engpässen vergütet werden könnten. (Foto: imago images / Horst Rudel)


„Die Rabattverträge haben eine Menge Druck im Kessel verursacht“

DAZ.online: So eine Marktstruktur entsteht ja nicht von alleine. Ist da nicht auch das gesamte Preissystem verantwortlich? Anders gefragt: Hätten wir diese Strukturen auch, wenn es keine Rabattverträge und somit höhere Preise gäbe?

Hermann: Wie gesagt, die Entwicklung sehen wir lange vor dem Vergaberegime und wir sehen sie weltweit. Grundsätzlich herrschen gesunde Verhältnisse in einem Markt vor, wenn Unternehmen hart konkurrieren und sich dann ein Preis bildet. Aber richtigerweise ist da mittlerweile eine Menge Druck im Kessel, der von den Rabattverträgen erzeugt wurde.

DAZ.online: Sie geben also zu, dass die Rabattverträge diese Marktstrukturen auch mitgeprägt haben?

Hermann: Marktwirtschaft tut halt Anbietern manchmal richtig weh. Es ist doch ein normales Marktgeschehen, was wir derzeit haben. Wenn ich wie in einer Planwirtschaft Gewinne garantiere, wird das System träge. Das hilft uns bei Lieferengpässen erst recht nicht weiter. Wir brauchen marktwirtschaftliche Mechanismen. Betrachten Sie doch einmal den Generikamarkt in Deutschland vor Einführung der Rabattverträge – bei den wichtigen Substanzen dominierten damals ein, zwei Unternehmen den Markt. Dass Teva als die weltweite Nummer 1 hier damals in Deutschland fast nicht existent war, sagt doch alles. Im Übrigen dürfen wir nicht vergessen, dass wir im AOK-System nicht einfach immer nur den günstigsten Preis nehmen. Wir haben sehr hohe Anforderungen in unseren Ausschreibungen.

DAZ.online: Sie sind schon stolz auf die erreichten Einsparungen…

Hermann: Ja, aber wir haben im AOK-System nie Dumping-Preise akzeptiert von Unternehmen, die sich einen Marktzugang ergaunern wollen. Das ist gerade nicht unser Wettbewerbsmodell. Jedes Angebot und die dahinter liegenden Kalkulationen lassen wir bei Auffälligkeiten extern genau prüfen. Die Unternehmen müssen ihre Berechnungen bei auffälligen Angeboten offenlegen – wer das nicht tut, fliegt raus.

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DAZ.online: Kommen wir zu den Exklusivverträgen, die Sie in Ihren Ausschreibungen hauptsächlich verwenden. Selbst wenn die Rabattverträge nicht Ursache der Engpässe sind – wäre es nicht einfacher, wenn man immer mehrere Hersteller im Hintergrund hätte, falls es zu einem Engpass kommt?

Hermann: Das ist ein absoluter Trugschluss. Die Lieferfähigkeit unserer Vertragspartner ist ja gut. Die Exklusivverträge ermöglichen erst Kalkulationssicherheit der Hersteller. Wir garantieren durch unsere Vergabe an einen Partner praktisch einen bestimmten Umsatz. Bei mehreren Partnern ist diese Kalkulationssicherheit weg. Ohne die Exklusivverträge würden sich insbesondere kleinere Unternehmen auch nicht mehr trauen, teilzunehmen. Zudem zeigen prominente Beispiele, wie das Dreipartnermodell wegen mangelnder Kalkulationsfähigkeit versagt: Nehmen Sie aktuell Venlafaxin oder auch immer wieder mal das Levothyroxin.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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