FDA-Zulassung von Reyvow

Lasmiditan bei akuter Migräne – eine Alternative zu Triptanen

Stuttgart - 17.10.2019, 12:45 Uhr

Lasmiditan erweitert als selektiver 5-HT1F-Rezeptoragonist die Behandlungsmöglichkeiten bei akuter Migräne. Reyvow ist, anders als die über  5-HT1B vasokonstriktorischen Triptane, bei kardiovaskulären Erkrankungen nicht kontraindiziert. (Foto: igor_kell / stock.adobe.com)

Lasmiditan erweitert als selektiver 5-HT1F-Rezeptoragonist die Behandlungsmöglichkeiten bei akuter Migräne. Reyvow ist, anders als die über  5-HT1B vasokonstriktorischen Triptane, bei kardiovaskulären Erkrankungen nicht kontraindiziert. (Foto: igor_kell / stock.adobe.com)


Triptane wirken bei akuter Migräne am besten – bislang. Die 5-HT1B/1D-Agonisten eignen sich jedoch nicht für alle Migränepatienten. Für Migräniker mit Herz-Kreislauferkrankungen – wenn Triptane kontraindiziert sind – könnte nun Lasmiditan eine Option sein. Die FDA hat den selektiven 5-HT1F-Agonisten in Reyvow nun zur akuten Migränetherapie mit und ohne Aura zugelassen.

Die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat Lasmiditan zugelassen. Eingesetzt werden darf Reyvow (Eli Lilly) bei Erwachsenen zur akuten Behandlung von Migräne mit oder ohne Aura. Derzeit gelten bei mittelschweren bis schweren Migräne-Attacken Triptane als Goldstandard, wenn NSAR wie Acetylsalicylsäure, Ibuprofen oder Diclofenac, aber auch Metamizol und Paracetamol nicht ausreichend wirken. Die aktuelle S1-Leitlinie „Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne“ konstatiert: „Die 5-HT1B/1D-Agonisten (in alphabetischer Reihenfolge) Almotriptan, Eletriptan, Frovatriptan, Naratriptan, Rizatriptan, Sumatriptan und Zolmitriptan sind die Substanzen mit der besten Wirksamkeit bei akuten Migräneattacken und sollten bei starken Kopfschmerzen und bei Migräneattacken, die nicht auf Analgetika oder NSAR ansprechen, eingesetzt werden.“ Die 5-HT1B/1D-Agonisten sind laut Leitlinie bei 60 Prozent aller NSAR-non-Responder wirksam.

Reichen Triptane nicht? 

Wozu also weitere Arzneimittel bei akuter Migräne? Trotz der positiven Beschreibung in der Leitlinien eignen sich Triptane jedoch nicht für alle Migränepatienten – sie sind beispielsweise aufgrund ihrer vasokonstriktorischen Wirkung über 5-HT1B bei Migränikern mit kardiovaskulären Erkrankungen kontraindiziert: „Triptane sollten bei Patienten mit schwerwiegenden kardiovaskulären Krankheiten wie Angina pectoris, koronarer Herzkrankheit, nach Herzinfarkt, transienter ischämischer Attacke (TIA), Schlaganfall oder fortgeschrittener peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) nicht eingesetzt werden“, empfehlen die Leitlinienexperten. Zudem sprechen  30 bis 40 Prozent der Migräniker offenbar nicht auf Triptane an.

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„Es besteht Bedarf an neuen akuten Migränetherapien“, zogen jüngst Wissenschaftler – die an Lasmiditan forschen – ihren Schluss in Neurology. Ihre Studie bahnte Lasmiditan unter anderem nun den Weg in die Behandlung von Migränepatienten – vorerst nur in den Vereinigten Staaten. Bei der EMA steht die Entscheidung noch aus.

Lasmiditan: wirkt bei Migräne …

Die Wirksamkeit von Reyvow in der Akutbehandlung von Migräne wurde in zwei randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Studien nachgewiesen. Bereits im Dezember 2018 sind die Ergebnisse der ersten großen Phase-3-Studie – Lasmiditan is an effective acute treatment for migraine: A phase 3 randomized study – in Neurology veröffentlicht. 1856 Patienten wurden doppelblind randomisiert und in drei Gruppen aufgeteilt, sie nahmen innerhalb von vier Stunden nach Attackenbeginn entweder 200 mg Lasmiditan, 100 mg Lasmiditan oder Placebo oral ein. Die Patienten waren angehalten, für 48 Stunden nach Therapiebeginn Kopfschmerzen, Übelkeit, Phono- oder Photophobie zu dokumentieren. Primärer Endpunkt der SAMURAI-Studie war die Schmerzfreiheit zwei Stunden nach Lasmiditan- oder Placebogabe. Die Ergebnisse waren statistisch signifikant zugunsten einer Lasmiditantherapie: 32,2 Prozent der Migränepatienten waren mit 200 mg Lasmiditan nach zwei Stunden schmerzfrei, 28,2 Prozent unter 100 mg Lasmiditan und 15,3 Prozent der Placebopatienten. Die Studie untersuchte nicht nur die Wirksamkeit des 5-HT1F-Agonisten, es ging auch um die kardiovaskuläre Sicherheit.

Wie wirkt Lasmiditan?

Lasmiditan wirkt agonistisch an 5-HT1F-Rezeptoren. Welche exakten Effekte Lasmiditan auf molekularer Ebene auslöst, ist nach aktuellem Stand der Wissenschaft unbekannt. Es gibt Hinweise darauf, dass Lasmiditan wirkt, indem es die Freisetzung von Neuropeptiden verringert und die Schmerzwege hemmt, einschließlich derjenigen im Trigeminusnerv und in den Ganglien. Die funktionelle Selektivität von Lasmiditan für den 5-HT1F-Rezeptor gegenüber dem 5-HT1B-Rezeptor, von dem angenommen wird, dass er für vasokonstriktive Effekte verantwortlich ist, ist 440-fach größer, und somit fehlt Lasmiditan die vasokonstriktorische Aktivität, die Triptanen innewohnt.

Ein Großteil der Probanden (77,9 Prozent) hatte neben der Migräne noch mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor. Unerwünschte Ereignisse waren meist mild bis moderat, und es traten laut den Studienautoren nur wenige behandlungsbedingten Nebenwirkungen (treatment emergent adverse event, TEAE) unter Lasmiditan auf: Nach der ersten Dosis waren die einzigen kardiovaskulären TEAEs – mit einem möglichen Zusammenhang zu dem Studienmedikament – Palpitationen bei drei Patienten (0,5 Prozent) unter 200 mg Lasmiditan und bei zwei Patienten (0,3 Prozent) unter 100 mg Lasmiditan. Bradykardie trat bei einem Patienten (0,2 Prozent) unter Lasmiditan 100 mg auf. Das Fazit der Wissenschaftler: „Lasmiditan war in Dosierungen von 200 mg und 100 mg wirksam und sicher in der Behandlung von Patienten mit akuter Migräne, bei denen ein hoher Anteil kardiovaskuläre Risikofaktoren hatte“.

… und scheint sicher bei kardiovaskulären Erkrankungen

Die zweite wichtige Zulassungsstudie – Phase 3 randomized, placebo-controlled, double-blind study of lasmiditan for acute treatment of migraine – wurde erst im Mai 2019 in Brain publiziert. Die SPARTA-Studie verglich an 2869 randomisierten Patienten (vier Gruppen) Lasmiditan 200 mg, 100 mg, 50 mg gegen Placebo. Innerhalb von vier Stunden nach Attackenbeginn sollten die Patienten ihre Dosis einnehmen, der primäre Endpunkt war die Schmerzfreiheit und „Freiheit von den am meisten störenden Symptomen“ zwei Stunden nach Gabe.

Sicher auch bei Mehrfachgabe und bei schweren kardiovaskulären Erkrankungen?

Unter 200 mg Lasmiditan waren 38,8 Prozent der Migräniker nach zwei Stunden schmerzfrei, unter 100 mg Lasmiditan waren es 31,4 Prozent, unter 50 Lasmiditan 28,6 Prozent und unter Placebo 21,3 Prozent. Die Rate an behandlungsbedingten Nebenwirkungen nahm mit abnehmender Dosierung ab: 39 Prozent (200 mg Lasmiditan), 36,1 Prozent (100 mg Lasmiditan), 25,4 Prozent (50 mg Lasmiditan) und 11,3 Prozent unter Placebo. Kardiovaskuläre Nebenwirkungen  im Zusammenhang mit dem Studienmedikament waren selten, Palpitationen traten je zwei Fälle unter Lasmiditan 200 mg, 100 mg und 50 mg auf, einmal unter Placebo. Tachykardien wurden fünf Fälle beschrieben (je zweimal unter 200 mg und 100 mg Lasmiditan, einmal unter 50 mg). Die häufigsten Nebenwirkungen, die Patienten in den klinischen Studien berichteten, waren Schwindel, Müdigkeit, ein brennendes oder prickelndes Gefühl in der Haut (Parästhesie) und Sedierung.

79,3 Prozent der Studienteilnehmer hatten zwar mindestens einen kardiovaskulären Risikofaktor, jedoch erklären die Studienautoren, dass nur wenige Migräniker der Studie tatsächlich bereits an kardiovaskulären Erkrankungen litten, man müsse Lasmiditan auch in der Gruppe der „schwerer kardiovaskulär Erkrankten“ testen. Ebenso regen sie an, die Sicherheit und Wirksamkeit nicht nur – wie in der Studie – nach einmaliger Gabe, sondern auch nach mehrfacher Anwendung zu untersuchen. Nichtsdestotrotz lautet ihr Fazit: Lasmiditan in Dosierungen von 200 g, 100 mg, und 50 mg ist wirksam und wird relativ gut vertragen in der Behandlung einer einzigen Migräne-Attacke“.

Weniger Nebenwirkungen bei längerer Therapie?

Daten zur Langzeitsicherheit von Lasmiditan interessierten auch Lilly: „Um dem Bedarf an langfristigen Lasmiditan-Daten gerecht zu werden, evaluierte die GLADIATOR-Studie die Sicherheit (primär) und Wirksamkeit (sekundär) von Lasmiditan für die intermittierende, akute Behandlung von Migräneanfällen für bis zu einem Jahr“, lautet die Beschreibung der GLADIATOR-Studie – Interim results of a prospective, randomized, open-label, Phase 3 study of the long-term safety and efficacy of lasmiditan for acute treatment of migraine. Es wurden Migräniker rekrutiert (randomisiert auf 100 mg und 200 mg Lasmiditan), die bereits an der SAMURAI- und SPARTA-Studie teilgenommen hatten. Diese sollten ihre Migräne-Attacken (mindestens mittlerer Schwere) über den Studienzeitraum von einem Jahr mit Lasmiditan behandeln. 

Das Ergebnis: Insgesamt waren die behandlungsbedingten Nebenwirkungen auch nach mehrfacher Gabe ähnlich wie in den Studien nach einmaliger Lasmiditangabe und umfassten Schwindel, Somnolenz und Parästhesien. Interessanterweise beobachteten die Wissenschaftler, dass die Häufigkeit von unerwünschten Arzneimittelwirkungen im Allgemeinen mit nachfolgenden Attacken abnahm. Laut den Studienautoren wurden keine schwerwiegenden und keine kardiovaskulären TEAEs beobachtet, die möglicherweise auf eine Gefäßverengung zurückzuführen sind.

Vorsicht beim Autofahren!

Auch die FDA kam zu einem positiven Fazit zu Lasmiditan. „Reyvow ist eine neue Option in der Behandlung von akuter Migräne, eine schmerzhafte Erkrankung, die jeden siebten Amerikaner betrifft“, erklärt die FDA anlässlich der von ihr erteilten Zulassung. Weltweit leiden etwa 10 Prozent der Menschen an Migräne, Frauen trifft die neurologische Erkrankung dreimal häufiger als Männer, bei etwa einem Drittel der Migräniker geht die Attacke mit einer Aura einher.

Die FDA warnt, dass unter Lasmiditan das Fahrverhalten eingeschränkt sein kann. Patienten sollten nach Einnahme von Reyvow mindestens acht Stunden lang keine Maschinen bedienen oder Fahrezeuge lenken, selbst wenn sie sich aufgrund der Migräne in der Lage dazu fühlten.

Suchtpotenzial von Lasmiditan?

Was derzeit nicht abschließend geklärt ist, ob Lasmiditan möglicherweise ein Suchtpotenzial besitzt. In einer kleinen Studie – A Study of the Abuse Potential of Lasmiditan in Participants Who Are Recreational Drug Users – wurde das Missbrauchspotenzial im Vergleich zu Alprazolam unetrsucht. Laut dem Ärzteblatt gab die Mehrheit an, dass sie Lasmiditan „mögen“, wobei der Effekt geringer war als durch Alprazolam.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Migräneschmerz

von Wähnert am 19.10.2019 um 14:44 Uhr

der MIgräneschmerz entsteht durch perivaskuläre Ödeme im Bereich der vom Trigeminus versorgten Hirngefäße. Th: Acetazolamid mit veränderter Galenik. Sehr effektiv, aber zu billig für die Pharmaindustrie.
Als bedeutende medizinische Entdeckung leider nicht patentierbar

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